winter, eje:
hybride texte
prosastücke
Eine Rezension von Bergmann
Der im POP-Verlag Ludwigsburg (www.pop-verlag.com) erschienene Band mit Prosastücken (60 Seiten) verdankt seinen Titel der Tatsache, dass die 17 Texte nicht einer einzigen Textgattung zugeordnet werden können – sie sind nicht etwa übermütig oder überheblich, sondern sie stehen, obwohl primär Prosa, über den Textgattungen.
Das wird zum Beispiel schon im ersten Text deutlich: „beginn“. Diese zwei Seiten lange Parabel wird formal in Versen erzählt. Es ist das kleine Epos einer Reise von unten nach oben, hinauf zum Gipfel des Berges, es ist die Flucht eines Mannes – weg von den Pflichten, von der Mühe der Arbeit (in den Ebenen eines ehelichen Alltags), weg von der Frau, die er, um sich von ihr zu lösen, zu Fall brachte, die sich wehrte, der er schließlich unterlag. Vielleicht bestieg er sich selbst – aber die Selbstsuche endet im Abendschatten. Da oben in der Nähe des Gipfels, den er offenbar nicht erreichte, „wurde die nacht frisch /“, und im Bilde führt die traumhaft beschriebene Reise in eine (neue) Dunkelheit hinein. Es ist die Geschichte von Mann und Frau, deren Liebe nicht gelingt, und es ist die Geschichte des Mannes, der verzweifelt versucht mündig zu werden.
Der Titel des zweiten hybriden Textes – „von der auflösung und der entfaltung des erzählaktes“ (in zwei Teilen: auflösung und entfaltung) – bezeichnet das Folgende als einen Essay, aber der Essay ist angewandtes Erzählen, das der Autor im Konjunktiv enden lässt, in der Vorstellung des Todes... Im zweiten Teil entfalten sich die Vorstellungen in den Wörtern, der Tod, der anscheinend unerzählbare, ist permanent präsent: Immer wieder erscheint der Vers: „einst wird er sterben“, der Ich-Erzähler sieht sich in der Distanz der dritten Person. In der entfalteten Erzählung lebt jede Perspektive – hier erzählt der Erzähler das Unmögliche, seinen eigenen Tod.
Überhaupt ist der Tod ein wichtiges Motiv in eje winters wunderbar geschriebenen Texten, deren klare und genaue Bilder alle Sinne des Lesers bestechen. Der Text „farlo. farfallone. (gattungsumspannend)“ = Tu’s! Schmetterling, liebe! (be-gattungsumspannend)… erzeugt sich in Schachtelungen:
„dieser mann zeugt sich. diese frau gebiert sich. im text. ein doppelakt …“
Zeugungsakt dreifach: Der Autor erzeugt seinen Text, die Figuren entstehen darin, die Figuren lieben sich… Aber dieses Leben vergeht in einem Totentanz – und der Ich-Erzähler „…war nur kronzeuge.“ Leben und Schreibwelt werden ineinander gesteckt in solchen Texten – es ist, als entstehe Dichtung im Beischlaf des Dichters mit der Welt – homo scribens incubus…
Die Texte handeln vom Werden und Vergehen, vom ungefähren Begreifen des Lebens, von eros und thanatos als dem Hauptverhältnis des Dichters und aller Lebenden zur Welt – also endet „herzstreit“ so:
„ich bin der lust nachgekommen und habe euch die situation eines ehepaares dargestellt / es ist nun an euch den stoff wie es euch beliebt abzurunden / sagte die erzählerin und legte die hände in den schoß /“
– der Schoß ist eine feine Anspielung auf die zweifache Zeugung: In unseren Köpfen und Körpern. Wir sehen auch: Die Ich-Perspektive verwandelt sich in die dritte Person, vom Subjektiven ins Omnipotente. Der allwissende Erzähler ist am Ende der Leser – er erzählt sich im Lesen das Erzählte neu und er erzählt es sich weiter, so wie er lebt und sich selbst leben muss in seinen Wirklichkeiten.
