Steinerweichen

Märchen zum Thema Liebe und Hoffnung

von  leorenita

Es war einmal ein Königspaar, eine Königin also und ein König, die liebten einander mehr, als sich je ein Menschenpaar geliebt hat.
In jenen Zeiten heiratete niemand aus Liebe, Könige noch weniger als normale Menschen.
Sie regierten mit Herzensweisheit und das Volk liebte sie. Im Hofstaat aber gab es Missgunst und Neid. Das Königspaar ließ sich dadurch jedoch nicht beirren, denn mit der Zeit würden die ewig Gestrigen schon dazulernen.
Die Königstochter, ein fröhliches Mädchen das alles wissen wollte, war der Wirbelwind im Schloss und die Königin war sehr stolz darauf. Als das Kind fünf Jahre alt war, gebar sie einen Knaben.
Die Geburt war schwer und der Junge sehr schwach. Die Königin fühlte, dass sie das Kindbett nicht mehr aus eigener Kraft verlassen würde.
Sie rief den König zu sich: „Du musst jetzt stark sein, denn ich werde von dir gehen und unser Sohn wird mir bald folgen. Die Prinzessin wird dich dann sehr brauchen. Lass sie als freies Mädchen aufwachsen und versprich mir, sie niemals zu etwas zu zwingen. Gib ihr einen Kameraden, nimm den Waisenknaben aus dem Dorf auf, er ist nur wenig älter als sie und er ist so klug, dass auch du deine Freude an ihm haben wirst.“
Der König gab ihr das Versprechen, sie schloss die Augen und starb.
Der Junge aus dem Dorf wurde auf das Schloss geholt und der König ließ ihn in den Wissenschaften unterweisen.
Die Prinzessin verwand den Schmerz um die Mutter leichter, da sie in dem Knaben einen großen Bruder fand, der zuhörte, tröstete, Geschichten erfand, Spiele wusste, Lieder sang, Spielzeug schnitzte, ihr zeigte wie man Honig von wilden Bienen sammelt,
die Vögel kannte und die Stimmen der Waldtiere nachahmen konnte.
Dem König wurde der Knabe bald zum unentbehrlichen Ratgeber, denn seine Art die Dinge zu sehen zeugte von einer Weisheit, an der teilzuhaben ein Lebenszyklus nicht ausreicht.
Da das Kind von niedriger Geburt war und somit der Eifersucht und den Intrigen des Hofstaates ausgesetzt, ernannte der König den Knaben zu seinem Hofnarren, denn ein Narr durfte jederzeit sagen, was er dachte.

Die Stimmen von Missgunst und Neid waren seit dem Tode der Königin immer lauter geworden. Heuchlerisch sprachen sie dem König von ihrer Sorge um die Prinzessin. Damit gelang es ihnen vom Ohr des Königs in sein Herz zu dringen. Stück für Stück wurde die Freiheit der Königstochter beschnitten, bis sie sich mit zwölf Jahren ganz der höfischen Erziehung unterwerfen musste.
Als sie sechzehn war kamen die ersten Freier an den Hof – die Prinzessin galt als die schönste und begehrenswerteste Jungfrau unter der Sonne. Von überall her kamen sie . Schöne, Kluge, Reiche, Mächtige ...

