Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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PHILIP K. DICKS LEBEN UND WERK – EIN KURZER ABRISS (Teil 3)
von Dieter_Rotmund
Gastkolumne von Wolfgang Weimer (Graeculus)
Wenn ich nun abschließend versuche, die literarische Gedankenwelt Philip K. Dicks zu skizzieren, dann möchte ich zwei Themenstränge unterscheiden, die immer wieder angesprochen werden und sich in manchen Geschichten überschneiden, wobei im Spätwerk eine Verschiebung zum zweiten Themenstrang hin zu beobachten ist. Ich lasse dabei eine Reihe literarisch wenig bedeutender Brot-Arbeiten (sowohl Romane als auch Kurzgeschichten) aus, in denen Dick um des raschen Gelderwerbs willen einfach SF-Klischees bedient. Weiterhin lasse ich die Mainstream-Romane aus, die Dick viel bedeuteten – hoffte er doch, so seinen Anspruch zu rechtfertigen, als ‚echter’ Schriftsteller anerkannt zu werden, dabei vielleicht nicht ahnend, daß sich sein späterer Ruhm und auch seine eigentliche Leistung gerade auf seine Beiträge zum SF-Genre gründen würden, über das ‚echte’ Literaten die Nase rümpften und zum Teil bis heute rümpfen.
Was zunächst in Dicks Werk durchgehend beeindruckt, ist weniger eine innovative literarische Form, auch nicht eine ausgefeilte Charakterisierung der handelnden Personen – für beides fehlte es ihm durchweg an Zeit, vielleicht auch an Talent; es ist vielmehr ein stupendes, oft erschreckendes Ausmaß an Phantasie, gespeist von zahlreichen Ängsten, Neurosen und psychotischen Tendenzen. Die alltäglichsten Situationen, etwa die Kaugummikugeln in einem Automaten, regen seine Phantasie an, sich ein bedrohliches Szenario auszudenken: Wenn Außerirdische die Absicht haben sollten, ihre Eier in Menschen abzulegen und diese dazu zu bewegen, diese Eier freiwillig zu konsumieren, könnten dann nicht diese so harmlos daherkommenden Kaugummikugeln ...? Und das Unkraut im Garten – was ist es, was will es wirklich?
Damit sind wir bei Dicks erstem Themenstrang: Aus dem Motiv der Angst geboren entstehen ihm immer wieder Fragen wie „Ist dies wirklich ein Mensch, oder erscheint es nur so?“, „Bin ich selbst, was ich glaube zu sein? Bin ich vielleicht selbst gar kein Mensch?“, „Die uns umgebende Wirklichkeit, die Formen von Raum und Zeit – sind sie zuverlässig, oder drohen sie uns zu täuschen, zu kollabieren, sich zu verzerren?“, „Leben wir nicht in Wahrheit im Jahre 70 nach Christi Geburt, und gibt es dafür nicht ernsthafte Anzeichen?“ Das Prinzip der möglichen Welten, das in der Philosophie derzeit in breitem Umfang und mit schmaler Phantasie diskutiert wird, findet bei Dick seinen unüberbietbaren, meist angstbesetzten literarischen Ausdruck. Oft hat man in Dicks Texten den Eindruck, in eine Drogen-Halluzination oder eine psychotische Welt gesogen zu werden – dies aber so, daß man nicht mehr weiß, wo, wie und was man selbst eigentlich ist. Dick vermag es wahrlich, seine Leser mit Angst zu infizieren.
Offenbar hat Dick selbst nicht nur entsprechende Ängste, sondern solche Erlebnisse tatsächlich gehabt, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit – relativ spät vollzogenen - Drogen-Erfahrungen, wenn er etwa tagelang am Himmel ein riesiges, bedrohliches metallenes Gesicht gesehen hat. (Es gibt die allerdings diagnostisch nicht bestätigte Vermutung, Dick habe an einer Schläfenlappen-Epilespie gelitten, die einen Phantasievorstellungen als echte Wahrnehmungen erleben läßt.)
Es sind meist kleine, unbedeutende Menschen, unsicher und doch hartnäckig um die Erhaltung ihrer moralischen Integrität wie ihrem Glauben an die Realität bemüht (typisch: der Repairman), welche die Hauptfiguren solcher Texte Dicks ausmachen. Oft sind diese Figuren dabei in Liebesbeziehungen verwickelt, und es sind Frauen, die solche Ängste und Krisen auslösen. Dazu ist ja oben schon biographisch einiges gesagt.
Bei der Frage, was menschlich sei, ist Dick übrigens zu einer eindeutigen Antwort gelangt, die er in vielen Variationen durchgehalten hat und die für ihn charakteristisch ist:
„Es kommt nicht darauf an, wie man aussieht oder auf welchem Planeten man geboren wurde. Es kommt darauf an, wie freundlich man ist. Die Eigenschaft der Freundlichkeit unterscheidet uns meiner Meinung nach von Felsen, Holz und Metall, und das wird immer so bleiben, welche Gestalt wir auch annehmen, wohin wir auch gehen, zu was wir auch werden.“ (Kommentar aus dem Jahre 1976 zu Dicks früher Kurzgeschichte „Human is ...“)
Mir scheint, daß dies nicht nur eine im ethischen Sinne sehr humane Antwort ist, sondern auch die Antwort eines Menschen, der zeitlebens Angst vor Gefühlskälte bei anderen hatte.
