Freie Radikale

Gedanken müssen weder gelebt werden noch persönliche Ansichten darstellen, aber sie können beißen.


Eine archivierte Kolumne von  Erdenreiter

Montag, 05. Januar 2015, 05:00
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Die Seele

Es ist ein wissenschaftlicher Fakt, alles, was wir durch unsere Sinne wahrnehmen, findet in unseren Schädeln statt. Wir sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken nie das Original, sondern nehmen nur eine schier perfekte Kopie wahr, Interpretationen unseres Bewusstseins, oder in anderen Worten eine Illusion. Das, was wir sehen, sehen wir im Gehirn, so, wie alles im Gehirn, Emotionen, Gefühle et cetera, wahrgenommen wird. Elektrische Impulse, die nicht wieder in ein Bild und so weiter umgewandelt werden, denn sonst bräuchte man wieder ein Auge und so fort, und ewig ein weiteres. Wer sieht denn dann ohne Augen, und wer hört ohne Ohren, und wer fühlt ohne Hände, und wer riecht ohne Nase, und wer schmeckt ohne Zunge? Gehirnzellen können nichts von alledem! Alles, was wir durch unsere Sinne wahrnehmen, entsteht im Gehirn, im Bewusstsein. Es gibt kein dort draußen, das nicht unser Inneres ist. Ein Baum, der Mond und auch die Sterne, alles befindet sich im Gehirn, die wir als Illusion, schier perfekte Kopie und Interpretation unserer Sinne nach außen projizieren. Da wir die Materie illusionär wahrnehmen, das Original nicht berühren und auch nicht sehen können, kann deren Existenz in Wirklichkeit weder bewiesen noch widerlegt werden. Alle Sinne werden in elektrische Impulse umgewandelt, aus diesen wird auch nichts anderes mehr gemacht, und wir sehen nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn. Das, was du gerade siehst, ist ein entstehendes Bild in deinem Gehirn, und nichts, was du außerhalb von dir siehst. Doch gibt es kein Bild, das in einem geöffneten Schädel zu sehen wäre, und auch ist es am helllichten Tage dunkel in ihm. Unser Bewusstsein sieht dieses Bild, und auch alles andere, was unsere Sinne in elektrische Impulse umwandeln. Alles, was wir wahrnehmen, ist unser eigenes Bewusstsein. Es gibt keine Geräusche außerhalb vom Schädel und dem Bewusstsein, sondern Schallwellen. Es gibt keine Farben außerhalb vom Schädel und dem Bewusstsein, sondern elektromagnetische Wellen in verschiedenen Wellenlängen, und Licht sind elektromagnetische Wellen und Photonen. Oder kurz gesagt, alles ist nur Energie. Es ist ein wissenschaftlicher Fakt, es existiert außerhalb von uns kein Geräusch, keine Farbe und auch kein Licht. Alles wird im Gehirn, im Bewusstsein wahrgenommen, und wir können den inneren Raum nicht verlassen. Andere Lebewesen nehmen ihre Umwelt anders wahr, als eine andere Sichtweise, Möglichkeit. Wer sieht denn dann, hört, empfindet, nimmt Emotionen wahr und so weiter? Wenn man sich ein Fernsehbild betrachtet, dann übertreffen unsere Wahrnehmungen die besten technischen Geräte, von Gerüchen, Gefühlen, Emotionen et cetera mal ganz zu schweigen. Stell dir ein menschliches Gehirn einmal vor. Ein Stück wabbelige Masse, ein Stück Fleisch. Glaubst du wirklich, darin könnte so etwas Perfektes, solche Bilder und Wahrnehmungen entstehen? Es ist die Seele, deren Nebenprodukt das Bewusstsein ist, die wahrnimmt und die Bilder betrachtet, die Freude, Vergnügen, sprich eine breit gefächerte Palette an Emotionen empfinden kann, die denkt und träumt und Unzähliges mehr.