Die Höflinge versuchten den König zu beeinflussen, er solle doch endlich entscheiden, wer die Hand der Prinzessin erhält.
Der König aber erinnerte sich an das Versprechen am Totenbett seiner geliebten Frau und ließ die Prinzessin wählen.
Abends war das Mädchen oft sehr erschöpft. Den ganzen Tag kamen Freier und gaben die merkwürdigsten Versprechen ab, um erhört zu werden. Sie wollten auf glühenden Kohlen laufen, die Sterne stehlen, Drachen töten und was es dergleichen mehr gibt.
Die Königstochter sah sich einen nach dem anderen an und sagte immer: „Nein.“
Eines Abends saß sie niedergeschlagen beim Nachtmahl und sagte zum König: „Vater, wozu muss ich mir jeden Tag hundert Männer ansehen und mir anhören wer sie sind und was für merkwürdige Dinge sie tun möchten?“
„Mein Kind, diese Männer wollen dich zur Frau und gäben fast alles dafür, dein Jawort zu erhalten.“
„Vater, ich liebe sie nicht !“
„ Hast du dein Herz denn schon verschenkt?“ fragte der König,
„ weißt du bereits was Liebe ist?“
„ Gewiss nicht Vater, aber wenn der kommt, den ich so liebe, wie Mutter dich geliebt hat, dann werde ich es wissen und er wird sich ganz sicher nicht vor mir in den Staub werfen und wirres Zeug schwatzen.“
Da erzählte der König ihr von dem Versprechen das er gegeben hatte und sie wurde wieder froh.
Die Höflinge waren empört. Nur einer freute sich, sein Herz machte Luftsprünge. Er glaubte nicht, er könnte ihr Auserwählter sein, nein, er liebte sie und wollte, dass sie glücklich ist. Für ihn wäre das Glück genug.
Die Prinzessin hatte nicht die Wahrheit gesagt, noch gelogen. Sie wusste selbst nicht, was da in ihrem Herzen reifte.
Bald nachdem sie vom Versprechen ihres Vaters gehört hatte, sucht sie überall im Schloss nach dem Narren. Entdeckte sie ihn, sah sie geschwind zur Seite und wendete sich ab, damit er ihr Erröten nicht bemerke.
Der Narr erkannte nicht was in dem Mädchen vorging, glaubte sie könne ihn nicht mehr leiden, war verletzt und ging ihr aus dem Weg.
So liebten sie einander und verletzten sich doch, weil sie keine Worte fanden, die stärker waren als die Regeln.
Der Narr liebte die Prinzessin aus ganzem Herzen. Oft saß er bei der Quelle auf der Lichtung im Wald und blickte ins Wasser. Er wünschte er wäre ein Wassertropfen, so könnte er mit dem Bach unter ihrem Fenster vorbeifließen und nach ihr sehen. Wäre er eine Welle, er würde sie mit Plätschern ans Fenster rufen, wäre er ein Fisch er würde... – aber er war nur der Narr.
Als es ihn einmal besonders quälte schnitzte er zwei kleine Figuren und spielte die Geschichte seiner Liebe. Als jemand kam wusste er sie nicht zu verbergen und warf sie in den Bach.
Eines Abends saß er wieder an der Quelle und sah träumend ins Wasser. Da wurde ihm bewusst, dass er seit geraumer Zeit einem Singen lauschte. Es kam von weit her und war so vertraut, es klang durch die Nacht, als wolle es sich mit dem Mondlicht verweben. Die Stimme trug ihn mit sich fort, er gab sich hin und bemerkte nicht wie sie näher kam. Erst als das Lied verstummte kehrte seine Seele zurück. Jemand stand hinter ihm.
Es war dunkel.
Der Narr drehte sich um und wollte aufstehen. In diesem Augenblick ging der Vollmond über dem Wald auf und tauchte die Quelle in silbernes Licht. Da stand die Prinzessin, in ihren Händen die beiden Puppen.
Schamesröte stieg ihm ins Gesicht und er vergrub den Kopf zwischen seinen Armen. Die Prinzessin tat ein paar Schritte, blieb dicht hinter ihm stehen, schwieg und betrachtete die Figuren in ihren Händen. So verging eine Weile. Endlich kniete sie sich zu ihm. Da hob er den Kopf ein Wenig und sah, wie sie mit den Puppen spielte. Er wagte kaum mehr zu atmen. Da nahm die Prinzessin all ihren Mut zusammen und sagte: „Ich liebe dich Thomas und ich weiß, dass auch dein Herz Liebe für mich fühlt.“ „Ja“ sagte er, „Ja und ich kann nichts anderes mehr denken.“
So wie ihre Seelen schon immer zueinander gehörten fanden sich ihre Körper und versanken ineinander.
Als der Vollmond über die Lichtung hinaus war, wurden sie jäh aus ihrem Glück gerissen.
Schwarz drängte sich eine gaffende Menge um sie. Stimmen wurden laut:“ Fasst ihn, sperrt ihn ein!“ Die Prinzessin sprang auf, stellte sich schützend vor ihren Geliebten und sprach:“ Wagt es nicht euch an ihm zu vergreifen, holt meinen Vater den König,  hier am Ort des Geschehens mag er sein Urteil sprechen.“
Der König war missgelaunt, weil man ihn im Schlaf gestört hatte und wurde wütend als er die Geschichte hörte.
Voll Zorn traf er auf der Lichtung ein.
„Was“, fragte er „ist hier vorgefallen?“
„Es ist allein meine Schuld“ sagte die Prinzessin.
„Du schweigst, denn du hast mich belogen!“
Darauf wusste sie nichts zu erwidern. Der Narr berichtete wahrheitsgemäß und als er geendet hatte sagte der König: „Du bist mir in all den Jahren immer ein guter Ratgeber gewesen, jetzt gib mir noch einmal Bescheid. Welche Strafe wäre die härteste für deinen Frevel?“
Ohne zu zögern sagte der Narr: „ Ihn zu vergessen.“
So sei es – so sei es – so sei es, raunte die Menge und der König in seinem Zorn nickte seine Zustimmung.
Da löste sich aus dem Dunkel des Waldes eine Figur. Selbst mehr wie ein Schatten, umgab sie ein düsterer Schein. Von niemandem gesehen glitt sie durch die Menge und war da.

Die Schicksalsschattenfrau –
... zeigte mit einem Finger auf den Narren und sprach:

Ich heiß durch Welt und All dich irren,
nie sollst die Sehnsucht du verlieren,
nach der Liebe die du heut besessen,
doch alles heiß ich dich vergessen.

