andi(e)stirnschlag
Kleinlichkeiten
Eine archivierte Kolumne von AndreasG
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Gegendarstellung
Aus gegebenem Anlass möchte ich darauf hinweisen, dass ich kein Klavier spielen kann. Nicht einmal die „Mondscheinsonate“ oder „Für Elise“.
Mein Heimatort liegt auch nicht in Bayern und obwohl Bauern zu meinen Vorfahren gehören, komme ich nicht aus einer Bauernfamilie. Zivildienst habe ich gemacht (nicht “geleistet“, - ich mag das Wort nicht), aber in Gelsenkirchen und nicht im Saarland. Außerdem besitze ich das Fremdsprachentalent eines Tortenhebers und war immer weit davon entfernt, eine Sprache fließend zu sprechen (wie fließt schon Marmorkuchen?). Ach ja : ich bin auch nicht zwanzig Jahre alt (da hilft es nichts, dass mich Manche kindisch nennen).
Kurz gesagt bin ich nicht der Andreas G., der durch die Presse wandelt und dem der SPIEGEL ganze vier Seiten gewidmet hat (SPIEGEL Nr. 35 / 29.8.05 – die Seiten 50 – 53).
“Originell, manchmal brillant, schwierig, manchmal bockig“ steht da als Bildunterschrift. Ansprechend wie ein Zeitungshoroskop, jeder kann sich beschrieben fühlen, denn jeder möchte manchmal so gesehen werden oder sieht sich selber so.
Ach je... Die ganze Geschichte lässt kleine Glöckchen im Kopf klingeln. Wer wollte nicht schon einmal ausbrechen, neu starten, das Alte hinter sich lassen und eine neue Identität annehmen? Wem ist das eigene Leben nicht manchmal zu klein und unbedeutend, langweilig, fremdbestimmt, knebelnd?
Wie verlockend erscheint es da, sich einfach fallen zu lassen! - Schneide die Etiketten aus Deinen Anziehsachen (ganz wie in einem schlechten Agentenfilm), vernichte Deine Papiere, stürze Dich einmal ins Wasser, laufe dann patschnass am Strand eines fremden Landes entlang (es sollte vielleicht nicht Sheerness in England sein, die kennen das jetzt...), benehme Dich seltsam und schweige. Irgendwann wirst Du aufgegriffen und in eine Klinik gebracht, Leute beschäftigen sich mit Dir, Menschen stellen sich Fragen, Zeitungen schreiben über Dich und niemals wird jemand eindeutig beweisen können, ob Du nun schauspielerst oder krank bist.
Andreas G. (nicht AndreasG, klar?) hat das viereinhalb Monate durchgehalten. Er spielte ein wenig Klavier und schon war er der geheimnisvolle “Pianomann“, er sagte nichts und schon rankte sich ein Geheimnis um ihn. Er war plötzlich nicht mehr der 20-jährige Bauernsohn aus einem 71-Seelen-Kaff an der tschechischen Grenze.
Ob es ihm geholfen hat? – Kann er sich jetzt besser selber einschätzen, nachdem er von so vielen Menschen nicht nach seiner Herkunft und Vergangenheit, sondern nach anderen Kriterien eingeschätzt wurde? - Hat ihm diese Flucht den Blick auf die eigene Seele ermöglicht?
Wohl kaum. Viereinhalb Monate Schauspielerei oder eine schizophrene Attacke, - keines von Beiden führt zu Selbsterkenntnis. Wenn es eine Flucht war, so ist sie doppelt gescheitert. “Mich nicht mehr leben lassen“ funktioniert nicht, indem ich in eine fremde Rolle schlüpfe. Ich muss mich öffnen und das Eigene an die Luft lassen, damit es erst einmal wachsen kann. Es ist wie ein kleines Pflänzchen, das durch Kälte, Desinteresse, Misstrauen, Verschlossenheit und äußere Zwänge verkümmert ist. Da hilft es nichts, es in einen anderen Käfig zu sperren, der zufälligerweise kein Laufrad - keine “Tretmühle“ - hat.
Tja. Das hat er nicht erreichen können – und jetzt sitzt er zudem auch wieder in dem 71-Seelen-Kaff.
Trotzdem... Viereinhalb Monate hatte Andreas G. eine gewisse Form von Ruhe, in der ein freieres Denken möglich war. Viereinhalb Monate Schweigen... Irgendwie verlockend, - aber wie sollte ich das schaffen? Ich bekomme es ja nicht einmal viereinhalb Stunden hin, die Klappe zu halten.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Liebe Grüße, Viola
(02.09.05)