KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Dienstag, 03. November 2009, 10:28
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"MEIN TITEL BIN I!" Eskapistische Sprachspiele - Jovanovic. Lyriker (7)

Jovan Jovanovic, *4.4.1949 in Jugoslawien, heimatloser Künstler in Augsburg, ist einer der eigenartigsten Lyriker in Deutschland. Seine Texte, die nicht in jedem Fall eindeutig der Lyrik zuzurechnen sind, leben sehr stark vom Monolog eines lyrischen Ichs, das im leidenschaftlichen Dialogspiel mit der Sprache steht: „i hab denker als beruf angegeben und tätigkeit als gedankenbeobachter-“, sagt Jovan.

Ich traf Jovan im Mai 2006 in Artern, wo der auch zu tiefer Melancholie neigende Mann vital und temperamentvoll in einer Lesung mit anderen Autoren der Internet-Community www.keinverlag.de auftrat. Später telefonierte ich oft mit ihm über seine Texte, die er manisch schreibt, im Internet veröffentlicht, dann wieder verwirft, ändert, kürzt, aufteilt, neu schreibt. Ich traf Jovan mit seiner Lebensfreundin, der Künstlerin Ute Illig, Ende 2006 in Köln. Wieder ging es hauptsächlich um das ernste Spiel mit der Sprache, um die Suche nach Heimat im geistigen Raum. Eigenartig, Jovan ist in der deutschen Sprache nicht zu Hause, hier hat er nicht die Heimat, wie ich sie habe, er ist nicht mit unserer Sprache aufgewachsen, er ist stark geprägt von der Grammatik und dem Geist der serbischen Sprache, die er auch in seinen deutschen Texten nie ganz verlässt – aber er geht virtuos mit dieser Heimatlosigkeit um.

Sein Spiel in und mit der (deutschen) Sprache scheint ernst und heiter zugleich. Jovan weiß genau, dass die Unvollkommenheiten, die grammatischen und stilistischen Fehler (gemessen am Normativen) einen eigenen Charme entwickeln, eine eigene Atmosphäre, einen Witz, der durch das Abweichen von der Sprachnorm entsteht, automatisch, und doch nicht ungewollt: Jovans Verfahren ist eine halb bewusste, halb unbewusste Verfremdung, die durch Sprache zwangsläufig immer entsteht, wenn wir Wirklichkeit abzubilden versuchen.

Jovans indirekte Didaktik seiner Lyrik, dem Dekonstruktivismus nicht unähnlich, arbeitet geradezu waghalsig mit Implikaturen in seltener Verdichtung. Zu der komplexen Mixtur von Implikaturen (spezielle Fälle dessen, dass ein Sprecher, hier das lyrische Ich, etwas anderes meint als er formuliert) und Ellipsen (absichtliche und unabsichtliche Auslassungen) kommt noch eine oft wechselhafte und indifferente Metaphorik hinzu. Die Gedichte klingen oft wie gestotterte Bilder und schizophrene Dialoge in sich selbst. Es ist unklar, inwieweit diese philosophischen Sprechversuche bewusst sind und welche Intention sie tragen oder verfolgen.

Der in der deutschen Sprache beheimatete Leser liest Jovans Gedichte rekonstruierend, das heißt, er stellt einen Sinn her, der einer normalen Sprachform entspräche – dies gilt ja für das Lesen von Dichtung generell. Jovans Texte können auch als musikalische Tautologien aufgefasst werden, anders formuliert: Als absolute Musik, und zwar sowohl auf der lautlichen wie auf der semantischen Ebene (was es – allerdings in ganz anderer Art – schon im Dadaismus gab).

Ich habe zwei Gedichte ausgewählt, die deutlich über Jovans durchschnittlicher Verständlichkeit liegen, also nicht absolute Wortmusik sind, sondern eine Sprachverliebtheit zeigen, die nach meiner Auffassung mit Jovans Narzissmus in eins fällt. Dieser Narzissmus entspringt Jovans Heimatlosigkeit und seinem nicht eben leichten Wesen. Er liebt vermutlich andere Menschen entweder zu sehr – und dann schießt seine Liebe über sie hinweg und an ihnen vorbei – oder zu wenig, weil er sich selbst suchen muss und nur im Spiel mit der Sprache findet. Jovans Sprach-Spiele sind eskapistische Handlungen, um überhaupt leben zu können. Er ist darin unsicher wie ein Kind, das immer wieder sein Spiel zerstört oder verliert.

Hier nun die beiden Gedichte, die ich in einen Sinn-Zusammenhang stelle:


..ja aber was mach ich jetzt gerade?! (ja ich denke.. ja was sonst!
hey du bist so süß!


(och!

(ja dann komm näher!

ja das wir spielen MIT BUCHSTABEN

(ja du schmeißt eine buchstabe ins eck
(ich schmeiß.. ins ander eck!

