Gegenschlag
Verstand vs. Irrsinn
Eine archivierte Kolumne von Melodia
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Generäle siegen, Soldaten fallen
Als ich letzte Woche für die Kolumne über Herrn Berlusconi recherchierte, lass ich oft den Namen einer ehemaligen Geheimloge, der „Propaganda Due“, kurz P2, deren Mitglied er gewesen ist. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich mit dieser zu beschäftigen und begann, voller Vorfreude etwas Neues zu erfahren, mit den Nachforschungen. Der Spaß sollte mir leider nur allzu schnell im Halse stecken bleiben.
Zwar waren mir Name, sowie einige historischen Ereignisse und Zusammenhänge durchaus bekannt, doch erschloss sich mir der Ausmaß des Einflusses besagter P2 erst jetzt. Natürlich lässt sich die Frage stellen, weshalb es von Relevanz ist, über eine Mitte der 1980er Jahre verbotene Gruppierung zu schreiben, abgesehen davon, das vermutlich nur wenige jemals etwas von ihnen gehört haben? Nun, hierzu werden wir noch kommen, doch alles der Reihe nach.
Der freimaurerische Vorläufer dieser Gruppe wurde bereits Ende des 19.Jahrhunderts gegründet; als Gegenpol zur Kirchenkurie. Während der Herrschaft des Faschismus in Italien waren die Freimaurerei und all ihre Logen verboten, so dass es 1944 zu einer Neugründung mit eben diesem Namen P2 kam. Bis Ende der 60er Jahre wurde die Loge auch normal geführt; also so normal, wie es bei Freimaurern eben zugeht. Leider besitze ich keine Insiderinformationen. Doch dann übernahm Licio Gelli die Führung der Gruppe und mit ihm kam der Wandel.
Der Kleinunternehmer aus der Toskana hatte gute Kontakte, unter anderem auch zur CIA. Denn in den Zeiten des Kalten Krieges beherrschte die Angst vor den Roten die westliche Politik. Da war es doch nur verständlich und logisch, dass die Vereinigten Staaten und ihre Geheimdienste einiges an Geld und Hilfen nach Europa brachten, um die Gefahr einzudämmen. In Italien hatten die Kommunisten von je her eine starke Basis. Die ersten Wahlen nach dem 2.Weltkrieg hätten sie, ohne die Einmischung und Propaganda der CIA (Operation Demagnetize), vermutlich gewonnen; ob das jetzt besser oder schlechter gewesen wäre, sei dahingestellt. Da die Kommunisten aber wieder an Einfluss gewannen, nutze man jedes adäquat erscheinendes Mittel, um sie zu bekämpfen. Auch die Freimaurer.
Gelli ist jedoch ein besonderer Fall. In den 30ern hatte er sich, den sogenannten „Schwarzhemden“ angeschlossen, eine faschistische Gruppe, die auf Befehl Mussolinis in den spanischen Bürgerkrieg eingriff. Später wurde er deren Verbindungsoffizier im besetzten Jugoslawien und hatte allem Anschein nach sogar Verbindungen zu Hermann Göring, dem alten Lametta-Heini. Und so einem netten Menschen überreicht man einige Millionen Dollar und die „Erlaubnis“ zur Rekrutierung von NATO-Mitarbeitern, inklusive „Gladio“, Militärs, Wirtschaft, Politik, Nachrichtendienste und Mafia. Was für ein illustres Grüppchen! Aber einige Amerikaner waren ja bereits während des 2.Weltkrieges der Meinung, dass der falsche Gegner bekämpft würde. Dieses Versäumnis konnte man jetzt nachholen.
Im Laufe der nächsten 15 Jahre wurden, dank dubiosen Finanzierungen, illegalen Geschäften, Ermittlungsbehinderungen, Verschleierungen und technischer Unterstützung eine Vielzahl Attentate verübt und den, ebenfalls nicht ganz untätigen, linken „Roten Brigaden“ (Brigate Rosse) zugeschoben. Darunter auch der wohl bekannteste italienische Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna 1980, bei dem 85 Menschen starben und mehr als 200 verletzt wurden. Insgesamt verloren, zwischen 1969 und 1984, über 200 Menschen ihr Leben durch neofaschistische Logenagenten und Geheimdienstler. Die Attentate dienten dazu, die „Strategie der Spannung“ durchzusetzen: Man erzeugt so viel Angst (vor den Linken), dass das Volk den Staat um mehr Sicherheit anbettelt. Kommt bekannt vor, oder Herr Bush jr.?
