KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Credo
813. Kolumne
Pirandello erwartete mich schon. „Signor Damonte“, rief er, „Sie haben La Traviata in Leipzig gesehen, stimmt’s?“ – „Woher wissen Sie ...?“ – „Pschsch ...“, machte er, „... egal! Sagen Sie, kennen Sie die Callas?“ – „Und ob!“, sagte ich, „aber nur von Schallplattenaufnahmen ...“ – „Egal“, sagte er, „kurz bevor sie stirbt, singt sie, nein, sie schmettert ein ‚Ah!‘ zwölf Sekunden lang, Signor Damonte, zwölf Sekunden! Und unmittelbar danach, ohne Luft zu holen, beginnt sie, kraftvoll, das letzte Duett mit Alfredo, ich sage Ihnen, das ist wie ein Auferstehungswunder.“ – „Ja“, sagte ich, „das ist höchste Artistik und große Kunst ... So geht es mir, wenn ich im Schwimmbad bin und durch das ganze Becken tauche, fünfzig Meter, Signor Pirandello, fünfzig Meter!“ – „Damonte, ich bitte Sie, das ist keine Kunst, sondern Willenskraft.“ – „Sonst nichts?“- „Na ja“, sagte er, „ich käme vielleicht zu einem anderen Urteil, wenn Sie nach dem Auftauchen lauthals die Ode An die Freude sängen – ohne Luft zu holen.“ – „Signore, jetzt widersprechen Sie sich aber“, sagte ich. „Nur scheinbar“, sagte er, „nur scheinbar, für die Kunst gilt wie für die Religion: Credo, quia absurdum.“
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