Weimar-Mazur, Werner:
herzecho - lyrische sonogramme
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Erscheinungsdatum: 16. Dezember 2016, Verlag Rote Zahlen, Buxtehude
116 Seiten, Hardcover 21x21, Fadenheftung, 14,90 €, ISBN 978-3-944643-72-4
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Leseprobe
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Nachwort
welten – gegenwelten
warane parken im krähenwinkel
zur lyrik von werner weimar-mazur
nach »Tauch ein« (1995) und »hautsterben« (2012) legt werner weimar-mazur mit »herzecho – lyrische sonogramme« seinen dritten gedichtband vor. die motivwelt der neuen gedichte entstammt zu einem großen teil der geologie, der autor arbeitet selbst als geologe, und der tierwelt. daneben finden wir motive der medizin und der archäologie. der medizinisch klingende buchtitel, »herzecho – lyrische sonogramme«, passt, wie das cover-motiv, zu den medizinischen motiven, assoziiert jedoch auch echos der seele, deren sitz das herz sein sollte. griechisch kardia = herz ist verwandt mit lateinisch cardo = hauptpunkt, hauptachse, angelpunkt, drehpunkt, weltachse, pol, wendepunkt, türangel, eigentlich schwinge, spätlateinisch himmel. da das herz das zentrum des lebens bildet, konnte es lebensursprung sowie organ der liebe, heilung und auferstehung sein.
andere motive stammen aus der familiengeschichte. die mutter, thüringer herkunft, und der vater, mecklenburger polnischer abstammung, sind, meist eingebettet in kindheitserinnerungen, häufige figuren. zur empathie dieser gedichte gehört, dass sie oft ein du ansprechen, was ihnen teilweise etwas dialogisches gibt. mitunter wird ein wir aufgerufen, das sonst eher der lyrik slawischer länder eigen ist. durch seinen vater hat werner weimar-mazur ein verhältnis zu polnischen mentalitäten, was man bei verdichtungen seiner besuche in polen merkt, aber auch an polnischen tonfällen seiner lyrik. diese beschäftigung führt bis zur vorstellung, dass er bei andern lebensumständen auch in polen hätte aufwachsen können, und seinen anderen ursprung dann vielleicht im deutschen, und hier besonders in weimar und thüringen, suchen würde.
häufig erscheint auch die deutsche einfamilienhaussiedlung mit ihren bewohnern, häusern und gärten. letztere kann man, wie parkanlagen, als nachfolgeformen, nachahmungen oder variationen des waldes sehen. in der zunächst realistisch geschilderten stadtwelt, die wiederholt phantastisch verfremdet und bisweilen auch ironisch betrachtet wird, geschehen jedoch unerwartete dinge. mitunter schieben sich, auf gefährdungen unserer lebenswelt verweisend, bilder von gewalt und krieg, oder auch moderner technik, in den alltag, oder in urlaubswelten, und bedrohen so die tatsächliche oder scheinbare idylle, wie in »quittenland«: »streunen kinder durch die nächte / sprühen sie schreie an wände / und gießen quecksilber übers trottoir / fallen auf dem boulevard schüsse / klopfen stimmen ans fenster / letzte nacht war es der regen«.
bei einem lyriker findet man, direkt oder indirekt, neben den personen immer auch die landschaften der kindheit und jugend. bei werner weimar-mazur sind dies vor allem südwestdeutsche mittelgebirge wie der schwarzwald sowie alpine landschaften. er betrachtet topographien, den geologischen blick steigernd, magisch. als ich seine gedichte vor einigen jahren erstmals las, dachte ich zunächst an andré du bouchet, einen französischen lyriker des 20. jahrhunderts, in dessen gedichten die steine klirren und der schrieb: »Alles hebt an mit dem unvollendeten Berg, / mit einem verlorenen Augenblick Erde.« und »überall splittern / unsre Gesichtszüge.«
»insubrische linien ziehen durch grate / einem schürfling aus der unteren erdkruste gleich / führst du meine hand / und streichst glatt das gebirge« heißt es in »gott hart«. hier verbindet weimar-mazur, wie auch an anderen stellen, das erdgeschichtliche direkt mit dem privaten, ja intimen. man kann den lyriker einen geologen der seele nennen. bergleute empfanden erze, kristalle und minerale teils als etwas wachsendes und lebendiges, pflanzen, oder gar tieren, nicht unähnliches. romantische dichter, vorläufer und zugleich frühe kritiker der moderne, die den erdinnenraum als einen seelenraum betrachteten, sahen in solchen gesteinen herzen der erde. das erz, das der mensch zum profanen gebrauch embryonen und herzen gleich dem leib der berge entreißt, um es in geld und gewinn zu verwandeln, korrespondiert in der literatur seit der romantik vielfach mit dem motiv des kalten herzens. mythen verschiedener völker kennen gebärende steine. zugrunde lag die vorstellung, dass in bestimmten steinen der geist der ahnen stecke, dem an der fruchtbarkeit der nachfahren gelegen sein muss. der versuch, wissenschaftlich nachzuweisen, dass kristalle lebendige wesen seien, die eine seele haben, sich bewegen und vermehren und nahrung aufnehmen, blieb dem philosophischen naturforscher ernst haeckel, einem nachfolger darwins, vorbehalten.
