KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Dienstag, 03. November 2015, 14:13
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Politische Cartoons in der Mao-Zeit

488. Kolumne

Bildergeschichten, die in ihrer zeichnerischen Gestaltung westlichen Cartoons ähneln, gibt es in China seit der Zeit der Republik. In den 20er Jahren blühten viele Verlage für Cartoons auf, es gab Cartoon- und Comic-Hefte, in den Zeitungen erschienen Karikaturen und Comic-Episoden in Fortsetzungen, die Inhalte orientierten sich an der republikanischen Gegenwart und den bürgerlichen Verhältnissen. In den Bürgerkriegen und in der Zeit der japanischen Besetzung brach die Produktion ein. Nach dem Sieg der Kommunisten 1949 konnte die Produktion wieder aufgenommen werden. Die Partei erkannte die Wirkung des Mediums für ihre ideologischen Zwecke. Bis 1953 wurden die Bildgeschichten politisiert, während die freie lianhuanhua-Produk- tion durch Zensur (Anleitung) verdrängt und zuletzt ganz verboten wurde. Die alten Märchen, Sagen und Überlieferungen aus der Kaiserzeit, vor allem die vielen Geistergeschichten, passten nicht zu den gesellschaftlichen Vorstellungen und Plänen eines neuen Staates, der die Umwertung aller Werte durchsetzen wollte.
Es entstanden nationale Heldengeschichten, die von Solidarität und Aufopferung für das Volk handelten. Die neue Produktion erreichte 1958 einen Höhepunkt: Im ersten Halbjahr wurden 1.600 Titel gedruckt, davon 700 neue – ein Titel hatte in der Regel eine Auflage von 100.000. Es ging nun um die „Betonung der revoluti- onären Erfahrung unter dem Gesichtspunkt des klassenbewussten Nationalstolzes.“ (Andreas Seifert, Bildgeschichten für Chinas Massen: Comic und Comicproduktion im 20. Jahrhundert. Köln. Böhlau-Verlag, 2008. S. 80ff.)

„Gaos Jugendjahre“ - eine sozialistische Sozialisierung

1956, als die Bildgeschichte im Verlag für fremdsprachige Literatur veröffentlicht wurde, war die Erinnerung an den zweiten japanischen Krieg und die Besetzung noch sehr lebendig. Die Volksrepublik hatte zwei Klassenfeinde überwunden: Chiang Kai-sheck im Inneren, und Japan als äußeren Aggressor. In der Bildgeschichte geht es auch um die Begründung der Überlegenheit der kommunistischen Tugenden.
Der Autor der Geschichte, Gao Yübao, erzählt in simpel formulierten Sprechblasen und Texten unter den Bildern eine Episode seiner eigenen Kindheit, die er später differenzierter in seiner Autobiografie „Meine Kindheit“ niederschrieb.
Die Eltern des kleinen Yübao haben kein Geld, um die Miete an den japanischen Hausbesitzer zu zahlen; der Vater ist krank. Yübao arbeitet in einer von Japanern hartherzig geleiteten Fabrik, in der militärisch wichtige Produkte hergestellt werden. Die Fabrik stützt sich auf Kinderarbeit. Yübao hilft beim gefährlichen Prozess der Solidarisierung der chinesischen Arbeiter mehrerer Fabriken. Er erkennt die Richtigkeit der kommunistischen Idee und die Kraft der organisierten Massen.
Die Unbarmherzigkeit der japanischen Fabrikwachen wird in einigen Episoden drastisch gezeigt – es kommt zu Unglücken, als die Wachen die Kinder zur Arbeit antreiben. Aber viel wichtiger ist die nationale Zukunft: Yübao lernt, sinnlosen Konfrontationen auszuweichen und die Produktion zu sabotieren.
