Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Sterile Käfighaltung
von Dieter_Rotmund
Über Hoffenheims Rhein-Neckar-Arena
Vorwegnehmen muss ich, dass meine Fußball-Sozialisation ungewöhnlich ist: Ich bekenne, dass ich mich für Fußball erst zu interessieren begann, als ich Geld dafür bekam. Als Sportjournalist kommt man an der Kickerei nicht vorbei. Der Kelch, über Profi-Fußball schreiben zu müssen, ging an mir bisher vorrüber, groß ist mein Ekel. Denn: Je stärker es um Geld geht, desto scheußlicher die Menschen. Kürzlich ist herausgekommen, das ein Fußballer des Karlsruher SC 50.000 Euro im Monat verdient. Das ist grotesk; seine Mannschaft war und ist nicht einmal in der 1. Bundesliga der deutschen Fußball-Teams.
In meiner Familie hatte und hat der Sport immer einen guten Stand, Fußball war aber nie dabei. Meine Eltern waren Paddler, ich ging einen etwas anderen sportlichen Weg, wie es Söhne so tun, um sich zu emanzipieren. Meine ersten richtigen Fußball-Kontakte sahen also so aus, dass ich zu Spielen von Kreisklasse-Mannschaften ging, während des Spiels mit den Trainer plauderte und mir Notizen machte. Die Spiele fanden auf Plätzen (nicht: Stadien) statt, die ich meist bequem mit dem Fahrrad erreichen konnte. Ich musste mich weder umständlich akkreditieren, noch kamen andere Sportjournalisten zu diesen Spielen. Später ging ich auch zu Spielen der vierten Liga (also von oben gezählt) und fühlte mich ein wenig wie in Dantes Inferno. Mehrere Kreise der Hölle wichtigtuerischer Ordner hatte ich zu durchqueren, die albernerweise meine Presseakkreditierung sehen wollten, obwohl ich den Kreis, in dem die Akkredierungsausweise ausgeben wurden, noch gar nicht erreicht hatte! Anders gesagt: Ich war und bin es gewohnt, dass es unkompliziert und einfach geht und man ungehindert am Spielfeldrand herumspazieren kann. Warum auch nicht.
Vor ein paar Wochen fragte mich ein ehemaliger Kollege, ob ich mit ihm zum Familientag der TSG 1899 Hoffenheim an und in der Rhein-Neckar-Arena gehen wollte. Einfach so zum Spaß, ohne Akkreditierungsgedöns, also privat. Die Rhein-Neckar-Arena, in der die erste Herren-Fußballmannschaft der TSG 1899 Hoffenheim ihre Heimspiele austrägt, war mir bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Der erste Eindruck, als ich, als wir uns dem Stadion näherten: Zwischen Gewerbegebiet und Technikmuseum „hingeklatscht“, wie man so etwas gerne beschreibt, will sagen: Es sah nicht gewachsen aus. Parkplatz kostete 5 Euro, was ich für einen Familientag nicht angemessen hielt, ich ließ meinen Kollegen bezahlen, war ja auch seine Idee gewesen. Vor der Rhein-Neckar-Arena verstreut liegend Hüpfburg, Fanshop, Torwandschießen und ähnliche fußballaffine Familientag-Applikationen. In der Rhein-Neckar-Arena ein Fußballspiel der ersten Herren-Fußballmannschaft der TSG 1899 Hoffenheim gegen eine spanische Mannschaft, deren Bezeichnung ich vergesse habe. 10 Euro Eintritt hatte man dafür zu bezahlen, an diesem Familientag, von Familien, die ja angeblich alle finanziell so angespannt sind. Ein höchstens halbgefülltes Stadion, aber mit augenfällig vielen Ordnern, die an allen Ein- und Ausgängen standen, vor allem aber Spalier am Spielfeldrand mit Blickrichtung Publikum. Doch wozu? Damit kein Familienhund oder Familienkind auf das Spielfeld lief? Um eine Begegnung zu stören, bei der es um nichts ging? Nur drei bis vier der 22 Akteure auf dem Feld schienen mir ambitioniert zu sein, das Spiel für ihre Mannschaft gewinnen zu wollen. Da wäre ein Hund auf dem Spielfeld eine sehr willkommene Abwechslung gewesen. Die Phalanx von Ordner hatte nicht die Botschaft von Gastfreundschaft und Herzlichkeit, sondern von „Auch Familien können mit Brechstangen bewaffnet auf das Spielfeld laufen, um sich die Köpfe einzuschlagen“. Die Ränge waren und sind übrigens wie Pferche unterteilt, in einem Stadion, dessen Sichtbeton und Stahlrohrgestänge den Charme von steriler Käfighaltung hat. Trotz relativ freier Übergänge zwischen manchen Pferchen wollte ein fahnenschwingendes Grüppchen offenbar ganz eng beieinander stehen und Fahnen schwingen, freiwillig. Was treibt Menschen dazu an - gegen Entgelt - sich für Männer in kurzen Hosen zu begeistern, die ein mehrfaches dessen verdienen, was sie selbst als Gehalt bekommen? Ich ging mir einen Kaffee holen, musste mir davor eine Chipkarte ausleihen, einfach so mit Bargeld, das war wohl zu unhygienisch für die TSG 1899 Hoffenheim. Immerhin: Ich musste weder warten (es war während des Spieles) und der Kaffee war nicht schlecht. Die Ausgabe vom Kaffee und anderem allerdings ein Musterbeispiel an Freundlich- aber auch von Ungemütlichkeit: Ein rechteckige Aussparung im Beton, eine tägliche mit Sagrotan gereinigte Futternische.
