KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Zurück vom Ring?
373. Kolumne
Als ich die „Ring“-Rezensionen von Andreas Goertz las, musste ich mehrmals lachen – und es war nicht das Lachen der Verachtung, sondern der humorvollen Berührung. Die große inhaltliche Durchdringung des Rings als Kapitalismuskritik, Menschheitsaufbruch, Zarathustra-2.0, Mythologie-Selbstzertrümmerung ... wäre natürlich endlich auch mal dran, da wären wir wirklich näher bei Wagner, und ich stimme Ihnen zu: Ja, das würde ich mir auch zutrauen, so eine Inszenierung, die es mal wieder ganz ernst meint. Genau davor haben alle Regisseure (und Veranstalter) offenbar Angst, sie glauben gar nicht mehr an Inhalte und daher wird jeder Gedanke ironisch gebrochen oder sonstwie verfremdet und die Verfremdung wird noch einmal verfremdet, und in diesen intellektuellen Schachtelungen kann sich jeder herausreden und ist gegen jede Kritik gewappnet, nur nicht gegen den Vorwurf der Beliebigkeit. Aber den kann man wieder umdrehen gegen den Kritiker und für sich reklamieren, den Freiheitsgedanken humorvoll geheiligt zu haben. Außerdem: Sinnlichkeit muss her, Aktualität, Hinterfragung von Bildern und Clichés ... unter dem Schirm der hinterfragenden ironischen Brechung kann jedes Cliché und jedes faule Bild auf die Bühne gestellt werden. Und vor allem: Die großen Ideen demokratisieren, also alles auf ein soziales Niveau runterziehen, dem fast keiner im Bayreuther Festspielhaus oder in irgendeinem Opernhaus der Welt entspricht. Solche Sozialisierungsversuche an Opern rechtfertigen sich für die künstlerische Elite gegenüber der zuhörenden und zusehenden Elite wieder durch die Arroganz, für die man sich berechtigt glaubt. Da ist letztlich ein Auslachen aller sozialen Fragen mit im Spiel. Da ist es schon viel, wenn es einer Inszenierung gelingt, den Rezipienten zu einer humorvollen Geneigtheit zu bringen, wie Castorf dies offenbar gelingt. Mit den Wagnerianern, die mit Bierernst am Meister kleben, möchte ich mich nicht gemein machen. Dann lieber Castorf. Andererseits, verdammte Zwickmühle, ein Teil der aufgeklärten Wagnerianer findet die Verarschung des Rings auf höchstem Niveau als Abwechslung gut. Variatio est mater masturbationum ... Verzeihung, jetzt falle ich fast aufs Niveau der schlauen Verderber herab. Es ist nun mal die Tücke jeder Inszenierung eines alten Dudelsacks, dass man sich was einfallen lassen muss gegen den einschläfernden Grünspan der Kulturpfleger. Es ist nun mal unmöglich, eine Kritische Ausgabe des Rings auf die Bühne zu stellen. Es liegt in der Natur des spielenden Menschen, dass er intuitiv und berechnend alles durchprobiert, was denkbar ist. Der Ring wird auch noch comicalisiert werden - wahrscheinlich in verschwisternder Anlehnung an Tolkiens skurrile Epigonalität -, Siegfried als Tarzan in einer Castingshow mit Superman und Goofy, Charlie Brown und Linus, die Rheintöchter dann als Models und der ganze Ring dann noch als Dschungelbuch-Apotheose: Ich bin der König im Affenland ... und als RTL-Dschungel-Camp: Holt mich hier raus, ich bin ein Star! Siegfried zum Beispiel. Noch hat man die Libretti nicht angerührt. Das kommt auch noch. Sie sehen, da ist noch viel Luft nach unten: Cracking! Und irgendwann interessiert einen Inszenator auch mal wieder die Luft nach oben, das Ozonloch des Geistes ist noch unerforscht. Die Operninszenierung ist die Fortsetzung des Lebens als Show mit allen Mitteln. Es ist nicht falsch, und es ist auch nicht richtig. Wagner und seine Opern, das sind lauter Schrödingers Katzen. Es kommt drauf an, wie und wann man sie beobachtet. Wir sind im quantentheoretischen Zeitalter angekommen, da geht es nicht mehr um die zweiwertige Logik. „Götterdämmerung“ als dekonstruktivistisches Spektakel, Rheingold als Musical - zum Beispiel -, das kommt alles noch, wenn nicht auf dem Hügel, dann eben in Valencia. Also: Nehmen Sie’s gelassen und harren Sie in humorvoll getönter Vorfreude der Dinge, die da kommen. Die Überraschung ist tot. Es lebe die Überraschung! Zurück zum Ring!