(du spuckst mir buchstabe ins mund
(ich mir aus

du nehmst buchstabe auf hand
aufkleben
ich nehme mir andere buchstabe
ins fluss

und dann wir nehmen alle buchstaben (von hier
wieder
ins fluss (..von wo sollten eigentlich kommen



Offenbar fordert das lyrische Ich (so gut wie identisch mit Jovan) eine geliebte Freundin, die sich wundert („och!“ – was machst du denn da?) oder enttäuscht ist („och!“ – das ist aber doof, dass du nichts mit mir machen willst) auf, näher zu kommen und mit ihm zu spielen. Wenn sie sich mit seinen Gedanken (seinem Künstlertum, seiner Literatur) befasst, versteht sie ihn besser. Aber kommt sie ihm dadurch wirklich näher? Kaum.
Jovan bezieht die Geliebte – oder ist es sogar der Leser? – in sein Spiel mit Buchstaben ein (in sein Gedicht). Allerdings bleibt jeder mit seinem Text in seiner Ecke (Vers 4f.) und geht mit dem Text anders um („du … ins mund“ – „ich … aus“), die Kommunikation ist lokalisiert (mund), aber nicht harmonisch, das Miteinander führt zu keinem gemeinsamen Ergebnis. Im Gegenteil: Es entstehen zwei Texte: Sie klebt die Buchstaben (Wörter, Gedanken…) auf ihre Hand – er trägt sie in den Fluss. Sie bezieht also das Wort auf sich selbst, er kann mit dieser Relation nichts anfangen und gibt die Buchstaben, die Wörter, wieder zurück in den Fluss, wo sie eigentlich herkommen. Sie versucht Sprache auf ihr Leben zu beziehen – und er widerruft seinen Text, sein Gedicht, er verwirft die pragmatische Verwendung der Sprache und damit letztlich seine Gedanken, auf jeden Fall das Zusammenspiel mit der Geliebten, vielleicht sogar sich selbst. Jovan gibt die Wörter ihrem Ursprung zurück, dem Fluss des Lebens, von dem er sich nicht tragen lässt. Der Grund wird nicht genannt.

Während die Metaphorik aber noch plausibel erscheint (Buchstabenspiel als Zusammenspiel von Ich und Du – als Geliebte oder als Relation Autor – Leser), ist die Implikatur, was das lyrische Ich mit dem Scheitern des Spiels wirklich meint, mehrdeutig. Es kann gemeint sein, dass Sprache als Erkenntnismittel grundsätzlich versagt – dann natürlich auch in der Verständigung zwischen Mann und Frau oder Autor und Leser. es kann aber auch bedeuten, dass das lyrische Ich (Jovan) für sich bleiben will, weil es nicht wirklich mit einem Du zusammenleben kann. Extrem ist die Deutung, dass das lyrische Ich sich selbst nicht versteht und (somit) auch den anderen nicht. Das andere Extrem ist die Deutung, dass er nur mit der Sprache, mit sich und dem Du spielt. Beide Extreme berühren sich in der Sinnlosigkeit.

So gesehen sind Jovans Gedichte – so leicht und scheinbar heiter, witzig und lustig sie zunächst wirken – Ausdruck der Verzweiflung: Ich finde keine Heimat, auch nicht in der Sprache, ich finde mich selbst nicht, auch nicht den anderen, außer vielleicht in der wortlosen Liebe. Aber die gibt es streng genommen auch nicht. Das „wir“ am Schluss funktioniert nur in der Beendigung einer kurzfristigen, absurden Gemeinsamkeit.

Formales:
Die offenen Klammern scheinen gliedernde Funktion zu haben – hier unterscheiden sie ich und du. Die Klammer im letzten Vers ist dann schwer zu deuten – sie signalisiert vielleicht den Wechsel vom „wir“ zum ich, der Fluss ist die Ecke des lyrischen Ichs.
Die kleinen grammatischen Abweichungen machen das Gedicht prägnanter, elementarer, einfacher – es ist die Vermeidung einer differenzierenden Genauigkeit, die das lyrische Ich ohnehin nicht für möglich hält.
Fehler wie „nehmst“, „ins mund“ oder falsche Wortstellungen erzeugen die raffiniert naive, primitive (also elementare) Erscheinung – das Gedicht als Konzept – und erzwingen die Rekonstruktion, also Deutung des Gedichts. Das steht im bewussten Widerspruch zu der Erkenntnis der sprachlichen Sinnlosigkeit; andererseits demonstriert das Gedicht als gestotterte Philosophie die Ohnmacht der Sprache. Die Ohnmacht der Sprache ist die Ohnmacht des Lebens.