Der Tod ist anwesend auch in den Geschichten „mariechen warum weinest du“, wo der Priester in allerkonsequentester Nächstenliebe mit einer Sterbenden schläft, oder in dem Text „ach mutter erzähl“ – darin fordert das Kind die Mutter auf zu erzählen von seiner Geburt und von ihrem Tod:
„ach mutter / erzähl wie’s dir ging als du starbst / und die mutter sprach / … mit der zeit holte der tod mich ein / als er mich lächelnd berührte sah ich wem er glich / er glich dir und mir / mein kind /“
Nicht immer dominiert das Todesmotiv: Die „experimentelle romanze in achtzehn botschaften oder immerhin zärtliche beweisführung über die unmöglichkeit des möglichen“ – eine Art balladeskes Stationen-Gedicht – ist der wohl hellste Text, in dem ein wirklich mögliches und zugleich unmögliches Leben voller Liebe und Erleben, Gefühle und Reflexionen mit einigen humoresken Spitzen erzählt wird, bis zum Schluss dann wieder, aber ganz leise, kaum übersetzbar, die Botschaft vom Ende steht:
„denkopfnachtwach / überschrifttagkalt / die kniehauttaub / bleichichohngefühl /“
Die hybriden Texte sind in einer Weise dann doch etwas über-mütig: Sie versuchen mit dem Tod fertig zu werden. Am klarsten zeigt das der letzte Text des Bandes, „der ort der verwandlung“. Er beginnt so:
„ich möchte dir einen ort zeigen, der in dieser welt liegt. … der ort befindet sich fernab jeder straße. drei arten, ihn zu erreichen, sind mir bekannt.“
Die Lebensreise führt hinauf zum Gipfel, zur Selbsterkenntnis. Oder über den Berg – hinab ins Vergessen. Oder, die leichteste: Zu zweit mit einer Seilbahn hinauf, ins Leben hinein, ins Jetzt, in die Buchstabenwelt, in den Konjunktiv, der Leben und Tod umfasst. Und erst im Tod werden die Liebenden sich so nah, wie sie es im Leben nicht durften und nicht konnten. In der Erde,
„nun, im april, traten uns die ameisen aus den augen, zart und lebhaft, tränen gleich, daß wir geburtstag feiern konnten wie tote.“
Ulrich Bergmann
18.2.2006
Das wird zum Beispiel schon im ersten Text deutlich: „beginn“. Diese zwei Seiten lange Parabel wird formal in Versen erzählt. Es ist das kleine Epos einer Reise von unten nach oben, hinauf zum Gipfel des Berges, es ist die Flucht eines Mannes – weg von den Pflichten, von der Mühe der Arbeit (in den Ebenen eines ehelichen Alltags), weg von der Frau, die er, um sich von ihr zu lösen, zu Fall brachte, die sich wehrte, der er schließlich unterlag. Vielleicht bestieg er sich selbst – aber die Selbstsuche endet im Abendschatten. Da oben in der Nähe des Gipfels, den er offenbar nicht erreichte, „wurde die nacht frisch /“, und im Bilde führt die traumhaft beschriebene Reise in eine (neue) Dunkelheit hinein. Es ist die Geschichte von Mann und Frau, deren Liebe nicht gelingt, und es ist die Geschichte des Mannes, der verzweifelt versucht mündig zu werden.
Der Titel des zweiten hybriden Textes – „von der auflösung und der entfaltung des erzählaktes“ (in zwei Teilen: auflösung und entfaltung) – bezeichnet das Folgende als einen Essay, aber der Essay ist angewandtes Erzählen, das der Autor im Konjunktiv enden lässt, in der Vorstellung des Todes... Im zweiten Teil entfalten sich die Vorstellungen in den Wörtern, der Tod, der anscheinend unerzählbare, ist permanent präsent: Immer wieder erscheint der Vers: „einst wird er sterben“, der Ich-Erzähler sieht sich in der Distanz der dritten Person. In der entfalteten Erzählung lebt jede Perspektive – hier erzählt der Erzähler das Unmögliche, seinen eigenen Tod.