der leser begegnet in den neuen gedichten von werner weimar-mazur annähernd siebzig tieren, davon fast dreißig vogelarten und über zehn insektenarten, vor allem schmetterlingen. man findet exotisch und phantastisch anmutende tiere, die oft als wesen einer gegenwelt oder vermittler zwischen realität und phantasie erscheinen, silberlöwe, schneeleopardin, jaguar, elefant, giraffe, waran, gecko, leguan, salamander, wasserschlange, flughund, kolibri, bis hin zu vogelmenschen und papiervögeln, und seltenen einheimischen wie schwarzstorch und waldrapp, aber auch sehr kleinen, beißschrecke, skorpion, florfliege und wanze. für amseln, einst einsame waldvögel, die heute immer häufiger in menschlichen siedlungen zwischen hecken und sträuchern leben, scheint der autor eine besondere vorliebe zu haben. in dieser affinität zu tieren wirkt auch eine sehnsucht nach verlorener natur mit. manche unserer vogelarten konnten immerhin aus dem gerodeten wald in kleingärten und parks übersiedeln, weil sie dafür jahrhunderte zeit hatten.
weimar-mazur ist ein entdecker und schöpfer zeitlicher und räumlicher verfremdungen. nicht zufällig erscheint bei ihm ein vogel wie der waldrapp, siehe das gedicht »wawel«, der seine eigene merkwürdige natur- und kulturgeschichte hat. der waldrapp, auch waldrabe genannt, der europäische schopfibis, ein naher verwandter des einst heiligen schwarzen ägyptischen ibis, den herodot beschrieb, war während der eiszeiten in europa verbreitet. vor seinem aussterben waren die alpen sein letztes rückzugsgebiet. dort lebte und brütete er noch bis 1630 vereinzelt, und daher isoliert, etwa in der steiermark und der schweiz, ehe er verschwand. für den deutschen sprachraum überliefert blieb er allein durch konrad gesner, der ihn waldrapp nannte und in seinem 1557 erschienenen »Vogelbuch« schilderte und abbildete. überleben konnte der waldrapp in afrika. inzwischen versucht man, ihn wieder in mitteleuropa anzusiedeln.
gegenüber werner weimar-mazurs zweitem lyrikband »hautsterben« sind die gedichte in »herzecho – lyrische sonogramme«, während viele motive in variationen erneut erscheinen, komplexer, verfremdender, spielerischer und phantastischer geworden. übergänge zwischen realismus und phantastischer verfremdung sowie ausbrüche und transformationen ins phantastische, das kontraste zur profanen lebenswirklichkeit bildet, aus der es teilweise zugleich hervorgeht, gehören inzwischen zu den eigenarten seiner lyrik, die vor allem von visuellen wahrnehmungen lebt. indem er assoziativ und filmschnittartig, oder wie in traumsequenzen, zeiten und räume verschiebt, fließen realistische beschreibungen des alltags und imaginierte gegenwelten ineinander. man kann darin eine tendenz zum magischen oder phantastischen realismus sehen. »im summen von florfliegen und helikoptern / wartet gondwana« lesen wir in »wendekreis des kolibris«. der schlafmohn erscheint gefiedert (»thüringen«). warane parken im krähenwinkel (»subkutanes«). und eine giraffe schläft vor dem fenster (»erwachen«). die real erlebten oder imaginierten tiere werden zu vertrauten wesen, die sie dem menschen in urzeiten, und noch vergangenen jahrhunderten, einmal waren. elias canetti prognostizierte, mit wachsender erkenntnis würden dem menschen die tiere wieder näher sein. wenn sie dann aber so nahe seien wie schon einmal in den ältesten mythen, werde es keine tiere mehr geben.