.. ja aber was mach ich jetzt gerade?! (ja ich denke.. ja was sonst!
(und ja klar


es folgt fortsetzung ..und hier und jetzt
wo sonst und wann

(ja sehr danke an meine lieben kollegen und
(daß i es nicht allein

(..sonst hätt i

und so.. ja klar
es fortsetzen mit denken und mit

SONST

.. i habs heute.. ja um acht
den teppich ausgestaubt
(ja ging es sogar mit.. aber egal.. hauptsach
(i bleibe beim sache
(denken und es einpacken ..ja genau

(und was machen dann mit dem zeug

(ja es auspacken.. und das was bleibt übrig
(ja wenn was ja dann
(packung

(ja schön mit liebe und mit
(gedacht/

(ausgedacht


Das zweite Gedicht wirkt wie eine Fortsetzung des ersten (Vers 1) – oder wie eine andere Version. Das lyrische Ich ist (nun wieder) allein. Es reflektiert über sich selbst und das, was es tut: Schreiben.
Gleich zu Beginn wird das Tautologische der ganzen Situation formuliert: „wo sonst“, „und wann“ (= wann sonst). Was soll ich sonst tun, wenn nicht schreiben, wenn ich hier in diesem Leben bin! – Es folgen Ellipsen, es wird nicht klar, warum und worauf Jovan anspielt, wenn er seine „lieben Kollegen“ nennt. Wahrscheinlich spielt er auf ihre Zweifel an seinen für die meisten so unverständlichen Gedichten an, oder darauf, dass sie ihm vorhalten, nicht nur er („daß i es nicht allein“) schreibt. Es folgt die Andeutung einer Antwort in Gedanken („.. sonst hätt i / und so.. ja klar / es fortsetzen mit denken und mit /“): Er nimmt den Vorwurf vorweg, seine Gedichte seien nicht genügend klar, weil nicht durchdacht. Er unterdrückt dann die Vertiefung seiner Antwort, die in dem elliptischen „SONST“ (mit Rückgriff auf den Beginn des Gedichts - was sonst?) angedeutet liegt, weil er auf eine leichter verständliche Erklärung kommt – nämlich einen (ironischen) Hinweis auf seinen praktischen Verstand beim Teppichklopfen, der hier im Zusammenhang mit dem Schreiben Bedeutung gewinnt: Das lyrische Ich wirkt hier polemisch, denn mit dem bloßen Handwerk kommt der Dichter nicht weit; Jovan bricht mitten im Wort ab: „ja ging es sogar mit..“ und kommt zur Sache zurück, um die es ihm allein geht: Denken einpacken – das ist Dichten. Selbstironisch könnte das Folgende sein: Was bleibt übrig beim Denken auspacken? Die Packung selbst! Also das Wie der Gedanken, nicht das Was. Jetzt deutlicher polemisch kommt Jovan zu dem Gedanken zurück, den er im ersten Gedicht behandelte: „(ja schön mit liebe und mit / (gedacht/ / (ausgedacht“ – das heißt: Ihr schreibt gedankenvoll über die Liebe, aber alles was ihr denkt, ist nur ausgedacht oder schon längst gedacht, nichts Neues, und ohnehin formuliert ihr keine Wahrheit, wie auch ich nicht, denn es gibt keine Wahrheit, es gibt keinen Sinn, es gibt nur das Wie, das ich als Dichter der Absurdität des Seins entgegenhalte.

Ulrich Bergmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Vaga (02.03.07)
Diese Kolumne in ein Literaturstückchen erster Güte über einen großartigen Künstler. Wie Sprache wirkt bzw. was sie bewirken kann, ist hier in beispielhafter Weise differentiell herausgearbeitet.
Elias† (63)
(02.03.07)
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 Theseusel (02.03.07)
Auf diesen Beitrag hatte ich gewartet und man spürt in jeder Zeile Deine Faszination für die Sprachspiele dieses Lyrikers den man zulassen muß, um in seinen Worten gefangen zu sein! Gerd

 Bergmann (03.03.07)
Schwer bin i
wie Blei

das ist Jovan wie er schreibt und lebt.

Vaga:
Dank! Da ich schon zwei Mal über Jovan schrieb, zeige ich nun neue Facetten und Jovan als Person. Die zwei Gedichte präsentieren einen Jovan, wie ich ihn sprachlich noch nicht untersucht hatte.

Elias: Ja, Jovans Gedichte gehen übers Wort hinaus, das sagst du gut!

Theseusel: Klar, Jovan musste ich (erneut) vorstellen, ich wollte ihn aber nicht gleich zu Beginn...

 Bergmann (04.03.07)
Liebe Leilah, lieber Jovan! Die Entstehungsgeschichte aus dem Mund des Autors oder seiner Gefährtin widerlegt noch nicht das Urteil anderer, schon deswegen nicht, weil der Autor ja selber nur deutet. Und das Spiel mit Worten (das der Autor bedeutungsfrei glaubt) kann durchaus etwas widerspiegeln, was dem Autor nicht (oder nicht ganz) bewusst ist.
Also - ich bleibe erst einmal bei meinen Urteilen. Nicht ich stlisiere Jovan - sondern er selbst provoziert den Eindruck einer Selbststilisierung. Aber egal - ich will nur das Deutungspotential zeigen. Herzlichst: Uli
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