In der Reihe vor mir fiel ein Kind ihrer Mutter freudig um den Hals, als die Heimmannschaft ein Tor schoss. Wie das? Es ging mir auf: Das Kind kennt es nicht anders, es ist dort hineingewachsen. So steril es auch sein mag, so oft man den Verein als Retortenclub schelten will. In 50 Jahren wird dieses Kind vielleicht immer noch zu den Heimspielen der ersten Herren-Fußballmannschaft der TSG 1899 Hoffenheim in die Rhein-Neckar-Arena gehen. Dann ist sie vielleicht nicht mehr so sauber und steril wie am Familientag 2011. Dann ist sie vielleicht ein bisschen verbeult, es bisschen schmuddelig. Aber: Sie ist dann lebendig und sie atmet Erinnerungen. Aber solange ich kein Geld dafür bekomme, mag ich nicht freiwwillig in solche Stadien gehen, die aussehen wie sterile Käfighaltung. Da gehe ich lieber zum buckeligen Platz des Stadtteilvereins um die Ecke, wo das Bier maximal Euro 2,50 (Bargeld) kostet und die Muttis der Spieler einen Kuchenverkauf machen. Da ist irgendwie bei jedem Spiel Familientag.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
hier also ein Bericht aus dem D.-Hopp-Stadion Nr. 2 und das ohne Aktustik-Attacke... In der "sterilen Käfighaltung" und der "mit Sagrotan gereinigte(n) Futternische" findet man sie wieder, wenn man will. Was stört, wird ausgemerzt.
Und zum Thema Gehälter, und Geld überhaupt im Fußball: Ich habe einen Beitrag aus den 1960er oder 70er Jahren im Kopf, den Arnie Zeigler in seiner "Wunderbare(n) Welt des Fußballs" unlängst noch einmal ins Gedächtnis rief. Dort regten sich Malocher noch darüber auf, dass ein Fußballer das Doppelte oder Dreifache wie er selbst verdiente. Heute sind die Relation noch viel unanständiger, und das scheint abzustumpfen...
spannend empfinde ich Deine Kolumne an den Stellen, an denen Du von Deinen Erlebnissen bei den Spielen in der Kreisliga berichtest und wie locker und familiär es dort zugehe, während die TSG, obwohl der Verein ja die stolze Zahl 1899 im Namen führt, auf Dich irgendwie steril und wie in die Landschaft gek(l)otzt wirke.
So weit so überraschungsarm, denn dieses Plastik Gefühl wird zumal der TSG Hoffenheim gerne und pausenlos unterstellt. Die Überraschung in Deiner Kolumne ist dann leider nicht, dass der Kaffee im Stadion erstaunlich gut schmeckt – diese Pointe ist leider verkümmert – sondern dass sich ein kleiner Junge in diesem Fußball-Sanatorium irgendwie doch authentisch über ein Tor seiner Mannschaft freut. Aha.
Aber was sagt mir das? Irgendwann wird auch Kuhmist Kult, man muss ihn nur lange genug liegen lassen? Oder doch: so mistig kann die TSG gar nicht sein, denn Kinderlachen, Kinderfreude, Kinderjubel kennt nicht Lug und Trug und Herr Hopp-Enheim ist ein guter Mann? Soll ich mir das aussuchen? Was meint der Autor?
Du, der Autor, isst lieber Kuchen von Muttern bei Spielen, in denen man unmittelbar am Spielfeld stehen kann; so dicht dran ist, dass man auch die nicht jugendfreien Komplimente der Spieler untereinander gut mithören kann oder so zornige Ausbrüche von Spielführer zu Spielführer zum Halbzeitpfiff wie: „Hör mal zu Alter, das war aber so (!) nicht ausgemacht!“
Gut, dass stand so jetzt nicht in Deiner Kolumne, dass habe nur ich gehört und das ist auch nicht als Beleg für Korruption, Lug und Trug bis hinab in die von Dir genannte und umschwärmte vierte Liga, Deiner Mutterkuchenliga, gedacht, in der zur Zeit immerhin der „Rasenballsport Leipzig“ ein mittlerweile zweijähriges Gastspiel verbringen muss und etliche Farmteams (U23 Mannschaften) aller Bundesligisten sich tummeln. Nein, dafür gibt es viel stärkere Indizien und Fakten – und dann bis hinunter zum Freizeitsportler.
