Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Mittwoch, 16. November 2022, 15:52
(bisher 48x aufgerufen)

Fatih Akin - Über den Zenit?

von  Dieter_Rotmund


...gemeinsam erstellt mit  Pearl

Fatih Akin ist ein fleißiger Regisseur aus Hamburg. Seit 2003 macht er etwa jedes Jahr einen Film. Meistens wird er mit einer seinem Namen folgenden Klammer versehen, wie das in diesem Bereich üblich ist: Fatih Akin ("Gegen die Wand")
Ich muss vorausschicken, ich habe nicht alle, und auch nicht fast alle Filme von Herrn Akin gesehen. Mein erster Kontakt, so könnte man es nennen, war sein Werk Im Juli im Jahre 2000. Da hat mich vor allem Christiane Paul beeindruckt. Heute wäre mir der Film zu betulich, damals hatte ich noch mehr Freude an solchen glatten Happy-End-Geschichten. Später habe ich noch andere Filme von ihm gesehen,  im Gedächtnis ist mir nur noch Aus dem Nichts (2017) geblieben, weil es noch nicht so lange her ist und weil Akin das Thema Terrorismus hineinnahm und damit gescheitert ist, muss man leider sagen, der Film wirkte sehr unrund und Diane Kruger war auch leider einfach fehlbesetzt. 
Insgesamt ist es so, dass Fatih Akin in seinem Filmen offenbar eine gewisse Leitbotschaft hat, nämlich die einer funktionierende Multikulti-Gesellschaft, in der alle friedlich koexistieren können, also als Zielsetzung. An diesem Punkt hat ihn die gesellschaftliche Entwicklung eingeholt, die Klimaaktivisten können den SUV-Fahrer nicht akzeptieren, die Genderlinke will nicht mit Andersdenkenden*innen diskutieren und wer Fleisch isst, gilt als nichts weniger als ein Tierschänder, als hätte man zuvor auf das Tier gepinkelt. Diese Entwicklung ist an Fatih Akin vorbei gegangen. Jetzt hat er einen Film über einen Rapper gemacht, eine Personengruppe, die sich gerne als professionelle Kriminelle gibt und auch danach handelt und zwischendurch sich gegenseitig totschießt, weil das offenbar einfach dazugehört. In bundesdeutschen Gerichten kann man dann irgendwann etwas über diese kruden, zivilgesellschaftsfeindlichen  Parallelwelten erfahren, es läuft immer irgendeiner. Warum sollte ich mir das Gebaren solcher unangenehmer Menschen im Kino anschauen?
Rheingold, so heißt Akins jüngster Film, der übrigens offenbar so gar nichts mit dem legendären Nibelungenschatz zu tun hat, kulturelle Ignoranz muss man das wohl nennen, läuft nur im Multiplexkino, von der der Arthouse-Qualität hat sich Akin schon vor längerer Zeit verabschiedet, er ist über den Zenit seines Schaffens, dies bleibt festzustellen. Oder doch nicht?