Er warnt erfolgreich die chinesischen Arbeiter, die in einem Keller mit zwei Eingängen ihren Streik planen, vor den herannahenden Wachen. Die Geschichte endet mit zwei strahlenden Tableaus. Triumph der solidarisierten Proletarier, die gegen den kapitalistischen Usurpator die rote Fahne schwingen: Das Bündnis von Alt und Jung, Lehrer und Schüler bewirkt den Sieg der gemeinsamen gesellschaftlichen Sache – auch zum Vor- teil individueller Verhältnisse. Das Geldproblem zu Beginn der Geschichte wird am Schluss gar nicht mehr erwähnt. Es versteht sich von selbst, dass Armut und Unterdrückung verschwinden, wenn das Volk gegen äußere oder innere Feinde zusammenhält.
Einfache Bilder und Sätze demonstrieren die Idee des Kommunismus als richtigen Weg in eine bessere Zukunft. Fachbegriffe fallen kaum. Ein kindlicher Leser las vor rund 60 Jahren die sorgfältig gezeichnete Geschichte auf 95 Seiten sicherlich mit einiger Spannung, zumal er sich mit dem kleinen Helden identifizieren konnte. Die gesellschaftlichen und historischen Realitäten kannte er aus eigener Anschauung oder von seinen Eltern, Verwandten, Freunden und Nachbarn. Die ethischen Aspekte waren über- zeugend oder wenigstens anziehend. Dass die jungen Leser die propagandistische Absicht durchschauten, ist kaum anzunehmen, zumal ein guter Ausgang der Lesererwartung entgegenkommt. Der erwachsene Leser wird sich, je nach seiner politischen Gesinnung, an der Simplizität der Gedanken-Führung schwerer getan haben, zumal wenn er die Hintergründe des Machtkampfs im Bürgerkrieg kannte oder durchschaute. So gesehen spielt die emotionale Basis eine wichtige Rolle für die Identifikation mit dem Text: die japanische Unterdrückung erzeugt nationale Gefühle, die beim Leser Sympathie für die kommunistischen Befreier evozieren. Eine böse, durchtriebene Propagandageschichte ist das nicht. Sie gewinnt ihre Subtilität durch Weglassung, auch in der genauen, lebendigen Zeichnung der Kinder und des Fabrikgeländes. Sie spricht einfach nur den Sinn junger Leser für Freiheit und Gerechtigkeit an.
In der Anmerkung des Herausgebers zu Beginn der Bilder-Broschüre heißt es:
„Schon seit mehr als vierzig Jahren erfreuen sich die ‚Bildergeschichten’ einer ungemeinen Beliebtheit ... In der Vergangenheit enthielten diese Büchlein für gewöhnlich Geschichten, in denen die überirdischen Mächte, Geister und Dämonen, in sinnwidriger Weise verherrlicht, abergläubische Vorstellungen verbreitet, Bilder falscher Ritterlichkeit vorgetäuscht und das Tun und Treiben einer sittenlosen Welt in gleissenden Farben dargestellt wurden. Der Einfluss, der von solchen Büchern ausging, musste naturgemäss verderblich auf den Leser wirken. Im Neuen China wünscht das Volk bessere Bücher, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. ... Diese Bildergeschichte schildert die Jugendjahre von Gao Yü-bao, jetzt Soldat-Schriftsteller in der Chinesischen Volksbefreiungsarmee, wie er während der japanischen Besetzung in einer Untergrundorganisation am Widerstandskampf gegen Japan teilnimmt. Das Heft beschreibt anschaulich die unbarmherzige Unterdrückung und Ausbeutung der chinesischen Arbeiter durch die japanischen Imperialisten und schildert realistisch den heldenhaften Kampf und die revolutionäre Bereitschaft der Arbeiterklasse unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas. ...“
Im Unterschied zur Bildergeschichte fallen hier ideologische Kampfbegriffe, und die Handlung wird zuweilen überhöht. Die Kommunistische Partei taucht in ihr nicht ausdrücklich auf. Sie ist aber gemeint.