»in erinnerung an mein leben / als echse häute ich mich / dreimal täglich« heißts in »echsenleben«. die anverwandlung ermöglicht empathie, und umgekehrt. für echsen im hausgarten, die wie urzeitliche gepanzerte schuppentiere anmuten, mit denen das lyrische ich spricht, wird im gedicht sogar die eigene wohnung geräumt (»trauerbündel«). octavio paz, der meinte, »Doch, man soll Birnen von der Ulme erwarten.«, schrieb in seinem gedicht »Geschichte von zwei Gärten«: »Ein Haus, ein Garten / Das sind keine Orte: Sie kreisen, gehen und kommen, / Ihre Erscheinungen öffnen im Raum / Einen anderen Raum, / Eine andere Zeit in der Zeit.« und »Dem Haus ist eine Schuppenhaut gewachsen.« haus und haut sind etymologisch verwandt. die schuppenhaut als panzer soll, wie das haus, vor der außenwelt schützen.
auffallend bei weimar-mazur ist die häufige hautsymbolik, die ebenfalls auf besondere berührbarkeit, also sensibilität, verweist. häutungen können erneuerungen, verwandlungen und wiedergeburten sein. in »subkutanes« erklärt er: »jeden tag erlebe ich / ein blutwunder meine haut / bricht auf und heraus quellen azurfalter«, was zugleich das aufbrechen von blüten assoziiert. auch falter und falterstaub korrespondieren mit hautempfindungen: »adonisfalter wollen wir sein / auf einem röntgenbild / mit lungenflügeln« (»undulation«).
oft klingt in den gedichten von werner weimar-mazur eine tiefe trauer über den verlust von welt, oder welten, an, die er zu überwinden versucht, indem er dichterisch eine gegenwelt, oder gegenwelten, erschafft. dabei spürt er mit genauer beobachtung und beschreibung den unter der oberfläche, so von haut oder erdkruste, verborgenen magischen realitäten nach. auf diese weise ist er ein romantischer und moderner dichter zugleich. der verleger hans-joachim griebe begründete die annahme des manuskripts von »herzecho – lyrische sonogramme« unter anderem mit dem eigenen, konsistenten und wiedererkennbaren stil der gedichte und damit, dass weimar-mazur mit seiner lyrik im verlag eine lücke fülle »zwischen den "avantgardistischen" und den "konventionellen" Texten – wobei die Anführungszeichen sehr ernst zu nehmen sind.«
schönebeck an der elbe, 31. oktober 2016
holger benkel
warane parken im krähenwinkel
zur lyrik von werner weimar-mazur
nach »Tauch ein« (1995) und »hautsterben« (2012) legt werner weimar-mazur mit »herzecho – lyrische sonogramme« seinen dritten gedichtband vor. die motivwelt der neuen gedichte entstammt zu einem großen teil der geologie, der autor arbeitet selbst als geologe, und der tierwelt. daneben finden wir motive der medizin und der archäologie. der medizinisch klingende buchtitel, »herzecho – lyrische sonogramme«, passt, wie das cover-motiv, zu den medizinischen motiven, assoziiert jedoch auch echos der seele, deren sitz das herz sein sollte. griechisch kardia = herz ist verwandt mit lateinisch cardo = hauptpunkt, hauptachse, angelpunkt, drehpunkt, weltachse, pol, wendepunkt, türangel, eigentlich schwinge, spätlateinisch himmel. da das herz das zentrum des lebens bildet, konnte es lebensursprung sowie organ der liebe, heilung und auferstehung sein.
andere motive stammen aus der familiengeschichte. die mutter, thüringer herkunft, und der vater, mecklenburger polnischer abstammung, sind, meist eingebettet in kindheitserinnerungen, häufige figuren. zur empathie dieser gedichte gehört, dass sie oft ein du ansprechen, was ihnen teilweise etwas dialogisches gibt. mitunter wird ein wir aufgerufen, das sonst eher der lyrik slawischer länder eigen ist. durch seinen vater hat werner weimar-mazur ein verhältnis zu polnischen mentalitäten, was man bei verdichtungen seiner besuche in polen merkt, aber auch an polnischen tonfällen seiner lyrik. diese beschäftigung führt bis zur vorstellung, dass er bei andern lebensumständen auch in polen hätte aufwachsen können, und seinen anderen ursprung dann vielleicht im deutschen, und hier besonders in weimar und thüringen, suchen würde.
häufig erscheint auch die deutsche einfamilienhaussiedlung mit ihren bewohnern, häusern und gärten. letztere kann man, wie parkanlagen, als nachfolgeformen, nachahmungen oder variationen des waldes sehen. in der zunächst realistisch geschilderten stadtwelt, die wiederholt phantastisch verfremdet und bisweilen auch ironisch betrachtet wird, geschehen jedoch unerwartete dinge. mitunter schieben sich, auf gefährdungen unserer lebenswelt verweisend, bilder von gewalt und krieg, oder auch moderner technik, in den alltag, oder in urlaubswelten, und bedrohen so die tatsächliche oder scheinbare idylle, wie in »quittenland«: »streunen kinder durch die nächte / sprühen sie schreie an wände / und gießen quecksilber übers trottoir / fallen auf dem boulevard schüsse / klopfen stimmen ans fenster / letzte nacht war es der regen«.
