Aufgespießt

Unverschämtheiten aus Politik, Promiszene und Alltag


Die Kolumne des Teams " Aufgespießt"

Dienstag, 21. Mai 2013, 23:38
(bisher 4.895x aufgerufen)

Liedtextkolumne (2) - Protest gegen den Protest

von  Matthias_B


[Kolumne vom 12.07.2011, editiert am 02.03.2012, zudem am 21.05.2013]

[...]Dass heutzutage vieles "liberaler" und "freier" zu empfinden sei, ist z.g.T. diesem zunächst subgruppenspezifischen Phänomen [der 68er] zu verdanken. [...] [1966 wurde] ein Lied [...] zeitgleich mit der [...] zunehmenden Prostestbewegung von Franz Nidl alias Freddy Quinn als B- Seite einer Single veröffentlicht und zu einem der deutschen "Anti- 68er- Songs" schlechthin gemacht: "Wir".
Der Text besteht aus thematisch zusammengehörigen "wir"- und "ihr"- Zuweisungskomplexen.
Beginnen wir mit dem ersten "wir"- Teil: "Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden?", wobei "Gammler" zunächst auf die Randgruppe vandalistischer Jugendlicher gemünzt war, die in der Mitte der Sechziger Jahre als "Aussteiger" die sich schon in den ausgehenden Fünfzigern über die "Halbstarken" ereifert habende adenauerisierte Gesellschaft der Guten und Traditionsbewussten auf den Plan rief. "Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden?" Nun ja. Dreißig Jahre früher wohl eher ein bisschen zu rüstig. "Ihr lungert herum in Parks und in Gassen; wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen?", was durch das wiederholte "wir" - der Repräsentation der[...] konservativen Seite der Gesellschaft - emphatisch beantwortet wird. Weiter im Liedtext: "Wer hat den Mut, für euch sich [sic!] zu schämen?" Gegenfrage: Diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten vorher alles richtig gemacht haben? "Wer lässt sich unsere [sic!] Zukunft nicht nehmen?" Diese "Zukunft" sollte wohl weiterhin rückwärtsgewandt patriarchalisch und beschwichtigend vor sich heimat- und schlagerfilmlich herumschippern. "Wer sieht euch alte Kirchen beschmieren, und muss vor euch jede Achtung verlieren?" Sachbeschädigung schlägt aber auch nur eventuell eine typische Materialschlacht. Nun folgt eine Begründung, warum es wie kurz nach dem Anfang des Wiederaufbaus im öffentlichen Übereinkommen, eine quasi- kompensatorische Zuckerwatte reich zu speisen, bleiben solle: "Denn jemand muss da sein, der nicht nur vernichtet" (siehe ein paar Zeilen oben), "der uns unseren Glauben erhält" (an eine Selbstabsolution von der Schuld und an die Segnungen von "freie[r] Marktwirtschaft" und "Wirtschaftswunder"?), "der lernt, der sich bildet, sein Pensum verrichtet" [...]"zum Aufbau der morgigen Welt" (da lachen die zeitlosen Auftragsbücher). Nächste Strophe mit Eigenstandpunkt: "Die Welt von morgen sind bereits heute wir; wer bleibt nicht ewig die lautstarke Meute?" [...]. Sogleich wieder ein Fremdstandpunkt- Teil zum Kontrast: "Wer sagt sogar, dass Arbeit nur schändet? Wer ist so gelangweilt, so maßlos verblendet? Ihr." Ein geregeltes Auskommen machte eben in den Fünfzigern so frei, sich eine schwarze Sonnenbrille zu kaufen. Man sieht, die Positionen sind klar verteilt, wobei diejenigen mit dem Vorsprung an Durchblick geradezu väterlich milde die Undankbaren nicht alleine vor der satt gefüllten Schüssel hungern lassen wollen: "Wer will nochmal mit euch offen sprechen?" Und dann ein [...] kleines Eingeständnis, das man als Kleingeständnis tätscheln kann: "Wer hat natürlich auch seine Schwächen?" Die nicht gegen Schwächere eingesetzt werden dürfen, wie man elliptisch anfügen könnte. "Wer hat sogar sehr ähnliche Maschen" (was man eigentlich schon als fast zuviel an Annäherung an die "fuzzelig" Gestrickten