„Norman Bethune in China“ – ein Humanist und Held

Andreas Seifert bezeichnet in seinem Buch „Bildergeschichten für Chinas Massen ...“ (Seifert, S. 115f.) den Aufenthalt Bethunes in der lianhuanhua-Adaption von 1973 als „Musterstück der Kunstauffassung“ in der Zeit von 1972-76, als viele Cartoons sich mit der Geschichte der internationalen kommunistischen Bewegung befassten. Seit 1964 nahm die Ideologisierung und Politisierung der lianhuanhua zu, um ein Gegengewicht zu den wieder stärker kursierenden alten Geschichten mit chinesischer Geisterwelt, Märchen und Sagen zu bilden. In dieser Zeit entstand auch die so genannte Modelloper, die moderne Pekingoper (xiandai jingju) (Seifert, S. 96ff.). Der Cartoon „Norman Bethune in China“ erschien 1975 im Pekinger Verlag für fremdsprachige Literatur. In 114 Bildern wird sein Heldentum erzählt.
„Er machte die Sache der Befreiung des chinesischen Volkes zu seiner eigenen Sache und leistete mit hohem internationalistischen kommunistischen Geist und selbstloser Arbeit Hervorragendes für die Befreiung des chinesischen Volkes.“
So steht es wahrheitsgemäß und ohne jede Übertreibung in der Inhaltsangabe vor dem 1. Bild. Viele Zeichnungen jedoch idealisieren und heroisieren die handelnden Personen, oft mit viel mimischem Pathos. In westlicher Manier weisen die Bilder präzise Perspektiven auf, eine realistische Wiedergabe der Dingwelt und liebevoll gezeichnete Landschaften. Die Bethune-Zeichnungen im Folgenden sind Beispiele für diese Aspekte.
Der kanadische Arzt Henry Norman Bethune (Bai Jiu’en) ist weder in seiner Heimat noch in Europa allgemein bekannt. Dabei hätte er es verdient – in seinem wechselvollen Leben hat er für die Medizin und im Kampf für die sozialistische Idee Großes geleistet. In China aber kennt ihn jedes Kind. Im Jahr 2009 haben 56 Millionen Internetnutzer von Radio China International (CRI) die Top Ten international Friends der letzten 100 Jahre gewählt. Nach der Stimmenzahl kam Bethune auf Platz 1 der Liste.

[Auf den nächsten Plätzen der „Top Ten International Friends“ folgen: John Rabe, Geschäftsführer der Siemens-Werke in Nanking, der 1937/38 etwa 250.000 Chinesen auf dem Fabrikgelände vor dem Tod durch japanische Bom- bardierung rettete, indem er eine riesige Hakenkreuzflagge entfaltete und nach der Einnahme der Stadt Nanking durch japanische Truppen auch weiterhin zu schützen vermochte. – Der frühere Präsident des Internationalen Olympischen Komitees Juan Antonio Samaranch Toriello, der sich für die Olympischen Spie- le in Peking (2008) einsetzte. – Edgar Snow, amerikanischer Journalist, dessen Buch „Red Star over China“ bewirkte, dass die Rote Armee Chinas und Mao Zedong in den 30er Jahren weltweite Aufmerksamkeit erlangten.]