Der zweite Themenstrang befaßt sich mit der religiösen Frage nach der Existenz und dem Wesen Gottes. Gott ist für Dick – wie für die meisten Gläubigen – die Verkörperung von Erlösung, Befreiung und Hilfe. Man kann dies sehr gut daran erkennen, daß Gott sich bei seiner ersten Offenbarung dem immer und gerade seinen eigenen Erlebnissen gegenüber skeptischen Dick dadurch beglaubigte, daß er eine unentdeckte, lebensgefährliche Erkrankung seines Sohnes diagnostizierte und Dicks notorisch hoher Blutdruck sich normalisierte. Wenngleich viele literarische Werke Dicks, die sich mit Gott befassen, eher den Charakter theologischer Traktate haben, gewinnen sie doch zuweilen eine ästhetische Spannung dadurch, daß Gott – oder der Teufel? – uneindeutig in seinem Wesen ist und der Protagonist vor dem Problem steht, identifizieren zu müssen, ob es sich nicht doch um eine halluzinierte Erfahrung oder um ein böses Prinzip handelt, das sich als gut tarnt.
Zweifel, Angst, Mißtrauen bleiben Dick lebenslang erhalten. Man hat immer den Eindruck, daß er psychisch auf der Kippe steht und um die Gesundheit seines Geistes ringt. So sehr manche Werke auch den Charakter von Paranoia zeigen, so gilt doch – wie mir einmal ein Psychiater sagte - für einen Psychotiker, daß er niemals am Realitätscharakter seiner Wahnvorstellungen zweifelt. Gemessen an diesem Kriterium war Dick gewiß kein, jedenfalls kein typischer Psychotiker, denn er zweifelte immer und an allem. Zudem tat er es mit einer gehörigen Portion Humor und Selbstironie, die einen großen Teil der Freude ausmachen, die man bei der Lektüre seiner Werke erleben kann.
Für einen Menschen, der frei von Ängsten ist, ist Dicks Werk sicherlich keine anregende Lektüre – es sei denn, man ist Psychiater und sozusagen beruflich interessiert. Aber wer ist schon frei von Ängsten? Und wer von uns hat keine Mutter erlitten?
Literaturhinweise:
Uwe Anton (Hrsg.), Die seltsamen Welten des Philip K. Dick. Meitingen 1984
Uwe Anton (Hrsg.), Philip K. Dick. Entropie und Hoffnung. München 1993
Lawrence Sutin, Philip K. Dick. Göttliche Überfälle. Eine Biographie. Frankfurt 1994
Lawrence Sutin (Ed.), The Shifting Realities of Philip K. Dick. Selected Literary and Philosophical Writings. New York 1995
Kim Stanley Robinson: Die Romane des Philip K. Dick. Eine Monographie. Berlin 2005
Gwen Lee/Doris Elaine Sauter (Hrsg.), Philip K. Dick – „... wenn unsere Welt ihr Himmel ist?“ Letzte Gespräche. Bellheim 2006
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
(04.03.21)
An Terminator:
Weiß ich nicht. PKD ist voller Ängste, aber eher Paranoia als Hypochondrie. Vielleicht sollte der Bekannte es mal mit ein paar Kurzgeschichten versuchen; bei denen kann man schneller abbrechen, wenn's kritisch wird. "Die drei Stigmata des Palmer Eldritch" sind dann etwas für Fortgeschrittene, denn da weiß man am Ende nicht mehr, wer man selber ist. Das erschüttert alles.
Da kommt es darauf an, was einen interessiert.
Meister des literarischen Stils sind beide nicht.
Und Stephen King? Welche Science-fiction-Romane hat er geschrieben?
@Ralf Nee. Philip K. Dick im Titel sorgt für mehr Treffer durch Google und da Graeculus die Kolumne schrieb und nicht Dieter, ist da auch so ein bisschen Qualität dahinter.
Hey, ich wollte nur nicht als unhöflich erscheinen. 😂
Diese Diskussion ist beendet
Aber mal zurück zur Science Fiction, denn da die offenbar auch Außenstehende anzieht, würde es sich doch für diese Kolumne anbieten, öfter auf darauf spezialisierte Autoren zurückzugreifen; anstatt kVs Ende heraufzubeschwören, könntest Du Deine Energie ebenso gut dazu verwenden, das Steuer herumzureißen.
Ciao, Frank
Prinzipiell.
Wärst es nicht du selbst, der ständig mit gehässigten Kommentaren auffallen würde und du weißt ganz genau, dass nicht nur ich das so sehe.
Deswegen tut das mir jetzt nicht ganz so dolle weh unter deiner heiligen Kolumne.
Aber prinzipiell hast du recht.