Überhaupt ist der Tod ein wichtiges Motiv in eje winters wunderbar geschriebenen Texten, deren klare und genaue Bilder alle Sinne des Lesers bestechen. Der Text „farlo. farfallone. (gattungsumspannend)“ = Tu’s! Schmetterling, liebe! (be-gattungsumspannend)… erzeugt sich in Schachtelungen:
„dieser mann zeugt sich. diese frau gebiert sich. im text. ein doppelakt …“
Zeugungsakt dreifach: Der Autor erzeugt seinen Text, die Figuren entstehen darin, die Figuren lieben sich… Aber dieses Leben vergeht in einem Totentanz – und der Ich-Erzähler „…war nur kronzeuge.“ Leben und Schreibwelt werden ineinander gesteckt in solchen Texten – es ist, als entstehe Dichtung im Beischlaf des Dichters mit der Welt – homo scribens incubus…
Die Texte handeln vom Werden und Vergehen, vom ungefähren Begreifen des Lebens, von eros und thanatos als dem Hauptverhältnis des Dichters und aller Lebenden zur Welt – also endet „herzstreit“ so:
„ich bin der lust nachgekommen und habe euch die situation eines ehepaares dargestellt / es ist nun an euch den stoff wie es euch beliebt abzurunden / sagte die erzählerin und legte die hände in den schoß /“
– der Schoß ist eine feine Anspielung auf die zweifache Zeugung: In unseren Köpfen und Körpern. Wir sehen auch: Die Ich-Perspektive verwandelt sich in die dritte Person, vom Subjektiven ins Omnipotente. Der allwissende Erzähler ist am Ende der Leser – er erzählt sich im Lesen das Erzählte neu und er erzählt es sich weiter, so wie er lebt und sich selbst leben muss in seinen Wirklichkeiten.
Der Tod ist anwesend auch in den Geschichten „mariechen warum weinest du“, wo der Priester in allerkonsequentester Nächstenliebe mit einer Sterbenden schläft, oder in dem Text „ach mutter erzähl“ – darin fordert das Kind die Mutter auf zu erzählen von seiner Geburt und von ihrem Tod:
„ach mutter / erzähl wie’s dir ging als du starbst / und die mutter sprach / … mit der zeit holte der tod mich ein / als er mich lächelnd berührte sah ich wem er glich / er glich dir und mir / mein kind /“
Nicht immer dominiert das Todesmotiv: Die „experimentelle romanze in achtzehn botschaften oder immerhin zärtliche beweisführung über die unmöglichkeit des möglichen“ – eine Art balladeskes Stationen-Gedicht – ist der wohl hellste Text, in dem ein wirklich mögliches und zugleich unmögliches Leben voller Liebe und Erleben, Gefühle und Reflexionen mit einigen humoresken Spitzen erzählt wird, bis zum Schluss dann wieder, aber ganz leise, kaum übersetzbar, die Botschaft vom Ende steht:
„denkopfnachtwach / überschrifttagkalt / die kniehauttaub / bleichichohngefühl /“
Die hybriden Texte sind in einer Weise dann doch etwas über-mütig: Sie versuchen mit dem Tod fertig zu werden. Am klarsten zeigt das der letzte Text des Bandes, „der ort der verwandlung“. Er beginnt so:
„ich möchte dir einen ort zeigen, der in dieser welt liegt. … der ort befindet sich fernab jeder straße. drei arten, ihn zu erreichen, sind mir bekannt.“
Die Lebensreise führt hinauf zum Gipfel, zur Selbsterkenntnis. Oder über den Berg – hinab ins Vergessen. Oder, die leichteste: Zu zweit mit einer Seilbahn hinauf, ins Leben hinein, ins Jetzt, in die Buchstabenwelt, in den Konjunktiv, der Leben und Tod umfasst. Und erst im Tod werden die Liebenden sich so nah, wie sie es im Leben nicht durften und nicht konnten. In der Erde,
„nun, im april, traten uns die ameisen aus den augen, zart und lebhaft, tränen gleich, daß wir geburtstag feiern konnten wie tote.“
Ulrich Bergmann
18.2.2006
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