KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Korrespondenz und Tagebuch
365. Kolumne
Ob ich in meinen Briefen an mein Gegenüber so schonungslos wie in den Tagebuch-Kalendern gegen mich die Wahrheit schreibe, will ich gleich bezweifeln. Es kommt eben darauf an. In den Briefen werde ich mich subtiler verraten.
Ob ich in meiner Korrespondenz mit Schriftstellern an andere Leser denke oder sogar an eine Veröffentlichung, ist wieder so eine Sache. Um solche Briefe geht es ja. Ich lasse die privaten Briefwechsel, familiäre und insbesondere Liebesbriefe weg; sie können sehr interessant sein, wie etwa Kafkas Briefe an Felice, jedenfalls wenn man berühmt ist.
Ich dachte in den ersten fünfzehn Jahren meines sehr konstanten Briefwechsels mit dem Berliner Schriftsteller HEL nicht an eine Veröffentlichung, aber ich schrieb trotzdem meist so, als ob mein Brief veröffentlicht werden könnte. Schließlich bewegt sich ein Schriftsteller auch beim Briefeschreiben auf einem Terrain, wo er ein gewisses Maß an Professionalität nicht ohne Grund unterbieten will. Der Reiz liegt eben dort: Briefe schreibe ich wie belletristische Texte, aber der Lektor in mir ist milder.
Mein Brief ist Teil eines schriftlichen Gesprächs. Zwar rede ich im Tagebuch mit mir selbst, aber ich weiß, dass mir der Empfänger dabei zuhört. So wird mein Brief – ein redigierter Monolog, der auf einen redigierten Monolog antwortet – nolens volens dialogisch. Aber das will ich ja. Ich suche nicht nur die Möglichkeit des Selbstausdrucks meiner Seele und meiner Gedanken, sondern den Kommentar des Partners, der mir antwortet, als Korrektiv, als heimlichen oder wenigstens indirekten Lektor.
Wenn beide Korrespondenzpartner sich so verhalten, entstehen Themen und Gedanken mit dynamischen Zügen.
HEL (Herbert Laschet = Toussaint) und ich haben unseren Briefwechsel nach siebzehn Jahren veröffentlicht (in: Die Brücke 156,2011 unter dem Titel „Apocalypso“; siehe auch www.philotast.com und www.fixpoetry.com). Und zwar eine Auswahl vom 23.4.1993 – 6.8.2010. Auch einzelne Briefe wurden gekürzt. Eje Winter veröffentlichte in ihrem Buch („blattgold ein übern andern tag“, lettres poétiques 1995 – 2002, Ludwigsburg 2010) ungekürzt ausschließlich ihre eigenen Briefe an drei Empfänger.
HEL und ich schrieben keine lyrischen Briefe wie Eje Winter, wir mussten kürzen. So gewann unser gedruckter Briefwechsel dialogische Dynamik. Wir strichen allzu Nebensächliches heraus, reduzierten langwierige Gedankenentwicklungen oder Wiederholungen, veränderten jedoch weder die Reihenfolge der Textpartien und Briefe noch stilistische Unebenheiten.
Seitdem sind wieder drei Jahre vergangen. Wir schreiben uns wie zuvor. Ans Veröffentlichen einer zweiten Serie von Briefen in einigen Jahren denke ich beim Schreiben nicht. Die Qualität unseres Gedankenaustauschs hat sich nicht verändert. Für das Schreiben der Briefe gilt Ähnliches wie für die Tagebücher.
*
Tagebuch führe ich seit 1967. Damals war ich 22 Jahre alt. Tagebücher mit Schilderungen von Reisen in der späten Kindheit gingen verloren. Meine Tagebuchkalender enthalten Kurznotizen, Stichwörter, Daten, Termine (prospektiv und retrospektiv) – sprachlich knapp ausgeführte Erinnerungshilfen also, aber auch Selbstvergewisserungen.
Sie sind keine Skizzen für literarische Texte.