Bethune wurde am 3. März 1890 in Gravenhurst, einem kleinen Ort im Norden der kanadischen Provinz Ontario als Sohn eines presbyterianischen Pfarrers geboren. 1909 bis 1916 studierte Bethune Medizin an der Universität von Toronto. Im Ersten Weltkrieg war er Sanitäter in einem Feldlazarett in Frankreich und wurde bei Ypres schwer verwundet. Nach der Dissertation arbeitete er in einer Privatpraxis, auf einem Flugzeugträger und an Kliniken in England und Kanada. In England heiratete er, inzwischen 33 Jahre alt, eine 12 Jahre jüngere Frau aus einer vermögenden Edinburgher Familie. Als sie ihr Erbe, auf großem Fuß lebend, verbraucht hat- ten, eröffnete Bethune in Detroit eine Arztpraxis. Hier begegnete er der sozialen Not vieler seiner Patienten. Dabei verausgabte er seine Kräfte. Er infizierte sich und erkrankte 1926 an Lungentuberkulose. Den Tod vor Augen malte er Bilder an die Wände seines Krankenzimmers: „Der Verlauf einer Tuberkulose – Drama in einem Akt und neun schmerzhaften Szenen.“ In der Bibliothek des Sanatoriums fand er ein neu erschienenes Buch: Die Chirurgie der Lungentuberkulose. Am 27. Oktober 1927 führte Dr. Warren die rettende Operation durch. Bethune begann ein zweites Leben als Lungenchirurg. Seit 1933 war er Chefarzt der Lungenabteilung des Sacre Coeur Hospitals bei Montreal, Gastdozent und Operateur in vielen renommierten Kliniken Nordamerikas. Dabei kam er zu der Erkenntnis, dass die Tuberkulose, deren bakterielle Erreger Robert Koch Jahre zuvor entdeckt hatte, vor allem soziale Ursachen hat. Bethune versuchte, die sozialen Ursachen zu ergründen, forderte eine gesetzliche Krankenversicherung (die es in Kanada nicht gab) und die Verbannung des Profits aus der Medizin. Nach der Teilnahme an einem Fachkongress 1935 in der Sowjetunion, wo er sich für die sozialen Anstrengungen dieses Landes begeisterte, wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Kanadas. Auf den Vorwurf, ein „Knecht Moskaus“ zu sein, antwortete er:
„Ich bin sicher, man würde auch Christus einen Knecht Moskaus nennen, sollte er je wieder auf Erden erscheinen, um den Menschen Nächstenliebe zu predigen.“
Auf Bitten des kanadischen committee to aid Spanish Democracy ging Bethune an der Spitze einer Ambulanz 1936 nach Spanien und organisierte als Oberst der Republikanischen Armee einen mobilen Blutspendedienst. 1937 kehrte er nach Kanada zurück. –

Hier setzt der Bethune-Cartoon ein: Inzwischen hatte sich die Lage in China verschärft. Die japanischen Aggressoren rückten nach Süden vor, die Guomindang-Trup- pen unter Chiang Kai-shek (Jiang Jieshi) mussten sich an allen Fronten zurückziehen. Am 8. Januar 1938 reiste Bethune nach China.
Er traf mit Zhou Enlai und Mao Zedong zusammen, denen er Vorschläge für die Entwicklung des Sanitätsdienstes der 8. Roten Armee unterbreitete. Mao war fasziniert von Bethunes Auffassung, dass 75 Prozent der Schwerverwundeten durch sofortige Operation wiederhergestellt werden könnten. Bethune arbeitete in China unter schwierigsten Bedingungen. Es fehlten Medikamente, Instrumente und ausgebildetes Personal, die hygienischen Bedingungen waren katastrophal. General Nie Rongzhen ernannte Dr. Bethune zum Chefarzt der 8. Roten Armee und zum Ärztlichen Berater der Regierung für den Bezirk von Jin Cha Ji. Neben der täglichen Versorgung der Verwundeten und Kranken bildete Bethune medizinisches Personal aus, erarbeitete schriftliche Anleitungen und errichtete ein Musterkrankenhaus. Innerhalb von vier Monaten operierte Bethune an der Front 315 Patienten und baute 13 Sanitätsstellen auf. Einmal versorgte er 69 Stunden hintereinander 115 Verwundete, ein anderes Mal spendete er sein eigenes Blut. Am 3. März 1939, seinem Geburtstag, operierte er bis in den Morgen 19 Schwerverletzte.
