KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Donnerstag, 21. April 2011, 22:28
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UND DIE LIEBE HÖRET NIMMER AUF (von erasmus)

246. Kolumne - 13. Gastkolumne (von erasmus)

Ödön von Horváth, Kasimir und Karoline

in der Werkstattbühne Bonn, April 2011

Eine kreative, lebhaft-dynamische Inszenierung von Horváths sozialkritischem Stück „Kasimir und Karoline“! Der dritte Jahrgang der Alanus-Hochschule lieferte spritziges Theater mit vielen guten Einfällen, das nicht in einer moralin-sauertöpfischen Neoliberalismus-Kritik dahinödete. Lauter junge Menschen, und doch mehr, viel mehr als ein Schülertheater, nahmen sich des Stoffes mit brennender Spielleidenschaft an und überzeugten mit lockerem Spiel, angemessener Gestik und Mimik.
Zwei riesige aufgeblasene Plastik-Titten, die vom Boden bis fast zur Bühnendecke reichen, nehmen fast den ganzen Bühnenraum des kleinen Werkstatt-Theaters ein. Dazwischen drängt sich eine kleinere, aber mannshohe, monadenartige Plastikkugel mit Reißverschluss (da wird man wohl im Laufe der Handlung ins leibnitzsche Energiezentrum steigen müssen, mutmaßt richtig der Theatergänger).
Der geneigte Zuschauer sieht ein Stück auf dem Jahrmarkt des Lebens, das die Turbulenzen zwischenmenschlicher Beziehungen im Kampf zwischen Klassenbewusstsein und unterbewusstem Triebwollen spielend, singend und tanzend zur Schau stellt. Auf der Strecke bleibt dabei der sozialkritische Impetus des „Volksstücks“, wie Horváth sein Schauspiel nennt. Kasimir ist der verbitterte Hartz IV-Empfänger, der nach seiner Entlassung als Chauffeur dabei ist, in Selbstmitleid zu zerfließen und damit die lebensfrohe Karoline unendlich nervt, bis die sich schließlich dem Eis schleckenden Schürzinger zuwendet, und so einen in jeder Beziehung blanken Kasimir zurücklässt, der sich dem Suff ergibt und sich mit Merkl und dem Merkl Franz seiner Erna einlässt. Der Name Merkl gibt, wer hätte es gedacht, Gelegenheit zu anzüglichem Spiel mit nicht unbekanntem Namen. Selig kann Karoline nicht genug vom Rhythmus der Achterbahn bekommen, vom flüchtigen Genuss des Eisschleckens, von den Windungen des Tobogan und dem wilden Ritt auf der Wulst eines monströsen phallischen Plastikschlauchs: Man(n) sieht eine junge Frau, die sich den Sinnenfreuden des Jahrmarkts hingibt, aber nicht nur denen, nein, der in dieser Inszenierung zum lesbischen Vamp mutierte Kommerzienrat Rauch macht sich unmissverständlich an das junge Leben ran und will Karoline nach Altötting entführen, wozu diese auch bereit ist, doch aus dieser Lesbennummer wird eben nichts und am Ende hat Karoline endgültig ihren Kasimir an den Merkl Franz seine Erna verloren, aber eine Einsicht gewonnen: „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich - aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wäre man nie dabei gewesen – “ Am Ende grabscht sich Schürzinger die vom Leben gebeutelte Karoline, die sich widerstandslos von ihm zum „immer Besseren“ verführen lässt. Eigentlich logisch, denn das Motto des Stücks lautet: „Und die Liebe hört nimmer auf.“

Kongenial wird die Atmosphäre des Jahrmarkts mit den dort üblichen Schlagern massiv dem Zuschauer in die Ohren gedröhnt. Die einzelnen Darsteller singen abwechselnd in Karaoke-Manier - jeder darf mal, auch wenn es nicht unbedingt in den Kontext der Handlung passt. Und so erfreuen wir uns an den Klängen von Drafi Deutschers "Marmor Stein und Eisen bricht", „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“, Gittes „Ich will ’nen Coboy als Mann“, Grönemeyers „Alkohol ist das Schiff, auf dem du untergehst“, Connie Francis’ „Die Liebe ist ein seltsames Spiel“ und noch an einigen anderen Ohrwürmern mehr.

Wolfgang Megow

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (22.04.11)
Gut geschrieben, gerne gelesen!
Journalismusschreibe-Papst Wolf Schneider würde allerdings die (Über-)Länge mancher Sätze bemängeln und hier und da würde ich ihm auch Recht geben...
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