bezeichnen könnte), "auch lange Haare, nur sind sie gewaschen?" Tja. Haare waschen Leute, möchte man spatzig in die Spitzfindeln klugmeiseln - für die Unwissenden unter euch: Das waren jetzt Neologismen. Jetzt, wo wir bei den Hautanhangsgebilden sind, naht ein spitzbübischer Knaller an kausalanalytischem Proportionszusammenhang, aufgepasst: "Auch wir sind für Härte, auch wir tragen Bärte". Puh. Man kann sich doch einen Wildwuchs im Antlitze stehen lassen, denn zum Glück leninisiert jener nicht mit myelenisierendem Revoluzzermycel die Geistesblitze. Für die Unwissenden etc....bla....usf. - siehe auch den nächsten Satz. [...] Aber halt in der Gezimmung, da wird noch ein Einschrank eingebaut: "[D]och manchmal im Guten, in stillen Minuten - da tut uns Verschiedenes leid". Heutzutage würde man "Diverses" sagen, um Benennungen unübersehbarer Konkreta flüggelufts zu zerstreuen. Bezüglich der grundsätzlichen Ausrichtung verharrt das Pendel der "wir"- Weisheit dennoch am Fleck auf der westen Weißheit (für die Unkundigen: nein, kein Schreibfehler): "Wer hat noch nicht die Hoffnung verloren? Wer dankt noch denen, die uns geboren?" Und das pickten die glickfückrigen Hühner auch noch mit dem Pillenknick mickriger, wohlgenickt. Das Ende klingt als Kontrast dazu jedoch nahezu verbittert: "Doch wer will weiter nur protestieren, bis nichts mehr da ist, zu protestieren? Ihr!" Nur gut, dass Red Schröder und Fist Fischer später noch rechtzeitig erkannt haben, dass auf der andere[ n] Seite auch nicht [...] unannehmlich vergeben wird.
An Positivem wäre dem Song zu attestieren, dass er – obwohl der Inhalt "etwas" oberkonservativ eingefärbt ist – trotz dezenter Drums und wummerigem Schunkelbass v.a. durch die angejazzte Gitarrenfigur, die in den Strophen mehrmals wiederholt wird, und das Tempo nicht [so] schlagerlastig klingt. Und dass Freddy Quinn in gesanglicher Hinsicht der rar besiedelten Riege der Könner angehört, kann man auch nicht bestreiten. Jahrzehnte später distanzierte er sich in einem Interview von der Aussage dieses Liedes, anstatt sich, z.B., auf eine vermeintliche subtile Ironie, die man nicht erkannt haben würde, als mögliche Ausflucht zu berufen. Der Text stammt übrigens (meines Wissens) von F. Rotter, einem Autoren und Texter, der vor den Nationalsozialisten in die USA geflohen ist, die Musik dagegen von L. Olias, einem (Film-) Musiker, der in 30er Jahren unter anderem für das Regime komponiert hat. Bemerkenswerterweise ist die A- Seite "Eine Handvoll Reis" zwar von F. Graßhoff zwiespältig abgefasst, aber tendenziell eher als Anti- Kriegslied interpretiert worden. Zudem sang Quinn auch noch eine intentional von Grund auf "umgemodelte" Coverversion des "Green berets"- Marschlieds ein: "Hundert Mann und ein Befehl" ist eine musikalische Aussage gegen den Vietnam- Krieg, die in ihrer Deutlichkeit ebenso von einem Protestsänger geschmettert worden sein hätte können. Dieselbe Ambivalenz von vorgetragener Sozialkritik und vorgedachter Systemtreue kann man weiterhin vereinzelt im Schaffen Quinns beobachten, z.B. wenn man das sehr wirtschaftskritische "Bedaure, der Boss ist nicht hier" mit dem eingedeutschten "Memories are made of this" vergleicht.

Zitiert aus : Freddy Quinn - "Wir"
[Nachtrag:  http://www.youtube.com/watch?v=mdRCF97PHW0 (Stand: 21.05.2013)]

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (12.07.11)
Davon ist was von Freddy Quinn? Dem Schlagersänger???

 Matthias_B (12.07.11)
Davon ist was von Freddy Quinn?
?
Zitiert aus : Freddy Quinn - "Wir"
Entschuldigung:
dass auf der andere[n] Seite
muss es heißen.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram