KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Weichselflieder
715. Kolumne
für Dieter Roth
Endlich öffnete der Friseursalon wieder, der wegen der Corona-Seuche sieben lange Wochen geschlossen war. Endlich sah ich sie wieder: die Frau Meisterin, die schöne Polin. „Kommen Sie“, sagte sie, „setzen Sie sich auf den Waschstuhl!“ Ich setzte mich. Sie zog die Rückenlehne fast in die Horizontale, duschte meine Löwenmähne, gab eine leicht parfümierte Flüssigkeit dazu – es duftete nach dem Flieder an den Ufern der Weichsel – dann griff sie mit beiden Händen beherzt in meine wilde Haarpracht und wusch mir den Kopf. Mir war, als würde sie nicht nur mein Haar waschen, sondern ... „Halten Sie bitte Ihren Mund-und-Nasenschutz mit beiden Händen fest!“, befahl sie. Aber der Fliederduft blieb stärker als die Beschränkung auf die rein profane Waschung, und mein zarter Gedankenflug schwang sich wieder hinauf in höhere Zonen, ohne dass die tieferen dabei unberührt blieben. „So“, sagte die Meisterin nach dem Föhnen, „wir gehen jetzt hinüber zum Frisierstuhl.“ Als die schöne Meisterin begann, mir die Haare zu schneiden, sah ich ihre Augen im Spiegel, wieder stieg mir der Duft der Fliederblüten zu Kopf, und ich fragte sie – mir fiel in meiner besonderen Gestimmtheit nichts Besseres ein –, ob der Flieder an der Weichsel blau sei oder weiß. „Junger Mann“, sagte sie, „in ganz Polen wächst nur weißer und roter Flieder!“ Nun wusste ich: ich musste subtiler vorgehen beim nächsten Mal, wenn sie mich in der Haardusche krault, und in mir wuchs schon eine Idee.