Narrative

Entarsche deinen Kopf!


Eine Kolumne von  Jack

Montag, 21. Juli 2025, 23:47
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Gegen Links II: Was war der Humanismus?

1. Liberalismus

Als Selbstbezeichnung haben wir nicht das sperrige Schrägstrichwort, sondern den spritzigen Begriff Humanismus für unsere Religion gewählt. Der Atheismus/Szientismus ist die Ich-Religion, somit die Religion der Selbstvergottung des Menschen. Der Mensch ist das Maß aller Dinge: dieser Satz ist nunmehr kein sophistischer Frevel, sondern ein ernstes, positives weltanschauliches Programm. Die Renaissance arbeitet es aus, die Neuzeit verwirklicht es.

Was ist der Mensch? Vernunftbegabtes Sinnenwesen, und zwar als Individuum. Was ist der höchste Wert des Menschen? Die Würde. Aber worin besteht sie? Der Liberalismus sagt: in der Freiheit. Der Mensch ist seit dem Beginn der Zivilisation unfrei gewesen, nun soll er sich, und zwar jeder, frei entfalten können. Die individuellen Startbedingungsunterschiede fallen nicht ins Gewicht, denn wenn jeder frei ist, kann er selbst alles werden, was er will und kann.

Doch die positive Freiheit, die Freiheit-zu, erfordert Ziele. Der Atheist lebt für sich, nicht für Gott; der Szientist entzaubert die Welt, nicht nur die äußere (Naturwissenschaft), sondern auch die innere (Geisteswissenschaft). Je weiter der Liberalismus fortschreitet, umso weniger positive Freiheit ist möglich, Ziele werden eines nach dem anderen sinnlos. Was bleibt, ist der Kampf um immer mehr Freiheit-von: Freiheit von politischer und sozialer Unterdrückung, Freiheit von Fremdbestimmung der Geschlechtsidentität (Transsexualität), Freiheit von den Beschränkungen des Menschsein (Transhumanismus). Die absolute negative Freiheit führt konsequent zum Antinatalismus, der moralischen Maxime, nicht die Freiheit eines Menschen dadurch zu beschränken, dass man ihn in die Welt setzt (denn man raubt ihm eine Menge negativer Freiheiten, indem man ihn genetisch determiniert, die Familie, das Land und die Zeit seiner Herkunft bestimmt, ihn zur Unvermeidlichkeit von Leid und Tod verdammt usw.).




2. Sozialismus

Der Mensch als einsamer Wolf, bindungsloser Glücksritter, atomisiertes Individuum: das ist ein sozial sehr kaltes Paradies der Freiheit. Der konkrete lebendige Mensch will nicht bloß frei sein, er will auch geschätzt und geliebt, gebraucht und respektiert, versorgt und verstanden werden. Kein Mensch kann ohne Gesellschaft leben, und kein Mensch will als einsames rationales Wirtschaftssubjekt in der Gesellschaft leben. Es gibt nicht nur Business und freie Entfaltung der Person, es gibt auch horizontale und vertikale Beziehungen zu anderen Menschen. Und letztlich ist die Verwirklichung der Freiheit eine Möglichkeit, die auch scheitern kann, der Mensch aber lebt in der Wirklichkeit.

Die soziale Frage stellt sich in liberalen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts mit größter Schärfe und Dringlichkeit. Doch ausgerechnet das antiliberale Russland erlebt die radikalste sozialistische Revolution. Der Wert, den der sozialistische Humanismus am höchsten hält, ist Gleichheit. Gleichheit jetzt, am besten sofort, heißt es in Russland, wo nicht einmal ein Ende des Krieges abgewartet wird. Der Sozialist nimmt sogar den Zerfall seiner Gesellschaft in Kauf, solange in ihr Ungleichheit herrscht. Die begeisterten Volksmassen schaffen es aber, trotz Niederlage im Weltkrieg und trotz Interventionen der gestern noch Verbündeten im russischen Bürgerkrieg, auf den Ruinen des imperialistischen Kaiserreiches eine Union der sozialistischen Republiken zu gründen.

