Susanne Abel:

Stay away from Gretchen

Eine unmögliche Liebe


Eine Rezension von  Quoth
veröffentlicht am 18.06.23

Auf meiner Schule gab es keine zu Schülern herangewachsenen „brown babies“, obgleich die ältesten von ihnen nur vier Jahre jünger waren als ich. Das liegt u.a. daran, dass meine Schule in der britischen Besatzungszone lag und nicht in der amerikanischen, wo es viele afroamerikanische Besatzungssoldaten gab, die es genossen, in einem Land zu sein, in dem sie – scheinbar – gleichberechtigt und -geachtet waren, in Lokalen, Bars und Läden wie normale Kunden bedient wurden und sogar mal mit einem weißen Mädchen anbandeln konnten. Die Miniserie „Ein Hauch von Amerika“ (kann gestreamt werden) hat uns vor zwei Jahren diese Welt näher zu bringen versucht. Etwa gleichzeitig erschien der Roman von Susanne Abel, der den Wortlaut zu seinem Titel machte, mit dem amerikanische Soldaten, sowohl weiße wie schwarze, vor deutschen Frauen gewarnt wurden: „Stay away from Gretchen“. Und dessen fiktive Hauptperson heißt dann auch Grete, und sie bekommt von dem hilfreichen Robert (Bob) Cooper in Heidelberg, wohin sie aus Ostpreußen geflohen ist, ein kleines Mädchen, das sie Marie oder Mariele nennt. Dieses Kind wird ihr vom Jugendamt weggenommen und verschwindet spurlos. Wer auch verschwindet, ist der Vater, weil er nach seiner Rückkehr in die USA im Korea-Krieg eingesetzt wird.

Die Suche nach diesem verschwundenen Kind ist der Inhalt des Buchs – und sie ist ähnlich spannend wie die Suche nach Miss Froy in „A Lady Vanishes“ von Hitchcock – und es würde mich nicht wundern, wenn aus dem Bestseller von Susanne Abel ein Film würde. An die Stelle der Erkennungsmelodie bei Hitchcock würde dann das Voodoo-Püppchen treten, an dem Marie sich lebenslang festklammert. Freilich müssten die Rollen von Grete (als junges Mädchen und junge Mutter – und als 85jährige demente Greisin) und von Bob Cooper (als 21jähriger GI und als 87jähriger Veteran) sowie auch die von Marie (kleines Kind – und 67jährige Mutter und Großmutter) doppelt besetzt werden, denn die zwei Zeitebenen des Romans liegen gut 65 Jahre auseinander – Nachkriegszeit und die Zeit der Flüchtlingskrise 2015. 

Die Suche wird ausgelöst durch die Demenz der alten Grete, die ihre Vergangenheit als Mutter eines brown baby quasi unter Beton versteckt hat, dieser Beton beginnt in der Demenz zu bröckeln, und ihr Sohn aus der späteren Ehe mit einem Arzt ist Anchorman der Nachrichtensendung des FFD geworden (leicht zu erkennen: Gemeint ist der WDR in Köln, denn auch Anne Will ist dort beschäftigt). Tom Monderath ist ein vitaler, lebenslustiger Journalist geworden, dem weiblichen Geschlecht nicht abgeneigt, dessen Leidenschaft das Recherchieren ist, und dabei wird er unterstützt von der reizlosen und mittels Samenbank schwangeren Jenny, in die und deren Baby er sich aber verliebt, weil sie so findig ist und nicht nur den Aufenthaltsort von Bob herausbekommt, sondern auch … Nun, ich will hier nicht zu viel erzählen, gebe aber zu, dass ich am Schluss des Buches geheult habe.

Susanne Abel ist vielleicht keine große Schriftstellerin, aber eine Superjournalistin und -dramaturgin. Sie hat Doku-Soaps produziert, und eine Doku-Soap ist auch ihr Roman: Rund um die fiktive und sehr glaubwürdig gebaute und berührende Handlung vermittelt sie eine Fülle von Wissen (z.B. dass eine schwarze Panzereinheit nicht eingesetzt wurde, weil es keine schwarzen Helden geben durfte) und sehr drastische Kölner Kneipen- und Karnevalsszenen, die ich aber als absolut authentisch empfinde (ich habe acht Jahre in Köln gelebt und mit den Bläck Fööss in der Ringschenke Karneval gefeiert). Ein Roman, der unterhaltsam und spannend ist und zugleich eine Fundgrube des Wissens – wer kann das schon? 

Für mich das berührendste Zitat: Bob wurde in den USA von weißen Jugendlichen zusammengeschlagen und wird gefragt, wie lange er im Krankenhaus gelegen habe: „Ganze acht Wochen. Ich heulte und hab mir jeden Tag gewünscht, Adolf Hitler hätte die Amerikaner besiegt.“

Leseempfehlung? „Sischer dat!“

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Susanne Abel hat einen zweiten Band geschrieben: "Was ich nie gesagt habe: Gretchens Schicksalsfamilie". Beginnt ebenfalls sehr amüsant: Tom Monderath empfängt seinen per DNA entdeckten holländischen Halbbruder in Köln - er sieht ihm sehr ähnlich - ist aber nicht ohne Grund gerade am Christopher-Street-Day nach Köln gekommen ...
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