"Das Schicksal der Seele ist in die Materie geschrieben."
( Johann Christoph Friedrich von Schiller )

"Der niederen Seele, die sich darauf beschränkt, den Garten zu bewundern, bleibt das Gesicht des Gärtners vorenthalten."
( Rumi, Die Lehren des Rumi )

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Graeculus (69)
(05.01.15)
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Graeculus (69)
(05.01.15)
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 EkkehartMittelberg (05.01.15)
Dein faszinierender Essay löst bei mir zwei Gedanken aus:

1. So komplex und fein strukturiert unsere Gehirne auch sein mögen, sie nehmen, wie du richtig schreibst, nie die Dinge an sich wahr, sondern Aspekte von ihnen, die sie unterschiedlich interpretieren. Das ist seit Kant bekannt. Interessant finde ich, dass Heinrich von Kleist (Kant-Erlebnis) darüber so verzweifelt war, dass es nicht eine allen zugängliche gemeinsame Wahrheit gibt. Ich finde gerade diese unterschiedlichen Spiegelungen und die Diskussionen darüber aufregend und möchte es gar nicht anders haben.

2. "Alles, was wir wahrnehmen, ist unser eigenes Bewusstsein." Richtig, und dieses ist im Gehirn verortet. Eigentlich bräuchten wir den Begriff Seele nicht, wir könnten mit den Begriffen Gehirn oder Bewusstsein auskommen. Aber gerade wenn es um emotionale Wahrnehmungen geht, haben wir uns daran gewöhnt, diese der Seele zuzuschreiben, und das ist gut so; denn auch wenn die Seele tatsächlich nicht außerhalb des Hirns existiert, ist sie doch eine herrliche Metapher für künstlerische Wahrnehmungen und solche von Hass und Liebe.

 Regina (05.01.15)
Wahrnehmung bleibt rätselhaft. Sie ist selektiv, d.h. wir nehmen das wahr, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, und es entgeht uns vieles. Nach einer bestimmten Theorie ist dort nichts, wenn niemand etwas wahrnimmt und wo die projizierten Bilder sind, wissen wir auch nicht. Das Auge arbeitet ähnlich einer Fotolinse, und das Gehirn ist eher so etwas wie ein Transformator, aber wo die Leinwand für den Film steht, das weiß keiner so recht. Darüber hinaus ist Wahrnehmung nicht immer von Einbildung zu trennen, die Grenzen sind jedenfalls fließend.
Graeculus (69)
(05.01.15)
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 AndreasG (05.01.15)
Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass der Rest auch Illusion ist?

 EkkehartMittelberg (06.01.15)
Das sehe ich anders, Graeculus. Das erkennende Subjekt ist die Schaltzentrale des Gehirns, die sich selbst zum Gegenstand der Erkenntnis macht (erkanntes Objekt).

 Erdenreiter (06.01.15)
Graeculus
Auch wenn das Zitat schon was her ist, und heutzutage etwas anders formuliert werden würde, ein interessanter Gedanke, über den es sich in meinen Augen lohnt nachzudenken.

"Wie wurden die Körper der Tiere so kunstvoll ersonnen und zu welchem Zwecke dienen ihre einzelnen Teile? Wurde das Auge hergestellt ohne Fertigkeit in der Optik und das Ohr ohne die Wissenschaft vom Schall? Wie geschieht es, dass die Bewegungen des Körpers dem Willen folgen, und woher rührt der Instinkt der Tiere? Ist nicht der Sitz der Empfindung der Tiere da, wo die empfindende Substanz sich befindet, und wohin die wahrnehmbaren Bilder der Außenwelt durch die Nerven und das Gehirn geleitet werden, um dort durch ihre unmittelbare Gegenwart bei dieser Substanz zur Wahrnehmung zu gelangen? Und da dies alles so wohl eingerichtet ist, wird es nicht aus den Naturerscheinungen offenbar, dass es ein unkörperliches, lebendiges, intelligentes und allgegenwärtiges Wesen geben muss, welches im unendlichen Raume, gleichsam seinem Empfindungsorgane, alle Dinge in ihrem Innersten durchschaut und sie in unmittelbarer Gegenwart völlig begreift, Dinge, von denen in unser kleines Empfindungsorgan durch die Sinne nur die Bilder geleitet und von dem, was in uns empfindet und denkt, geschaut und betrachtet werden? Und wenn uns auch jeder richtige, in dieser Philosophie getane Schritt nicht unmittelbar zur Erkenntnis der ersten Ursache führt, bringt er uns doch dieser Erkenntnis näher und ist deshalb hoch zu schätzen."
( Sir Isaac Newton, Mathematiker, Physiker und Astronom, Optik oder Abhandlung über Spiegelungen, Brechungen, Beugungen und Farben des Lichts, aus Ostwalds Klassiker )