bei einem lyriker findet man, direkt oder indirekt, neben den personen immer auch die landschaften der kindheit und jugend. bei werner weimar-mazur sind dies vor allem südwestdeutsche mittelgebirge wie der schwarzwald sowie alpine landschaften. er betrachtet topographien, den geologischen blick steigernd, magisch. als ich seine gedichte vor einigen jahren erstmals las, dachte ich zunächst an andré du bouchet, einen französischen lyriker des 20. jahrhunderts, in dessen gedichten die steine klirren und der schrieb: »Alles hebt an mit dem unvollendeten Berg, / mit einem verlorenen Augenblick Erde.« und »überall splittern / unsre Gesichtszüge.«
»insubrische linien ziehen durch grate / einem schürfling aus der unteren erdkruste gleich / führst du meine hand / und streichst glatt das gebirge« heißt es in »gott hart«. hier verbindet weimar-mazur, wie auch an anderen stellen, das erdgeschichtliche direkt mit dem privaten, ja intimen. man kann den lyriker einen geologen der seele nennen. bergleute empfanden erze, kristalle und minerale teils als etwas wachsendes und lebendiges, pflanzen, oder gar tieren, nicht unähnliches. romantische dichter, vorläufer und zugleich frühe kritiker der moderne, die den erdinnenraum als einen seelenraum betrachteten, sahen in solchen gesteinen herzen der erde. das erz, das der mensch zum profanen gebrauch embryonen und herzen gleich dem leib der berge entreißt, um es in geld und gewinn zu verwandeln, korrespondiert in der literatur seit der romantik vielfach mit dem motiv des kalten herzens. mythen verschiedener völker kennen gebärende steine. zugrunde lag die vorstellung, dass in bestimmten steinen der geist der ahnen stecke, dem an der fruchtbarkeit der nachfahren gelegen sein muss. der versuch, wissenschaftlich nachzuweisen, dass kristalle lebendige wesen seien, die eine seele haben, sich bewegen und vermehren und nahrung aufnehmen, blieb dem philosophischen naturforscher ernst haeckel, einem nachfolger darwins, vorbehalten.
der leser begegnet in den neuen gedichten von werner weimar-mazur annähernd siebzig tieren, davon fast dreißig vogelarten und über zehn insektenarten, vor allem schmetterlingen. man findet exotisch und phantastisch anmutende tiere, die oft als wesen einer gegenwelt oder vermittler zwischen realität und phantasie erscheinen, silberlöwe, schneeleopardin, jaguar, elefant, giraffe, waran, gecko, leguan, salamander, wasserschlange, flughund, kolibri, bis hin zu vogelmenschen und papiervögeln, und seltenen einheimischen wie schwarzstorch und waldrapp, aber auch sehr kleinen, beißschrecke, skorpion, florfliege und wanze. für amseln, einst einsame waldvögel, die heute immer häufiger in menschlichen siedlungen zwischen hecken und sträuchern leben, scheint der autor eine besondere vorliebe zu haben. in dieser affinität zu tieren wirkt auch eine sehnsucht nach verlorener natur mit. manche unserer vogelarten konnten immerhin aus dem gerodeten wald in kleingärten und parks übersiedeln, weil sie dafür jahrhunderte zeit hatten.
weimar-mazur ist ein entdecker und schöpfer zeitlicher und räumlicher verfremdungen. nicht zufällig erscheint bei ihm ein vogel wie der waldrapp, siehe das gedicht »wawel«, der seine eigene merkwürdige natur- und kulturgeschichte hat. der waldrapp, auch waldrabe genannt, der europäische schopfibis, ein naher verwandter des einst heiligen schwarzen ägyptischen ibis, den herodot beschrieb, war während der eiszeiten in europa verbreitet. vor seinem aussterben waren die alpen sein letztes rückzugsgebiet. dort lebte und brütete er noch bis 1630 vereinzelt, und daher isoliert, etwa in der steiermark und der schweiz, ehe er verschwand. für den deutschen sprachraum überliefert blieb er allein durch konrad gesner, der ihn waldrapp nannte und in seinem 1557 erschienenen »Vogelbuch« schilderte und abbildete. überleben konnte der waldrapp in afrika. inzwischen versucht man, ihn wieder in mitteleuropa anzusiedeln.