Stellenweise formuliere ich Momentaufnahmen von Stimmungen, knappe Einschätzungen von Situationen, Entscheidungen, Erlebnissen. Kurzgedanken.
Ich notiere Titel der gelesenen Bücher, Theateraufführungen, Opern, Ausstellungen, Konzerte, Kinobesuche, bedeutendere Fernsehfilme und –sendungen, Lesungen ... die beruflichen Aktivitäten, und insbesondere Begegnungen, Besuche, Reisedaten und –erlebnisse (Ort, Tag, Uhrzeit).
In den ersten vierzig Jahren schrieb ich mit Tintenfüller oder Bleistift, später mit Kugelschreiber.
Im Register nach dem Kalendarium schreibe ich knappe Rückblicke aufs vergangene Jahr, notiere auch zurückliegende Erinnerungen, hin und wieder Gedichte, die ich schrieb, und Diverses.
Diese Tagebücher müsste ich nicht führen, um mich zu organisieren, denn ich führe außerdem einen Terminkalender. Ich habe das Gefühl, dass mir die meist abendlichen Eintragungen eine Pflicht mir selbst gegenüber sind. Ich will Vergangnes festhalten und spüre, dass mir die kleine Systematik, in der ich gleichsam in Kurzschrift mit mir selbst rede, einen Halt geben, eine Struktur, ein Äquivalent zum Gewissen, seine Ergänzung. Meine Kalender-Tagebücher sind für mich ein historiographisches Sinngebungs-Instrument, sie beruhigen mich, sie veranschaulichen auch schon äußerlich die Länge meines erwachsenen Lebens.
Ich schreibe schonungslos gegen mich auf, was und wie ich erlebe. Nicht immer und nicht ganz aus dem Kopf vertreiben kann ich einen potentiellen Leser. Ich versuche alles mir Wesentliche ungefärbt aufzuschreiben.
Größere Zusammenhänge oder ins Einzelne gehende Vertiefungen schreibe ich nicht in die kleinen, aber teuren Tagebuch-Kalender von Treuleben & Bischof (TeBe, Ausgabe D) mit Goldrand, sondern in den Computer. Ich sammle die Texte in einem Konvolut, das ich „Splitter“ nenne. Vieles fließt in Prosaminiaturen, Erzählungen und Romane.
22.5.2013
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
solch ein anregender, differenzierter und ehrlicher Bericht eines Schreibers von Briefen und Tagebüchern darf auf einem literarischen Forum nicht ohne Antwort bleiben. Jetzt erhältst du eine , aber von einem, der aufgrund mangelnder eigener Erfahrung mit dem Schreiben von Briefen, die eventuell publiziert werden könnten, und mit dem Verfassen von Tagebüchern völlig inkompetent ist.
In diesem Eingeständnis könnte sich, wie das so oft mit den Topoi der Bescheidenheit ist, subtile Eitelkeit verbergen. Aber es ist so, ich bin auf beiden Feldern wirklich ganz unbewandert.
Ich schreibe dir trotzdem, weil ich viel davon halte, sein Leben nach Möglichkeit zu strukturieren. Und was gäbe dazu eine bessere Chance als ein bewusst auf Dauer angelegter Briefwechsel unter dem Aspekt möglicher Veröffentlichung und Tagebucheintragungen. Nun, ich habe das versäumt, aus welchen Gründen auch immer.
Das heißt aber nicht, dass ich es nicht für sehr sinnvoll halten und bewundern darf, besonders für die Lebensgestaltung eines Literaten. Deshalb wünsche ich deiner Kolumne weitere Leser und Kommentatoren.
Freilich sind Briefe für einen Literaten nicht die einzige Möglichkeit, sein Leben zu strukturieren. Er kann es auch mit seinen Werken, so, wie ich es weiter versuchen werde., weil ich mich in meinem Alter nicht mehr umstellen mag.
Aber es geht nichts daran vorbei, dass du mit deiner lange praktizierten Entscheidung des Briefwechsels und Tagebuchführung neben deinen Werken den besseren Weg gewählt hast.
Mit verbindlichen Grüßen
Ekki