In einem aus China nach Kanada gelangten Artikel, der in The clarion erschien, schrieb Bethune:
„Eine Million Menschen kommen von Japan, um eine Million chinesischer Menschen zu töten. Hat der Japaner einen Nutzen vom Tod des Chinesen? Wie ist es möglich, dass ein paar reiche Menschen eine Million arme Menschen davon überzeugt haben, dass sie eine andere Million von Menschen töten, die genau so arm wie sie selber sind, damit die Reichen noch reicher werden? Sie finden es billiger, zu steh- len als zu handeln, leichter, zu töten als zu kaufen. Das ist das Sekret dieses Krieges. Es ist das Sekret aller Kriege. Profit ... blutiges Geld.“
Am 28. Oktober 1939 glitt Dr. Bethune bei einer Operation mit dem Skalpell ab und schnitt sich in den Mittelfinger der linken Hand. Da es in China keine Antibiotika gab, entwickelte sich eine Blutvergiftung, an deren Folgen er in der Stadt Baoding (Kreis Tang, Provinz Hebei) im Alter von 59 Jahren am 12. November 1939 starb. 1981 gewann die Bildergeschichte norman Bethune in china beim Zweiten nationalen lianhuanhua-Wettbewerb einen der Haupt- preise. Schon im Jahr danach änderte sich die Kulturpolitik des Landes: Cartoons sind jetzt ein politisch diskreditiertes Medium (Seifert, S. 116).
1990 wurde Bethunes Leben in einer Koproduktion Kanadas, Frankreichs und Chinas verfilmt (Bethune: The making of a hero; in deutscher Synchronisation: Bethune: Ein Arzt wird zum Helden – 1997 im ZDF) mit Donald Sutherland in der Hauptrolle.
In Montreal steht eine Statue von Dr. Bethune, ein Geschenk der VR China an Kanada. Das Krankenhaus, das Bethune gründete, trägt seinen Namen, dort steht auch ein Denkmal.
1998 wurde Bethune postum in die Canadian Medical Hall of Fame aufgenommen.
1968 veröffentlichte Mao den Essay in erinnerung an norman Bethune (紀念白求恩 Jinian Bai Qiu‘en). Mindestens in der Zeit Maos war die Schrift weit verbreitet (Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke Band II, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1968, S.391-393):
„Genosse Bethune ... kam hierher, um China in seinem Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression zu helfen. Im Frühling vorigen Jahres traf er in Yenan ein, ging dann zur Arbeit ins Wutai-Gebirge und starb zu unserer tiefsten Betrübnis auf seinem Kampfposten. Welche Gesinnung spricht daraus, wenn ein Ausländer, ohne auch nur den geringsten Vorteil zu suchen, die Sache der Befreiung des chinesischen Volkes zu seiner eigenen Sache macht? Das ist die Gesinnung des Internationalismus, die Gesinnung des Kommunismus. Jeder chinesische Kommunist muß aus dieser Gesinnung lernen. Der Leninismus lehrt, daß die Weltrevolution nur dann siegen kann, wenn das Proletariat der kapitalistischen Länder den Befreiungskampf der Völker der kolonialen und halbkolonialen Länder und das Proletariat der Kolonien und Halbkolonien den Befreiungskampf des Proletariats der kapitalistischen Länder unterstützt (siehe J. W. Stalin, Über die Grundlagen des Leninismus, Teil VI, „Die nationale Frage“). Genosse Bethune hat diese leninistische Linie in der Praxis verwirklicht. Wir chinesischen Kommunisten müssen diese Linie ebenfalls in der Praxis verwirklichen. Wir müssen uns mit dem Proletariat aller kapitalistischen Länder vereinigen, mit dem Proletariat Japans, Englands, der USA, Deutschlands, Italiens und aller anderen kapitalistischen Länder; nur auf diese Weise ist es möglich, den Imperialismus zu stürzen, unsere Nation und unser Volk zu befreien, alle Nationen und Völker in der ganzen Welt zu befreien. Eben darin besteht unser Internationalismus, jener Internationalismus, den wir dem engstirnigen