Die Aktionen der Loge flogen schließlich auf, als die „Banco Ambrosiano“ auf Grund von Unregelmäßigkeiten geprüft wurde. Man entdeckte unzählige Geisterbanken, die der Geldwäsche von Drogengeldern der Mafia dienten. Da beide Bankchefs Teil der P2 waren, folgte auch eine Hausuntersuchung bei Gelli. In seinem Büro fand man eine Mitgliederliste: Über 900 hohe Persönlichkeiten, Regierungsbeamte, Journalisten, Industrielle, Bankiers, Militärs, Oberbürgermeister, Politiker und sogar den Sohn des letzten italienischen Königs, Viktor Emanuel von Savoyen standen darauf, wie der damalige Premierminister Forlani, der bekannte Maurizio Costanzo, Artemio Franchi (ehemaliger UEFA-Präsident), die beiden bereits erwähnten Bankiers Sidona und Calvi und eben auch „Bunga Bunga“ Silvio. Aber auch in Lateinamerika hatte man Zöglinge, wie z.B. Emilio Eduardo Massera, ein argentinischer Admiral, der Teil der Junta-Führungsriege des Militärputschs von 1976 war.
Bei den Untersuchungen kamen, wen wundert es, einige Leute ums Leben. Neben fünf Beamte der Finanzaufsicht (Guardia di Finanza) auch Sidona, der im Gefängnis vergiftet wurde, Calvis Sekräterin, die aus einem Fester der Bank fiel, sowie Calvi, der „Bankier Gottes“ selbst: erhängt an einer Londoner Brücke. Wisst ihr warum es den Spitznamen „Bankier Gottes“ bekam? Weil ein Teilinhaber der „Banco Ambrosiano“ der Vatikan war! Wenn schon alle Kriminelle zusammenarbeiten, dann richtig!
Aber das alles reicht noch nicht. In einem Koffer der Tochter von Licio Gelli entdeckte man den „Plan zur demokratischen Wiedergeburt“. Darin beschreibt der Führer der P2, wie man die Regierung nach und nach unterwandern, übernehmen und verändern sollte; in einen autoritären, rigiden Staat in der Hand der Premierministers. Unter anderem wollte er eine Verschmelzung zu einem Zwei-Parteiensystem, absolute Medienkontrolle, Abschaffung von Provinzen und Studientiteln, sowie der Reduzierung der Parlamentselemente. Okay, wer erkennt noch so einiges wieder? Täusche ich mich, oder setzte „Bunga Bunga“ Berlusconi nach und nach genau all diese Ideen in die Tat um?
Und was macht Licio Gelli? Der mittlerweile 93jährige sitzt in seiner Villa in der Toskana, dreht Däumchen, schreibt gelegentlich rechte Texte und rühmt sich damit, dass sein Schüler seinen Plan umsetzt:
„Ich habe einen unbeschwerten Lebensabend. Jeden Morgen rede ich mit den Stimmen meines Gewissens und es ist ein Gespräch das mich beruhigt. Ich schaue mir das Land an, lese die Zeitungen und denke mir: Alles wird nach und nach in die Tat umgesetzt. Ja, ich sollte die Autorenrechte besitzen. Die Justiz, das Fernsehen, die gesellschaftliche Ordnung. Das alles habe ich vor 30 Jahren in 53 Punkten niedergeschrieben.“ Mir fehlen die Worte…
Der Mann wurde kein einziges Mal verurteilt, trotz zahlreicher Vorladungen, Verhandlungen und Anklagen! Das meinte er wohl mit „die Justiz“. Es ist mir einfach unverständlich, wie man den Architekten des autoritären Regimes, den Stiefsohn der Korruption einfach so, trotz seiner Vergangenheit und Taten frei herumlaufen darf. Doch so ist es im Leben: Generäle siegen, Soldaten fallen und die Gerechtigkeit liegt chronisch verletzt im Lazarett.
Zwischen Mafia, Brigate Rosse, P2, CIA, Gladio und Kapitalismus verdunkelt sich die Geschichte Italiens vor meinen Augen immer mehr.
Das Land braucht wahrhaftig einen Plan zur demokratischen Wiedergeburt, aber einen, der dem Namen gerecht wird.
Ciao!