 Erdenreiter (06.01.15)
EkkehartMittelberg
Interessanter Kommentar von Dir. In meinen Augen ist Seele und Bewusstsein untrennbar voneinander, und man könnte statt Seele auch Bewusstsein sagen.

 Erdenreiter (07.01.15)
AndreasG
Ich bin mir nicht sicher, was Du mit Rest meinst. Es gibt keine elektrische Impulse, elektrische Wellen, die anfangen können zu denken. Die Neuronen im Zusammenspiel mit den elektrischen Impulsen können auch nicht das Bewusstsein sein, denn dann würde man ja davon ausgehen, dass eine chemische Reaktion Bewusstsein besitzen kann, und so etwas gibt es nicht. Bewusstsein ist in meinen Augen keine Illusion vom Gehirn, falls Du es so gemeint haben solltest, weil das Gehirn an sich nichts besitzt, was ein Bewusstsein hervorbringen, sehen, empfinden und so weiter könnte.

 AndreasG (07.01.15)
"Es gibt keine elektrische Impulse, elektrische Wellen, die anfangen können zu denken." - Klar, aber Bilder können sie vermitteln, Geräusche, Düfte, Geschmack und Gefühltes.
Das Geheimnis des Lebens ist, dass es mehr ist als die Summe der Einzelteile. Nimm die Bestandteile und misch sie zusammen: es wird keine Zelle herauskommen, geschweige denn ein mehrzelliges Lebewesen. Das Leben potenziert die Möglichkeiten.
"... weil das Gehirn an sich nichts besitzt, was ein Bewusstsein hervorbringen, sehen, empfinden und so weiter könnte ..." - Aber Bilder, Erinnerungen, Sprache, Musik und der ganze Kram können im Gehirn sein, obwohl es nichts besitzt, was dies hervorbringen könnte?

 Erdenreiter (07.01.15)
AndreasG
Alle Sinne werden in elektrische Impulse umgewandelt. Es gibt kein Bild, kein Geräusch und so weiter im Gehirn, sondern elektrische Impulse. Wenn man Licht sieht, ist es im Schädel dunkel, und wenn man Musik hörst, ist es dort still. Alles wird erst im Bewusstsein wahrgenommen. Zum Beispiel ist auch der Raum ( Tiefe ), sogar die Zeit, also das vergleichen von Ereignissen, eine Wahrnehmung des Bewusstseins. Albert Einstein sagte, dass Zeit nicht vom Bewusstsein getrennt werden kann. Um Deine Frage zu beantworten, schreibe ich den Satz um. Bilder, Erinnerungen, Sprache, Musik und der ganze Kram können im Gehirn als elektrische Impulse vorhanden sein, und es besitzt nichts, womit es sie wahrnehmen und erleben könnte, und nichts wodurch ein Bewusstsein entstehen könnte.

 AndreasG (07.01.15)
Dann ist das Bewusstsein vielleicht auch nur eine Illusion?

 Erdenreiter (10.01.15)
AndreasG
"Der Inhalt des Bewußtseins ist Bewußtsein."
( Krishnamurti, Vollkommene Freiheit )
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