Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Fatih Akin - Über den Zenit?
von Dieter_Rotmund
...gemeinsam erstellt mit Pearl
Fatih Akin ist ein fleißiger Regisseur aus Hamburg. Seit 2003 macht er etwa jedes Jahr einen Film. Meistens wird er mit einer seinem Namen folgenden Klammer versehen, wie das in diesem Bereich üblich ist: Fatih Akin ("Gegen die Wand").
Ich muss vorausschicken, ich habe nicht alle, und auch nicht fast alle Filme von Herrn Akin gesehen. Mein erster Kontakt, so könnte man es nennen, war sein Werk Im Juli im Jahre 2000. Da hat mich vor allem Christiane Paul beeindruckt. Heute wäre mir der Film zu betulich, damals hatte ich noch mehr Freude an solchen glatten Happy-End-Geschichten. Später habe ich noch andere Filme von ihm gesehen, im Gedächtnis ist mir nur noch Aus dem Nichts (2017) geblieben, weil es noch nicht so lange her ist und weil Akin das Thema Terrorismus hineinnahm und damit gescheitert ist, muss man leider sagen, der Film wirkte sehr unrund und Diane Kruger war auch leider einfach fehlbesetzt.
Insgesamt ist es so, dass Fatih Akin in seinem Filmen offenbar eine gewisse Leitbotschaft hat, nämlich die einer funktionierende Multikulti-Gesellschaft, in der alle friedlich koexistieren können, also als Zielsetzung. An diesem Punkt hat ihn die gesellschaftliche Entwicklung eingeholt, die Klimaaktivisten können den SUV-Fahrer nicht akzeptieren, die Genderlinke will nicht mit Andersdenkenden*innen diskutieren und wer Fleisch isst, gilt als nichts weniger als ein Tierschänder, als hätte man zuvor auf das Tier gepinkelt. Diese Entwicklung ist an Fatih Akin vorbei gegangen. Jetzt hat er einen Film über einen Rapper gemacht, eine Personengruppe, die sich gerne als professionelle Kriminelle gibt und auch danach handelt und zwischendurch sich gegenseitig totschießt, weil das offenbar einfach dazugehört. In bundesdeutschen Gerichten kann man dann irgendwann etwas über diese kruden, zivilgesellschaftsfeindlichen Parallelwelten erfahren, es läuft immer irgendeiner. Warum sollte ich mir das Gebaren solcher unangenehmer Menschen im Kino anschauen?
Rheingold, so heißt Akins jüngster Film, der übrigens offenbar so gar nichts mit dem legendären Nibelungenschatz zu tun hat, kulturelle Ignoranz muss man das wohl nennen, läuft nur im Multiplexkino, von der der Arthouse-Qualität hat sich Akin schon vor längerer Zeit verabschiedet, er ist über den Zenit seines Schaffens, dies bleibt festzustellen. Oder doch nicht?
Gold, das unsterblich macht
Immer wieder, wenn ich auf Beschreibungen von "Rheingold" über das Leben des Rappers Xatar gestoßen bin, fielen die Begriffe "Mythos" bzw. "mythisch". Der Regisseur Fatih Akin nannte die Story so. Irgendeine Zeitung übernahm, wie ich denke, den Begriff und sagte, dass Akin den Mythos der Geschichte nicht "rüberzubringen" vermochte. Meine Meinung zum Film schwankt irgendwie, in der Mitte.
Der Kinogang alleine war jedoch schon ein Erlebnis. Meine Schwester und ich stachen heraus, in unseren spießigen Wollpullovern... und ja, in unserem Alter.
Der Kinosaal war ausgebucht und die meisten Besucher waren (sehr höfliche) Jugendliche in Markensportklamotten.
Giwar Hajabi aka Xatar ist ein Mythos in der Rapszene. Und Fatih Akin sowie Giwar Hajabis Lebenswege haben Gemeinsamkeiten. Akin stammt aus einer Gastarbeiterfamilie und wuchs in einem problematischen Viertel in Hamburg auf. Giwar Hajabis Eltern waren politische Flüchtlinge, die als Kurden vom Iran, in den Irak, nach Frankreich und dann nach Deutschland kamen. In einem Viertel, in dem es Gewalt und Drogenkriminalität gab, war Giwar Hajabi ein Einserschüler. Als der Vater, ein Komponist, aber die Familie verließ, begann der Sohn langsam in die Kriminalität zu rutschen. Im Film verkaufte er zunächst Pornovideokassetten an seine Mitschüler und beginnt dann auch Drogen zu verticken. Bis er später Kontakte zu einer Art Mafia hatte und es schlussendlich zum Raub auf den Goldtransporter kam, für den er Jahre im Gefängnis saß.
Unsere Schicksale hängen an seidenen Fäden. Auf YouTube sah ich ein Interview zwischen einem deutschen Moderator und Xatar. Den Moderator fand ich arrogant. Er gab zu verstehen, dass einige Zuschauer im Vorfeld zu verstehen gaben, dass sie keinen Kriminellen in der Show sehen wollten. Ich fand, der Moderator fühlte sich Xatar gegenüber moralisch überlegen. Aber gehörte zu seinen ersten Erinnerungen der Krieg oder wie die Eltern in einem Gefängnis gefoltert wurden? Musste er sich auf der Straße behaupten? Hat er sich dann aus eigener Kraft ein neues Leben aufgebaut, das in die Richtung des "geraden Weges" geht?
Was (für mich) nicht so in den Film passte war das Slapstickartige. Im Kino kam der Überfall zu lustig rüber. Das kann nicht der Wahrheit entsprechen, das weiß ich, weil ich selbst eine Art Überfall erlebt habe. Es mit gewollter Lustigkeit in eine Biographie zu pressen, finde ich zu harmlos. Wäre Fatih Akin ernster geblieben, ware er näher am Mythos geblieben, so wie in seinem Meisterwerk "Gegen die Wand".
Trotzdem empfehle ich "Rheingold". Es ist vielleicht kein Meisterwerk, aber ein Abtauchen in eine andere Welt, in der ein Antiheld zum Helden wird, weil er trotz widriger Umstände, trotz seiner inneren Dämonen, seinen Weg findet, nicht zuletzt durch die Musik.
"Wo ist das Gold?" wird die Legende Xatar immer wieder gefragt. Aber im Grunde geht es doch nicht um Materialität, wie nie im Leben... sondern um "das Gold, das unsterblich macht", die Fähigkeit der Resilienz einer Seele. Kein Mensch ist so interessant wie jener, der tief fällt und dann von selbst wieder aufsteht.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
Das ist eine Team-Kolumne, was der Webmaster ums Verrecken nicht begreifen will.
Niemand zwingt dich den Film anzusehen! Ich lasse mich ja auch - aus moralischen Gründen - nicht zwingen Filme von Seidl anzusehen.
P.S.: Ich entscheide mich ja nicht gegen "Rheingold", sondern dafür, andere, mutmaßlich bessere Filme zu sehen. Zum Glück haben wir in unseren Kinos eine große Auswahl!