Diese sozialistische Union ist eine totalitäre Diktatur. Der Preis der klassenlosen Gesellschaft ist die totale Unterdrückung der Freiheit. Eine humanistische Theokratie entsteht: der Staat, die Kirche der Religion Atheismus/Szientismus, herrscht mit absoluter Macht. Statt einer Trennung von Staat und Kirche vernichtet man einfach die Kirche, denn der Staat ist die Kirche. Die durch die Revolution aufgestiegene Generation setzt kolossale Kräfte frei, doch als sich die Gesellschaftsstruktur verfestigt, erweist sich Gleichheit wieder als Illusion: die Parteibonzen sind der neue privilegierte Stand. Apathie macht sich breit in einer Gesellschaft, die nichts mehr zusammenhält, weil sie die versprochene Gleichheit nicht verwirklicht hat. Vom Triumpf des humanistischen Gemeinwohls (erster Mensch im Weltraum, 1961) bis zur Auflösung des sozialistischen Machtblocks durch asoziale Egoisten vergehen nur 30 Jahre. Weitere 30 Jahre später ist Russland eines der ungleichsten Länder der Welt.




3. Faschismus

Du bist 18 und vital, willst dich verwirklichen, entfalten. Bindungen aller Art empfindest du als belastend. Du willst weder durch horizontale noch vertikale Beziehungen deine Selbstbestimmung einbüßen; weder Gleichmacherei noch Unterordnung deiner Interessen unter ein gemeinsames Ziel willst du akzeptieren. Die freiheitliche Gesellschaft des Liberalismus ist für dich optimal.

Zwanzig Jahre später bist du Familienvater geworden. Deine berufliche und freizeitliche Wahlfreiheit hast du verwirklicht, auch sozial hast du deine Wahl getroffen: du willst nicht allein, sondern in einer Familie leben. Freiheit brauchst du eigentlich nicht mehr, denn du hast dich schon frei entschieden. Und jetzt hast du andere Sorgen. Das Schlechteste, was dir als Vater passieren kann, ist, dass deinem Kind etwas passiert. Jetzt siehst du die Polizei nicht mehr als Unterdrücker deines anarchisch-freiheitlichen Austobungstriebes, jetzt würdest du gern mehr Polizisten sehen, am besten an jeder Ecke, an der deine Tochter im Laufe des Tages vorbei muss. Du regst dich auf über all den kriminellen Dealerabschaum und forderst, dass der Staat endlich schärfere Gesetze gegen Kinderpornographie erlässt. Du misstraust Fremden und würdest dich in einer ethnisch und kulturell homogenen Gesellschaft viel wohler fühlen. Glückwunsch, du bist jetzt Faschist.

Von sozialdarwinistischen Ursprüngen des Faschismus wollen wir uns vom höchsten Wert des faschistischen Humanismus nicht ablenken lassen: der Sicherheit. Letztlich ist das Überleben, die Sicherheit der Nachkommen, auch darwinistisch gesehen, das höchste Ziel. Die faschistische Gesellschaft ist kriegerisch nach außen, aber homogen und friedlich im Inneren. Der Sozialdarwinismus der Faschisten ist rassistisch und richtet sich gegen andere Gesellschaften oder fremde Gruppen, er ist keineswegs als neoliberaler Sozialdarwinismus nach Adorno-Horkheimerschem Gesetz des Dschungels zu verstehen.

Der faschistische Vater Staat scheitert wie die sozialistische Mutter Staat an der menschlichen Natur. Entweder wird man vom äußeren Feind besiegt oder man ermüdet in der Diktatur der Sicherheit und kehrt allmählich zum entropisch verträglicheren Liberalismus zurück. Nicht zu vernachlässigen ist, dass der Welthegemon des 20. Jahrhunderts das liberale angloamerikanische Imperium ist. Faschistische Staaten werden gegen den sozialistischen Machtblock ausgespielt, benutzt und wieder fallengelassen. Eine faschistische Weltunion ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil die ideologische Grundlage des Faschismus eine internationale und multikulturelle Gesellschaft ausschließt. Deutschland und Japan wären nach einem gemeinsam gewonnenen Weltkrieg mit großer Wahrscheinlichkeit wie in der Dystopie von Philip K. Dick sofort Feinde geworden.

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