Gold, das unsterblich macht

Immer wieder, wenn ich auf Beschreibungen von "Rheingold" über das Leben des Rappers Xatar gestoßen bin, fielen die Begriffe "Mythos" bzw. "mythisch". Der Regisseur Fatih Akin nannte die Story so. Irgendeine Zeitung übernahm, wie ich denke, den Begriff und sagte, dass Akin den Mythos der Geschichte nicht "rüberzubringen" vermochte. Meine Meinung zum Film schwankt irgendwie, in der Mitte.
Der Kinogang alleine war jedoch schon ein Erlebnis. Meine Schwester und ich stachen heraus, in unseren spießigen Wollpullovern... und ja, in unserem Alter.
Der Kinosaal war ausgebucht und die meisten Besucher waren (sehr höfliche) Jugendliche in Markensportklamotten.
Giwar Hajabi aka Xatar ist ein Mythos in der Rapszene. Und Fatih Akin sowie Giwar Hajabis Lebenswege haben Gemeinsamkeiten. Akin stammt aus einer Gastarbeiterfamilie und wuchs in einem problematischen Viertel in Hamburg auf. Giwar Hajabis Eltern waren politische Flüchtlinge, die als Kurden vom Iran, in den Irak, nach Frankreich und dann nach Deutschland kamen. In einem Viertel, in dem es Gewalt und Drogenkriminalität gab, war Giwar Hajabi ein Einserschüler. Als der Vater, ein Komponist, aber die Familie verließ, begann der Sohn langsam in die Kriminalität zu rutschen. Im Film verkaufte er zunächst Pornovideokassetten an seine Mitschüler und beginnt dann auch Drogen zu verticken. Bis er später Kontakte zu einer Art Mafia hatte und es schlussendlich zum Raub auf den Goldtransporter kam, für den er Jahre im Gefängnis saß.
Unsere Schicksale hängen an seidenen Fäden. Auf YouTube sah ich ein Interview zwischen einem deutschen Moderator und Xatar. Den Moderator fand ich arrogant. Er gab zu verstehen, dass einige Zuschauer im Vorfeld zu verstehen gaben, dass sie keinen Kriminellen in der Show sehen wollten. Ich fand, der Moderator fühlte sich Xatar gegenüber moralisch überlegen. Aber gehörte zu seinen ersten Erinnerungen der Krieg oder wie die Eltern in einem Gefängnis gefoltert wurden? Musste er sich auf der Straße behaupten? Hat er sich dann aus eigener Kraft ein neues Leben aufgebaut, das in die Richtung des "geraden Weges" geht?
Was (für mich) nicht so in den Film passte war das Slapstickartige. Im Kino kam der Überfall zu lustig rüber. Das kann nicht der Wahrheit entsprechen, das weiß ich, weil ich selbst eine Art Überfall erlebt habe. Es mit gewollter Lustigkeit in eine Biographie zu pressen, finde ich zu harmlos. Wäre Fatih Akin ernster geblieben, ware er näher am Mythos geblieben, so wie in seinem Meisterwerk "Gegen die Wand".
Trotzdem empfehle ich "Rheingold". Es ist vielleicht kein Meisterwerk, aber ein Abtauchen in eine andere Welt, in der ein Antiheld zum Helden wird, weil er trotz widriger Umstände, trotz seiner inneren Dämonen, seinen Weg findet, nicht zuletzt durch die Musik.
"Wo ist das Gold?" wird die Legende Xatar immer wieder gefragt. Aber im Grunde geht es doch nicht um Materialität, wie nie im Leben... sondern um "das Gold, das unsterblich macht", die Fähigkeit der Resilienz einer Seele. Kein Mensch ist so interessant wie jener, der tief fällt und dann von selbst wieder aufsteht.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Graeculus (17.11.22, 22:29)
Das ist eine gute, anregende Besprechung. Da sie als Gemeinschaftswerk ausgegeben wird, aber in der 1. Person Singular geschrieben ist, weiß ich jetzt nicht recht, wen ich dafür loben soll.

 Graeculus meinte dazu am 17.11.22 um 22:30:
"Gegen die Wand" werde ich mir gleich noch einmal anschauen.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 18.11.22 um 14:11:
Nun ja, wenn du einer Fußballmannschaft zu einem Sieg gratulieren willst, dann gehst Du ja auch nicht nur zur Hälfte der Spieler und läßt die andere Hälfte ostentativ aus.
Das ist eine Team-Kolumne, was der Webmaster ums Verrecken nicht begreifen will.

 Pearl schrieb daraufhin am 18.11.22 um 20:54:
Als Teammitglied fühle ich mich geehrt über das Lob. Danke Greaculus!

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 21.11.22 um 17:15:

Der Kinosaal war ausgebucht und die meisten Besucher waren (sehr höfliche) Jugendliche in Markensportklamotteb
Ja, diese Romantisierung der organisierten Kriminalität und der Vorbildcharakter der dort dargestellten Gewaltverbrecher stößt mir übel auf. Diese Leute sind nicht nur im Drogengeschäft, sondern mischen auch beim Menschenhandel und Zwangsprostitution mit. Konkurrenten werden mit roher Gewalt aus dem Weg geräumt, Straßenschießereien sind keine Seltenheit. Und das Denkmal von Film für diese Hackfressen soll ich mir im Kino ansehen? Nein, Danke.

 Pearl ergänzte dazu am 21.11.22 um 17:38:
"Schwesta Ewa", auf die du dich beziehst, höre ich nicht, aus besagten Gründen und weil ich ihren Rap nicht mag. Xatar ist auch nicht so meines, doch ich habe Verständnis für seinen Weg.

Niemand zwingt dich den Film anzusehen! Ich lasse mich ja auch - aus moralischen Gründen - nicht zwingen Filme von Seidl anzusehen.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 24.11.22 um 15:45:
Heute schreibt die FAZ über Seidl.

P.S.: Ich entscheide mich ja nicht gegen "Rheingold", sondern dafür, andere, mutmaßlich bessere Filme zu sehen. Zum Glück haben wir in unseren Kinos eine große Auswahl!
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram