KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Sonntag, 09. Mai 2021, 21:14
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Mein kv - 12. unangepasste

763. Kolumne

Als ich Sigune persönlich kennenlernte, wusste ich nicht, dass sie schon 2004, lange vor mir, bei kv war und zu den ersten kv-Leuten gehört. Irgendwie kam sie mit unserer Literaturzeitschrift „Dichtungsring“ in Berührung, ich weiß nicht mehr, wie. Und seit Jahren arbeitet sie mit in der Redaktion und war Mitherausgeberin von einigen Ausgaben, wie auch gerade jetzt bei Nr. 59 im 40. Jubiläumsjahr unserer Zeitschrift. Obwohl sie in Düsseldorf als Übersetzerin arbeitet und wohnt, kam sie vor Corona zu den Sitzungen in Bonn und manchmal sogar bei Neuwied.

Wir in der Redaktion verfolgten vor wenigen Jahren ihren Weg zum und im Finale des „Leonce-und-Lena-Preises“. Inzwischen gewann sie einige andere Literaturpreise, darunter der renommierte postpoetry-Preis.

Sie veröffentlichte bisher zwei Einzelbände mit Lyrik und soeben erschien ein neuer Band mit Gedichten von ihr und zwei weiteren Autoren, die jetzt im Bonner Freigang-Verlag von Rainer Maria Gassen erschien.

Ihr erster Gedichtband, „Apfeltage regnen“, 2017 veröffentlicht im Geest-Verlag, ist ein beachtlicher Zyklus. Ich sehe das Ganze als Lebensstufen. Am Anfang Kindheit und viel Phantasie, eigener Kosmos, viele Farben, die Mutter behütet und stört zugleich (der Weckruf zur familiären Pflicht). Neugierde auf die große weite Welt (Schaukel und Asphalt). In vielen Naturbildern und in einer filigranen Du-Ich-Dialektik schreitet die Zeit und das Werden voran. Das Du ist ambivalent: es kann reflexiv gesehen werden, es bezeichnet auch Sehnsucht, Suche und Erfahrung mit einem anderen Du, das weit mehr ist als ein Alter Ego. Die Erfahrung der Liebe erscheint jedoch brüchig von Anfang an - weil Kindheitsreste stören, Desillusionierungen erfolgen und das kindliche Einssein von Ich und Welt verloren geht bzw. nicht transformiert wird.

Die 1981 geborene Autorin schreibt nicht nur reine Gedichte, sondern auch Prosa, sie nennt sie Prosagedichte. Und sie beherrscht auch die Form des Sonetts:

Gedankenschwere

Gekentert ist mein Boot an deiner Klippe.
Zu ungestüm hast du den Fuß hinein
gesetzt. Es schwang hinauf wie eine Wippe
und warf mich ab; jetzt treibe ich allein.

Die Algen sanken tot zum Meeresgrund,
als deine Füße in das Wasser glitten,
und meine Leichtigkeit verschwand im Schlund
von Haien, deren Zähne sie zerschnitten.

Am Ufer fällt der Sanddorn von den Zweigen.
Die Vogelscharen flattern durch mein Schweigen
und kreischen schwarze Lieder zu den Beeren,

auf denen rot die Abendstrahlen weilen.
Und manchmal schwappt das Wasser auf die schweren
Gedanken, die im Schlick die Zellen teilen.

In vielen einfallsreichen und überraschenden Wortwendungen und Bildern formuliert sich die Schwierigkeit und wachsende Schwere des Seins. Viele Motive der Gedichte sind untereinander vernetzt. Am Ende steht so etwas wie das Erwachsengewordensein - und das hat die Farbe Weiß. Es ist nicht das Weiß der Unschuld, sondern der Farblosigkeit. Der Verstand und das Durchschauen des Seins beendet das kindliche Paradies, es wird empfunden als größter Verlust. Der Aspekt eines Gewinns wird zuletzt allenfalls indirekt erhofft oder ersehnt. Aber die Farben sind gestorben. An diesen Schluss kann sich ein neuer Gedichtzyklus anschließen. Der Schluss dieses ersten Gedichtbands ist zwar kein Lamento, aber eine indirekte Elegie.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Judas (07.05.21)
Sie spielt außerdem unfassbar gut Harfe.
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