gegenüber werner weimar-mazurs zweitem lyrikband »hautsterben« sind die gedichte in »herzecho – lyrische sonogramme«, während viele motive in variationen erneut erscheinen, komplexer, verfremdender, spielerischer und phantastischer geworden. übergänge zwischen realismus und phantastischer verfremdung sowie ausbrüche und transformationen ins phantastische, das kontraste zur profanen lebenswirklichkeit bildet, aus der es teilweise zugleich hervorgeht, gehören inzwischen zu den eigenarten seiner lyrik, die vor allem von visuellen wahrnehmungen lebt. indem er assoziativ und filmschnittartig, oder wie in traumsequenzen, zeiten und räume verschiebt, fließen realistische beschreibungen des alltags und imaginierte gegenwelten ineinander. man kann darin eine tendenz zum magischen oder phantastischen realismus sehen. »im summen von florfliegen und helikoptern / wartet gondwana« lesen wir in »wendekreis des kolibris«. der schlafmohn erscheint gefiedert (»thüringen«). warane parken im krähenwinkel (»subkutanes«). und eine giraffe schläft vor dem fenster (»erwachen«). die real erlebten oder imaginierten tiere werden zu vertrauten wesen, die sie dem menschen in urzeiten, und noch vergangenen jahrhunderten, einmal waren. elias canetti prognostizierte, mit wachsender erkenntnis würden dem menschen die tiere wieder näher sein. wenn sie dann aber so nahe seien wie schon einmal in den ältesten mythen, werde es keine tiere mehr geben.
»in erinnerung an mein leben / als echse häute ich mich / dreimal täglich« heißts in »echsenleben«. die anverwandlung ermöglicht empathie, und umgekehrt. für echsen im hausgarten, die wie urzeitliche gepanzerte schuppentiere anmuten, mit denen das lyrische ich spricht, wird im gedicht sogar die eigene wohnung geräumt (»trauerbündel«). octavio paz, der meinte, »Doch, man soll Birnen von der Ulme erwarten.«, schrieb in seinem gedicht »Geschichte von zwei Gärten«: »Ein Haus, ein Garten / Das sind keine Orte: Sie kreisen, gehen und kommen, / Ihre Erscheinungen öffnen im Raum / Einen anderen Raum, / Eine andere Zeit in der Zeit.« und »Dem Haus ist eine Schuppenhaut gewachsen.« haus und haut sind etymologisch verwandt. die schuppenhaut als panzer soll, wie das haus, vor der außenwelt schützen.
auffallend bei weimar-mazur ist die häufige hautsymbolik, die ebenfalls auf besondere berührbarkeit, also sensibilität, verweist. häutungen können erneuerungen, verwandlungen und wiedergeburten sein. in »subkutanes« erklärt er: »jeden tag erlebe ich / ein blutwunder meine haut / bricht auf und heraus quellen azurfalter«, was zugleich das aufbrechen von blüten assoziiert. auch falter und falterstaub korrespondieren mit hautempfindungen: »adonisfalter wollen wir sein / auf einem röntgenbild / mit lungenflügeln« (»undulation«).
oft klingt in den gedichten von werner weimar-mazur eine tiefe trauer über den verlust von welt, oder welten, an, die er zu überwinden versucht, indem er dichterisch eine gegenwelt, oder gegenwelten, erschafft. dabei spürt er mit genauer beobachtung und beschreibung den unter der oberfläche, so von haut oder erdkruste, verborgenen magischen realitäten nach. auf diese weise ist er ein romantischer und moderner dichter zugleich. der verleger hans-joachim griebe begründete die annahme des manuskripts von »herzecho – lyrische sonogramme« unter anderem mit dem eigenen, konsistenten und wiedererkennbaren stil der gedichte und damit, dass weimar-mazur mit seiner lyrik im verlag eine lücke fülle »zwischen den "avantgardistischen" und den "konventionellen" Texten – wobei die Anführungszeichen sehr ernst zu nehmen sind.«
schönebeck an der elbe, 31. oktober 2016
holger benkel
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Kommentare zu diesem Buch
"Ein toller Titel zum mutigen Cover, und Deine Gedichte haben in der Tat etwas von kleinen Faltern, weil sie sich so still und behutsam bewegen. ... ich mag die strenge Ökonomie der Wörter, sie schult das Ohr beim Lesen, jedenfalls meins." ... Die Gedichte sind „leicht wie Insekten auf Haut.“
( Ulrike Almut Sandig, 02.02.2017 über "herzecho – lyrische sonogramme")
( Ulrike Almut Sandig, 02.02.2017 über "herzecho – lyrische sonogramme")