Han Kang:
Griechischstunden
Roman
Eine Rezension von Quoth
Lange nicht ein so schwer einzuordnendes Buch gelesen: Ein Roman? Ein dramatisches Werk? Ein lyrisches Gedicht? Von allem etwas! Auf ganz filmische Weise beginnt es mit zwei Personen, die einander nicht kennen oder fernstehen: Einer Mutter, die das Sorgerecht für ihren neunjährigen Sohn verloren und darunter sowie unter dem ebenfalls schon zurückliegenden Tod ihre Mutter so sehr leidet, dass sie in Aphasie verfallen ist, in eine Unfähigkeit zu sprechen. Und einem Lehrer für Altgriechisch, der eine sehr starke Brille trägt und sein Augenlicht verliert. Auch er hat ein Trauma erlitten durch den Selbstmord seines besten Freundes Joachim Grundel, an dem er sich mitschuldig fühlt. Denn dieser Freund hat sich in ihn, den Platonkenner und Altgriechischlehrer, verliebt und erotisch die Initiative ergriffen, aber das hat er nicht nur abgewiesen, er ist aus Deutschland geflohen, wo sich das zutrug, und Deutschland war einmal seine zweite Heimat, er ist in Mainz aufgewachsen.
In seine Kurse geht nun diese in ihren Gefühlen so verletzte Mutter in der Hoffnung, durch das Altgriechische ihr Sprechfähigkeit zurückzugewinnen. Ausdrücklich heißt es, es hätte auch eine andere Sprache sein können. Von der Frau und Mutter erzählt Han Kang in der dritten Person, abwechselnd mit Kapiteln, in denen der Altgriechischlehrer sein Erleben in der Ichform preisgibt. Hat man das erst einmal begriffen (ich erlag zunächst dem Irrtum, Han Kang berichte über dieselbe Person mal in der dritten, mal in der ersten Person), ergibt sich eine recht durchsichtige und vertraute Struktur: Zwei von einander getrennte Personen verschiedenen Geschlechts müssen und werden einander begegnen und lieben. Die Hindernisse sind groß, doch sie sind nur dazu da, um überwunden zu werden.
Auf etwas triviale Weise ist es eine Meise, die sich ins Schulgebäude verflogen hat und die zuerst sie, dann er nach draußen zu scheuchen versucht, dabei verliert er seine Brille, zertritt sie versehentlich und kann nun gar nichts mehr sehen. Aber zum Glück kommt sie zurück, rettet ihn aus seiner Not, bringt ihn zu einem Optiker für eine neue Brille … Die beiden erinnern ein wenig an das Gedicht von Gellert: Der Lahme und der Blinde … Das Schlusskapitel „Der Wald des abgrundtiefen Meeres“ ist eine lyrisch-poetische Überhöhung ihres Zusammenfindens, in der dem Mund der Frau zum ersten Mal wieder ein Laut entschlüpft … Das schönste erotische Gedicht, das ich kenne. Han Kang, Nobelpreisträgerin des vorigen Jahres, hat als Lyrikerin begonnen.
„Blank lag das Schwert zwischen uns.“ An dieses Wort des alten, erblindenden Borges erinnert sich der Altgriechischlehrer im ersten Kapitel. Borges ist wie er ein Entwurzelter zwischen den Kulturen. Und entsprechend deutet er das Schwert als das Trennende.
Wussten Sie schon, dass Sokrates bei Platon andeutet, dass Leiden (pathein) und Erkennen (mathein) miteinander zu tun haben? Paul Tillich drückt das so aus: Die Tiefe des Leidens ist die einzige Tür zur Tiefe der Wahrheit. Auch ein wenig Philosophie und das Höhlengleichnis spielen eine Rolle. Was für ein reiches, tiefes und schönes Buch!
In seine Kurse geht nun diese in ihren Gefühlen so verletzte Mutter in der Hoffnung, durch das Altgriechische ihr Sprechfähigkeit zurückzugewinnen. Ausdrücklich heißt es, es hätte auch eine andere Sprache sein können. Von der Frau und Mutter erzählt Han Kang in der dritten Person, abwechselnd mit Kapiteln, in denen der Altgriechischlehrer sein Erleben in der Ichform preisgibt. Hat man das erst einmal begriffen (ich erlag zunächst dem Irrtum, Han Kang berichte über dieselbe Person mal in der dritten, mal in der ersten Person), ergibt sich eine recht durchsichtige und vertraute Struktur: Zwei von einander getrennte Personen verschiedenen Geschlechts müssen und werden einander begegnen und lieben. Die Hindernisse sind groß, doch sie sind nur dazu da, um überwunden zu werden.
Auf etwas triviale Weise ist es eine Meise, die sich ins Schulgebäude verflogen hat und die zuerst sie, dann er nach draußen zu scheuchen versucht, dabei verliert er seine Brille, zertritt sie versehentlich und kann nun gar nichts mehr sehen. Aber zum Glück kommt sie zurück, rettet ihn aus seiner Not, bringt ihn zu einem Optiker für eine neue Brille … Die beiden erinnern ein wenig an das Gedicht von Gellert: Der Lahme und der Blinde … Das Schlusskapitel „Der Wald des abgrundtiefen Meeres“ ist eine lyrisch-poetische Überhöhung ihres Zusammenfindens, in der dem Mund der Frau zum ersten Mal wieder ein Laut entschlüpft … Das schönste erotische Gedicht, das ich kenne. Han Kang, Nobelpreisträgerin des vorigen Jahres, hat als Lyrikerin begonnen.
„Blank lag das Schwert zwischen uns.“ An dieses Wort des alten, erblindenden Borges erinnert sich der Altgriechischlehrer im ersten Kapitel. Borges ist wie er ein Entwurzelter zwischen den Kulturen. Und entsprechend deutet er das Schwert als das Trennende.
Wussten Sie schon, dass Sokrates bei Platon andeutet, dass Leiden (pathein) und Erkennen (mathein) miteinander zu tun haben? Paul Tillich drückt das so aus: Die Tiefe des Leidens ist die einzige Tür zur Tiefe der Wahrheit. Auch ein wenig Philosophie und das Höhlengleichnis spielen eine Rolle. Was für ein reiches, tiefes und schönes Buch!
Für Pearl
Kommentare zu dieser Rezension
Zunächst hatte ich gedacht: Sie, die Verstummte, lernt halt Altgriechisch (in Korea!), weil man das ohnehin nicht spricht, sondern nur liest. Aber so ist es nicht.
Auch ich war (bin) stark beeindruckt von diesem Buch und danke Dir, daß Du es hier vorgestellt hast.
Auch ich war (bin) stark beeindruckt von diesem Buch und danke Dir, daß Du es hier vorgestellt hast.
Ich danke dir, lieber, guter Quoth, dass du mir deine Buchbesprechung widmest. Es freut mein Herz, auch weil die Thematiken des Buches, aus unterschiedlichen Gründen, mein Leben "berühren".
Ich werde es lesen und bin gewiss, es zu lieben.
Pearl
Ich werde es lesen und bin gewiss, es zu lieben.
Pearl
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