KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Qingdao - eine neue Welt (2/11)
453. Kolumne
Alle Geschäfte haben auch sonntags geöffnet. Wir gehen durch das Viertel beim Fushan-Campus und kaufen Obst bei Straßenverkäufern und Haushaltsdinge in den kleinen Geschäften.
Wir müssen unseren Aufenthalt bei der Polizei anmelden. Vor uns ist ein Paar dran, die schwangere Frau beantragt die Genehmigung zur Geburt ihres Kindes. Im Fall einer Ablehnung, so Dawn, muss das Kind abgetrie-ben werden, es würde von keiner Schule in China aufgenommen werden. Dem Paar drohte dann auch noch der Verlust der Arbeitsstelle. Viele chinesische Mütter versuchen daher, ihr Kind im Ausland oder in Hongkong zu bekommen, dann können sie auch ein weiteres Kind haben. Dawn und Margrit erledigen unsere Anmeldung – wir müssen nur unsere Reisepässe mit dem Visum vorlegen und den Anmeldeschein unterschreiben. Es lief unbürokratischer ab als bei der Volkspolizei in der DDR.
Bei Unicom China stellen wir die Internetverbindung für unser iPad her. In einem Geschäft kaufe ich für mein Handy eine SIM-Karte für Telefonate in China. Auf dem Handy bin ich nun aus Deutschland nicht mehr erreichbar. Margrit und Dawn sind uns eine große Hilfe bei allen diesen Erledigungen. Dawn wird die Kopien für meine Unterrichte und die Kommunikation mit meinen Studenten besorgen. Zum Schluss gehen wir zu MacDonald’s und trinken unseren Durst weg. Es ist heiß und schwül in Qingdao, die Tempe-ratur liegt bei 29° C – ab und zu nieselt es ein wenig.
Morgen will Margrit mit uns besonders schöne Orte der Stadt besichtigen und zum Yushan-Campus gehen, dort stößt Dawn nach ihrem Literatur-Unterricht bei dem Bremer Professor Kepser zu uns. Wir erleben eine total andere Welt. Neben dem neuen, an amerikanischen und europäischen Vorbildern orientierten Leben ist das ursprüngliche noch stark präsent, vor allem in den Wohngebieten, wo Lebensmittel verkauft werden und gegessen wird. Es gibt viele kleine Stände an der Straße, die alle möglichen Nahrungsmittel und kleine Imbissgerichte anbieten. Ein paar Meter weiter ent-stehen neue Hochhäuser.
Der Campus hat mehrere bewachte Tore. Vom Zimmer unserer recht kom-fortablen ‚Professoren-Wohnung’ (70 qm) im vierten Stock schauen wir aufs Meer. Die Wohnung ist gut eingerichtet: Klima-Anlage, Waschmaschine, eine geräumige Dusche mit Warmwasserboiler ... Schreibtisch, Fernseher, Schränke, Betten in zwei Zimmern, eine Couch mit drei schweren Sesseln, ein Esstisch mit vier Stühlen. Neben dem Schreibtisch führt eine Tür auf die kleine Loggia, wo ein Wäscheseil gespannt ist. Der Cam-pus ist ruhig. Aber man hört Tag und Nacht das Dröhnen der Stadt.
Die Stadt soll zu den schönsten in China gehören. Neben ärmlich wirkenden Straßen, hässlichen und schmutzigen Gegenden gibt es gut gebaute Straßen mit promenadenartigen Bürgersteigen, meistens mit Pflastersteinen für die Blinden; die Füße spüren das Profil der Steine, so dass der Blinde weiß, wann der Weg abbiegt.
Viele Chinesen verhalten sich wie urbane Südeuropäer. Die Behauptung, sie seien die Italiener Asiens, bewahrheitet sich auf Schritt und Tritt. Auch der Straßenverkehr erinnert an Italien. Fußgänger müssen sehr auf die manchmal recht aggressiv fahrenden Taxis, Busse, Motorroller und Autos achten. Ein Zebrastreifen ohne Ampel bedeutet hier nicht viel. Mir erschien anfangs zwar vieles fremd. Jetzt sehe ich nur noch die Ähnlichkeit mit allen Menschen der Welt.
Qi Dongdong, Deputy Chairman der Deutschen Abteilung, mailt: Mein Literaturkurs KAFKA UND DIE MODERNE beginnt am Donnerstag und findet jeden Donnerstag und Freitag (8-12 Uhr) auf dem Laoshan-Campus statt, nördlich von hier beim Felsengebirge. Ich fahre mit dem Universitätsbus dorthin. Jede Busfahrt in Qingdao kostet 1 Yuan (ca. 15 c), in klimatisierten Bussen 2 Yuan.
Ab und zu können wir unsere Chinesisch-Kenntnisse effektvoll einsetzen, sogar beim Einkaufen. Die einfachen Leute verstehen kein Englisch und sprechen oft einen für uns unverständlichen Dialekt.
Es wird hier Anfang September schon um halb sieben dunkel. China, das so groß ist wie ganz Europa bis zum Ural, hat nur eine Zeitzone ...
In der Nacht gehen die Bauarbeiten in der Umgebung oft ohne Unterbrechung weiter. Hinter vielen Bauzäunen verbergen sich Abrisse für Neubauten. Wolkenkratzer wachsen überall wie Pilze aus dem Boden.
Morgens schallen aus den Lautsprechern im Kindergarten, auf den wir von der Loggia blicken, Kinderlieder, deren musikalischer Duktus mich an meine Kindheit in der DDR erinnert. Die Musik wird zu gymnastischen Bewegungen der Kinder gespielt. Jungen und Mädchen üben auch das Marschieren im Gleichschritt. In der Altstadt von Qingdao sehe ich Grundschüler beim vormilitärischen Formalunterricht, sie folgen den Befehlen ihrer Lehrerin: Rechts um! Links um! Im Gleichschritt – Marsch! Und sie bilden verschiedene Formationen ...
Auf dem Campus, hin und wieder auch in den Straßen der Stadt, laufen junge Frauen, wenn die Sonne vom Himmel herab brennt, gern mit kleinen, zierlichen Sonnenschirmen in der Hand. Die Muster und Farben der Schirme sind geschmackvoll abgestimmt auf die Kleidung. Man nennt in Qingdao solche jungen Damen Damanr. Dawn meint, das Wort stammt aus der Zeit, als Qingdao zum deutschen Schutzgebiet in der Bucht von Kiautschau gehörte. Seltsam, was für einen weiten Weg so ein Wort im Lauf der Sprachgeschichten nimmt. Damanr kommt aus dem Französischen (Dame), davor aus dem Lateinischen (domina). So führt also der Weg von Italien über Frankreich und Deutschland nach China. Aber nur in Qingdao ist das Wort üblich. Dawn und Margrit sind auch Damanr. Margrit meint, der Schirm lenke den Blick der Männer noch besser auf die Frauen, vor allem wenn sie klein und zierlich sind.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
LG und gerne gelesen!