Augenblicklich wich jeder Ausdruck vom Gesicht des Mannes, er starrte geradeaus und ging mechanisch auf den Wald zu. Die Prinzessin wollte ihn halten und rief:“ Liebster, ich komme mit dir!“
Er beachtete sie nicht. Da sank sie auf die Knie und wollte Gott um Hilfe anflehen, doch die Augen der Schicksalsfrau waren auf sie gerichtet und ihr Finger wies zur Quelle:

An diesen Felsen bann ich dich,
in starrem Stein,
wohl wissend um des Liebsten Pein
sollst warten auf ihn, ewiglich

Magisch wurde die Prinzessin von dem Felsen angezogen dem das Wasser entsprang und als sie ihn berührte, erstarrte sie zu Stein.
Dann wendete sich die Schattenfrau der Menge zu und flüsterte:

Ihr habt die dunkle Macht beschworen,
drum sein genauso ihr verloren,
da euch nur Neid und Missgunst labt
und Leid das andere gehabt,
kehr jedes Leid das euch beglückt
zu euch auf Lebenszeit zurück –
und keiner wird je Erben haben,
der sah was sich hier zugetragen.

Tief gebeugt schlichen die Höflinge davon.
Dann wendete sich die Schicksalsfrau zum König :

Du "Herrscher", bist gestraft genug,
erlagst im Zorn dem Wunsch der Neider
und nun siehst du beraubt dich Beider,
die du am meisten hast geliebt.
Gerechte Strafe ist geübt.

Nach diesen Worten verschwand sie.
Der Vater blieb allein zurück. Er sank zu Boden und fiel in einen tiefen Schlaf. Er träumte. Das Murmeln der Quelle drang an sein Ohr. Es wurde immer lauter und deutlicher. Es formte sich zu Worten und er hörte im Traum eine Stimme:

Oh Mägdelein  gebannt im Stein,
kann zwar den Schicksalsspruch nicht heben,
doch Trost und Hoffnung kann ich geben...
will keinen Tropfen mehr vergießen,
zum Lebenswasser will ich fließen,
zu meinem Fels will ich’s geleiten,
dann fließt aus ihm zu jenen Zeiten
hervor die frische Lebensquelle,
zu denen Vollmond ihn erhelle.
Wenn sie den rauhen Stein dir netzt,
wirst kurz ins Leben du versetzt,
dann rufe nach ihm Mädchen, singe
dass ihm dein Lied Erinnerung  bringe,
wo er auch ist, er wird dich hören
und wissend dir die Treue  schwören,
aufbrechen um dich zu erreichen,
doch die Erinnerung muss weichen,
wenn wiederum die Quell' versiegt,
dein Stein an meinen Fels sich schmiegt,
kein Vollmondschein mehr auf euch liegt.
Wenn er einst stirbt, er kehrt doch wieder
die alte Seel'  im neuen Leib
und hört bei Vollmond deine Lieder,
der alte Fluch in neuer Zeit.
Es löst sich erst der dunkle Bann,
wenn ihr vereint als Weib und Mann.

Als der König erwachte war die Quelle versiegt. Seit dieser Zeit konnte der König bei Vollmond nicht mehr schlafen. Er ging zur Lichtung und sah zu wie das Mondlicht den Felsen in silbernes Licht tauchte. Ein feines Rieseln wurde hörbar und er konnte sehen, wie Wasser aus dem Felsen sprudelte, die steinerne Frau benetzte und zum Leben erweckte.
Er hörte sie singen und es schnitt ihm tief ins Herz. Seine Schuld drückte ihn so schwer, dass er nicht wagte mit ihr zu sprechen. Er fühlte, dass sie nicht länger seine Tochter war.
Er schickte Männer in die Welt, den Narren zu suchen. Viele sind im Laufe der Zeit an der Quelle gewesen wenn der Mond voll war. Mit manchen hat die Frau sich vereinigt, aber der Narr ist nicht dabei gewesen, denn immer wenn der Schein des vollen Mondes die Lichtung verließ musste sie zurück an den Felsen.

Der Mann irrt durch die Welt von einer Sehnsucht getrieben, die er nicht nennen kann. Nur einmal im Monat weiß er, dass er zu jener singenden Frau gehört und  bricht ohne zu zögern auf um zu ihr zu gelangen. Wenn aber der Vollmond jenen Felsen verlässt, sinkt er zurück ins Vergessen. Er hat sich im Laufe der Zeit mit vielen Frauen vereinigt, aber die Prinzessin war nicht dabei.
Die Nachkommen, die so gezeugt wurden, sie alle tragen diesen Fluch und vererben ihn weiter...
Heute ist das Schloss verfallen, das Dorf verlassen.
Im Wald auf der Lichtung steht ein überwachsener Fels. Er hat eine kleine feuchte Stelle und wer genau hinschaut, der sieht darunter eine Frau aus Stein.
Wenn du dort einmal bei Vollmond vorbeikommst, dann warte in der Nähe der Lichtung. Glaube was deine Augen sehen und habe keine Angst: Vielleicht ruft sie ja nach dir.

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Kommentare zu diesem Text

orsoy (44)
(09.12.05)
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 leorenita meinte dazu am 09.12.05:
ganz ganz lieben Dank für deinen wunderschönen Kommentar. >Ich freue mich sehr, dass es dir gefällt. Ganz liebe Grüße auch an dich, Regine
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