Nationalismus und engstirnigen Patriotismus entgegensetzen. Der dem Genossen Bethune eigene Geist der absoluten Selbstlosigkeit und der absoluten Hingabe für andere fand seinen Ausdruck in einem äußerst tiefen Gefühl der Verantwortlichkeit für die Arbeit und in einer äußerst warmen Herzlichkeit zu den Genossen und zum Volk. Jeder Kommunist muß von ihm lernen. Es gibt nicht wenig Menschen, die sich verantwortungslos zu ihrer Arbeit verhalten, das Leichte suchen und vor Schwerem zurückschrecken, anderen die schwere Last aufbürden und selbst die leichte schultern. Was sie auch tun - sie sorgen vor allem für sich und erst dann für die anderen. Haben sie sich ein wenig angestrengt, fühlen sie sich schon als Helden, lieben es zu prahlen, da sie befürchten, daß man es sonst nicht erfahren würde. Den Genossen und dem Volk bringen sie keine Wärme entgegen, sondern sind kühl, gleichgültig, gefühllos. Im Grunde sind solche Menschen keine Kommunisten, oder zumindest können sie nicht als echte Kommunisten gelten. Wer von der Front zurückkam, sprach von Bethune mit höchster Achtung, alle waren von seiner Gesinnung tief berührt. Dr. Bethune machte einen gewaltigen Eindruck auf alle Soldaten und Einwohner des Grenzgebiets Schansi-Tschahar-Hopeh, die Gelegenheit hatten, sich von ihm behandeln zu lassen oder mit eigenen Augen zu sehen, wie er arbeitete. Jedes Mitglied der Kommunistischen Partei muß von Genossen Bethune diese Gesinnung eines wahren Kommunisten lernen. ...
Maos Worte verdeutlichen die ideologische Vereinnahmung eines von humanistischem Geist beseelten Mannes. Bethune war von der Richtigkeit der kommunistischen Lehre überzeugt, er ver- traute auch den Führern in der Sowjetunion und in China. Seine Erweckung zum Sozialisten war sowohl curricular bedingt. Das Ausleben seiner Neigung zu extremen Handlungen rechtfertigte er mit einer Gesellschaftslehre, die ihm als rationaler Wissenschaftler und helfender Arzt die höchste und überzeugendste zu sein schien.
An seinem Humanismus besteht kein Zweifel – im Gegensatz zu der propagandistischen Instrumentalisierung seines Engagements für eine gerechtere Welt. Maos unbarmherzige Landreform, welche die soziale und ökonomische Wirklichkeit der Lehre gewaltsam unterwarf, so dass viele Millionen Menschen an Hunger und Not starben, politische Verfolgung, Kulturkampf und der wachsende Personalkult – das alles droht die große humanitäre Leistung Bethunes zu entwürdigen.
Bethune hat die politischen Verhältnisse seiner Zeit nicht durch- schaut, er verlor in einseitiger Beurteilung der Welt den differenzierenden Überblick und gab sich hin an eine Heilslehre, deren Verkünder schon früh die eigenen Ziele verrieten im Interesse der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft. Es ist notwendig, dass China eines Tages die Geschichte der Opfer schreibt, die unter Mao Zedong und seinen Nachfolgern ihre Freiheit, ihre Heimat, ihre Würde und ihr Leben verloren. Ein Volk, das sich in seiner Geschichte kritisch zu betrachten vermag, ist in der Lage, Wunden im Inneren zu heilen, glaubwürdig und aufrecht in der Welt zu stehen. Relativierung und Befreiung von Missbrauch verdient auch das Leben und Werk Henry Norman Bethunes, das in seiner Einzigartigkeit und Komplexität lehrreich ist.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 EkkehartMittelberg (18.12.15)
Lieber Uli,
ich kann nur hoffen, dass dein kenntnisreicher und spannender Essay von möglichst vielen gelesen wird.
Mir war das Meiste unbekannt und ich konnte einmal mehr von dir lernen. Aber ich schäme mich nicht, ein Lernender zu sein.
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