An dieser Stelle will ich hier nur sagen, dass die Vierte Liga kein Ponyhof mehr ist, auch wenn ich sehr gut nachvollziehen kann, dass sie erst mal angenehmer und der eigenen Realität näher ist, als der Mega-Eventscheiß der ersten Liga. Und bei Letzterer ist festzustellen, dass es nicht das Privileg des Hoppenheimer Modells ist, eine Sagrotan Kultur zu kultivieren, sondern diese Kultur lange vor Herrn Hoppo oder Kloppo von allen Vereinen gefrönt wird. Ob sie nun Bayern München oder HSV heißen - um den aktuellen, achtzehn Plätze weiten, Bogen der ersten Liga zu spannen.
Alle Vereine, basteln am 10 € Eintritt für den Familientag, am Merchandising und daran, dass jede Saison neue Trikots, neue Namen, neue Sensationen auf den Jahrmarkt geworfen werden und? Und sind zutiefst misstrauisch gegenüber ihren Fans, die sich damals, so mit acht oder neun, egal wie scheiße es auch war, tierisch gefreut haben, als ihr Idol für ihren Verein, der es spätestens dann wurde, ins Schwarze getroffen hatte. The First Cut Is The Deepest.
Der RB Leipzig z. B, ein Viertligist, hat gerade mal ein knappes Dutzend Mitglieder. Die spielen in der vierten Liga. Da wo alles tutti ist. Da kommst Du nicht rein. Die wollen unter sich bleiben. Die wollen keine weiteren Mitglieder. Die sind orthodoxe Anhänger der These, dass es egal ist, ob man in Scheiße reingetreten ist oder zu sich genommen hat, sie muss sich nur verkaufen und mit jedem Erfolg verkauft sie sich besser. Da folgt der RB Leipzig dem erfolgreichen Red Bull Prinzip: [exturl=]Bei irgendwelchen Dummen bleibt der Mist halt an der Backe kleben und die finden das dann irgendwann auch irgendwie geil.[/url]
Hurra, wir sind wieder beim Junior Hopp gelandet, der sich in der Sagrotan Box über ein Tor freut.
Übrigens – fällt mir grad so ein – da haben kürzlich Tierwissenschaftler einen Ball an eine Sprungfeder montiert und in Schweineställe montiert, damit die uns leckerer schmecken und siehe da, ei der Daus, wer hätte das gedacht, die Schweine finden langfristigen Spaß am Knautschen des Balles, weil sich dessen Verhalten – durch die Montage auf der Feder – sich nicht vorhersagen lasse. Weshalb die Schweine nicht mehr so viel Frust schieben würden.
In superhygienischen Sagrotanboxen ohne Knautschball könnten die Schweinchen nicht ihrem Wühltrieb nachgehen, Frust schieben und aus lauter Langeweile – Schweine sind schlau – ihre Artgenossen – natürlich unabsichtlich – provozieren und verletzen. Da freut sich der Schweine Bauer – Hoeness macht doch auch Würschtel, oder? – und der Konsument über die geniale Erfindung des Knautschballes, nicht wahr? Es schmeckt und schmeckt und schmeckt immer besser!
Die Fans haben m. E. nicht begriffen, dass sie das wertvollste für die Show sind, die der Fußball zu bieten hat. Fans sind so doof wie katholische Ochsen.
Aber eigentlich will ich noch auf was ganz anderes hinaus – aber dafür schreibe ich dann meine eigene Kolumne bzw. beschäftige mich mit meinem Knautschball.[/exturl]
dutzende solche vereine aufzählen *schauder* mögen.Aber Der Spagat zwischen Kult und Kommerz auch bei Kiezclubs gelingt nicht immer.
Aber was ist die Lösung? Nur noch Fußballspiele bis zur Landesliga anschauen?
Ich glaube zwar nicht dran, aber hoffe dass Financial Fairplay was bringt, wär schon cool wenn Real Madrid nicht in der CL spielen dürfte.
Zu dem grotesken Gehalt: Letztes Jahr war das Minimalgehalt in der NBA so um die 400.000 Dollar.
Zu den kurzen Hosen: Im Winter tragen manche auch ganz schicke Strumpfhosen
Ich habe die Frauenmannschaft(en) der TSG auch schon spielen sehen, auf buckeligen Plätzen, und Spielfeldrand-Plaudereien mit den Trainern und Betreuern waren kein Problem!
Dem Rhein-Neckar-Arena-Kaffee hätte ich literarisch mehr Platz geben sollen, das stimmt... Ansonsten habe ich nur Beobachtungen weitergegeben, meine einzige Botschaft ist, sich nicht den tumben Massen anzuschließen, sondern auch mal anderen Mannschaften anderswo gucken gehen. Z.B. Groundhopping ist ein schön-bescheuertes Hobby!
Lala, Dein Beitrag ist ja fast 'ne eigene Kolumne!
Außerdem habe ich gemerkt, dass ich die 5. Liga meinte, nicht die 4. - diese noch ziemlich neue 3. Liga vergesse ich doch schnell beim Zählen...