andi(e)stirnschlag
Kleinlichkeiten
Eine archivierte Kolumne von AndreasG
(bisher 1.831x aufgerufen)
Liebeskrankheit
Beißen im Magen, Stechen in der Brust, nervöse Schübe, zitternde Hände, Unruhe, Konzentrationsschwäche, Geschmacksverirrungen (“Och, ist das süüüß...“)... – So aufgereiht liest sich das ziemlich krank, oder? Dabei beschreibt es kein körperliches Phänomen, nicht die Auswirkung einer Infektion oder eines Unfalls. Vielmehr ist es der klassische Zustand in einer Zeit, in der fast das gesamte Denken auf einen einzigen Menschen ausgerichtet ist. Fixiert und scheuklappig, - verliebt halt.
Wissenschaftlich aufgearbeitet bleibt nichts als eine Kette von biochemischen Vorgängen. Nichts als Botenstoffe, die dem Menschen gewisse Verhaltensweisen und Gefühle aufzwingen. Sogar die drei Stufen, in der eine Paarbildung idealerweise abläuft, sind inzwischen von der Forschung bestätigt. Und damit der Laie das auch versteht (und es sich merken kann), wird für jede dieser Stufen ein Botenstoff-Paar genannt. Drei Paare für das Paar, sozusagen.
Stufe 1: Testosteron und Östrogen, zwei alte Bekannte, von denen jeder schon gehört hat, sind angeblich für die sexuelle Liebe verantwortlich (also dafür, dass man gar nicht mehr aus dem Bett heraus will).
Stufe 2: Serotonin und Phenylamin (PEA) sollen die romantische Liebe (gemeinhin “Verliebtsein“ genannt) hoch puschen. Von dem einen Botenstoff hat man vielleicht schon im Zusammenhang mit Antidepressiva gehört (was die gruseligen Liebeskummer-Texte erklären würde) und PEA ist als Grundbestandteil vieler halluzinogener Drogen bekannt (was zu noch mehr gruseligen Texten führen mag...).
Stufe 3: Vasopressin und Oxytocin gelten als die großen Bindungsmacher einer Partnerschaft. In Tierversuchen werden dadurch aus zänkischen Einzelgängern treusorgende Partner – und was der eigentliche Witz ist: es funktioniert sogar bei Tierarten, die gar keine Paare bilden.
Jetzt ist es viel leichter sich zu rechtfertigen, denn es ist ja alles ein natürlicher Vorgang. Ausgeliefert sind wir, fremdgesteuert. Schlechtes Benehmen gibt es nicht mehr.
“Sorry, Schatz, mein Oxytocin geht wohl zur Neige.“
“Kein Problem. Meines ist auch futsch und mein Serotonin heißt jetzt Gerd.“
“Na dann, Schatz. Lässt Du mir noch ein wenig PEA da?“
Da passt es doch gut, dass Zwangsneurotiker einen genau so hohen Serotonin-Spiegel aufweisen wie frisch Verliebte. Liebe ist also doch eine Krankheit - oder eine Störung, wie es heute heißt. Zeitlich limitiert sogar: circa drei Monate für Stufe 1, bis maximal zwei Jahre für Stufe 2 und gute 5 Jahre für Stufe 3. Nach sieben Jahren kann jetzt also selbst der nüchternste Theoretiker seine Verpflichtungen und Alltäglichkeiten hinwerfen und kühl von biochemischen Prozessen in seinem Körper reden. So ist halt die Natur.
Endlich eine Störung, die nicht so stört, oder?
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
