Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Analog oder in der Matrix
von Dieter_Rotmund
An impossible Project (Deutschland(Österreich/Großbritannien 2020). Das ist eigentlich kein seriöser Dokumentarfilm, sondern es wird darin einfach nur das Analoge gefeiert: Polaroidfilme, ein altes Hotel mit Shining (Kubrick)-Ambiente, Vinylplatten und Metzger, die nicht nach Wien liefern wollen (sic). Darum geht es in An impossible Project und um die Begeisterung für das Analoge, aber natürlich nicht jeder Besenstiel, sondern meistens um Sachen mit einem sog. Vintage-Look und auch um den Siebdruck bzw. dessen möglichst live vor Ort handgefertigte Produkte. "Kuratierte Erlebnisse", wie es ein Internetmillionär in diesem Film beschrieb, waren auch ein Thema. Das ist, wenn man ein ganzes Orchester aufspielen lässt, um damit exakt eine Schallplatte(naufnahme) herzustellen. Nüchtern betrachtet, versammelten sich in diesem Film viele Gutverdienende, um alte analoge Geräte zu bestaunen.
Für mich ist das Analoge im positiven Sinne z.B. eine etwas abgelegene Imbissbude, die eine prima Bratwurst bietet (mit gutem Senf! Die Wichtigkeit der Qualität des Senfs wird oft unterschätzt!), die man aber weder im Internet finden und wo man nur mit Bargeld bezahlen kann. Nicht "kuratierte Erlebnisse".
Denn die Digitalisierung an sich verbessert keine Qualität (die von Bratwürsten sicherlich überhaupt nicht), eher im Gegenteil. Jetzt soll man beim Arzt bald keine Rezepte mehr ausgedruckt, sondern nur noch auf dem Smartphone bekommen. Hat sich mal jemand Gedanken dazu gemacht, dass 80% der Patienten bei einem durchschnittlichen Hausarzt über 70 sind diese und verständlicherweise kein Interesse an einem Smartphones haben und einfach nur ihr Medikament haben wollen? Demnächst kommt man nur noch mit QR-Code ins Wartezimmer. Und viele dieser Gegenstände, die in An Impossible Project gezeigt werden, sind doch nur Accessoires, die sich der Hippster irgendwo hinstellt, gerne auch demonstrativ an die Wand hängt, wie sein teures Fixie, sodass man es im MIRCOSOFT TEAMS-Meeting gut sehen kann.
Schöne Analogdinge sind meiner Meinung nach: Ein Sparschwein aus Porzellan, Handyausschalten-Bitten im Kino, Schlumpffiguren auf Computerbildschirmen (also obendrauf, nicht auf dem Bildschirm) und Ansagen auf einer (gedruckten) Speisekarte wie "Draußen nur Kännchen". Nun ja, letzteres ist vielleicht eher nostalgisch als analog. Die DDR, bestünde sie noch, wäre jetzt wohl auch ein Analog-Paradies. Oder mit Smartphones so groß wie ausgediente Hutschachteln von Erich Honecker.
Darüber hinaus hatte ich zwei weitere cineastische Analogerlebnisse: Die tolle Lola (D 1927 ) und Die Ehe im Kreise/The Marriage Circle (D 1924) im Kino gesehen. Ersterer sogar von einer 35mm-Kopie und einem 35mm-Projektor! In der Lola spielt Lilian Harvey mit, eine heute weitgehend vergessene Schauspielerin, die sich nicht von den Nationalsozialisten vereinnehmen lasse wollte und lieber emigriert ist. Die Komödie um das Doppelleben der jungen Lola als gutbürgerliche Tochter aus guten Hause und feuriger spanischer Tänzerin an sich ist vielleicht ein wenig arg harmlos inszeniert, aber die 85 Minuten waren kurzweilig. Besser gefallen hat mir jedoch The Marriage Circle , obwohl er ein ganz ähnliches Thema in einem identischen sozialen Milieu behandelt: Zwei Ehepaare, davon eine schöne Intrigantin (Marie Prevost). Aber was war anders? Ich denke, Regisseur Ernst Lubitsch hat den Film "feiner" komponiert als sein Kollege die Lola: Mehr kleine Gesten, nicht zu übertriebene Gesichtsausdrücke und es lag auch ein kleiner. tragischer Zug in der Handlung. Das soll ja angeblich jede gute Komödie haben.
Es gibt schon seit einer Weile eine Filmreihe, ein Franchise, das den Gegensatz Digital zu Analog zum Thema hat: Matrix (1999/2003/2004). Nun läuft der vierte Film in den Kinos. Wieso trägt man dort analog immer schlampig gestrickte Pullover und es sieht überall aus wie in einem verölten U-Boot? Was soll das? Die Roboter, die das Digitale repräsentieren, sind weitaus schöner gemacht, aber die "reale Welt" (die analoge) ist die "wahre", der Sehnsuchtsort? Mir ist schon immer unangenehm aufgestoßen, dass die Fiktion, dass wir alle bloß in einer Simulation leben würden und in Wahrheit eigentlich Superkräfte haben, vor allem bei chips-daueressenden übergewichtigen Kellerloch-Dauer-"Powergamern" als Heilsbotschaft begriffen wurde. Das geht denen ja runter wie (U-Boot-)Öl. Da können sie die Schuld für ihr persönliches Versagen woanders suchen. Nun ja, Matrix Nummer 4 ist ein zusammengestückeltes Werk, das nicht weiß, was es sein will: Sci-Fi-Action? Komödie (Das Café dort heißt "Simulatte", ein wahrer Schenkelklopfer)?Liebesfilm? Letzteres tatsächlich auch, ja, aber es wird diesem Aspekt viel zu wenig Raum gegeben. Reeves und Moss machen diesen Teil, sie haben dafür nur sehr wenig Szenen, gut, aber der Rest vom Cast überzeugt nicht. Lauter farblose Figuren, der Merowinger schreit zu recht: Früher hatten wir Geschmack!
Was sind Deine schönsten Analogerlebnisse in den letzten Monaten?
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
weder - noch, das ist eisern.
Immer mehr merke ich, daß ich Filme liebe, in denen es weder Smartphones noch Computer gibt.
P.S: weder-> noch, Ja!