II–II – alleine - when everything feels like the movies, you just bleed just to know you're alive

Roman zum Thema Untergang

von  Ricardo

In den zwei Minuten nachdem ich mir einen runtergeholt habe, bin ich der schlauste Mensch der Welt, womit ich nicht implizieren möchte, dass Wichsen klug macht, oder so, aber ich kann dann rational denken, nein, „rational“ das ist ein schlechtes Wort, denn „logisch“ wäre besser, aber ich habe eben heute noch nicht geschüttelt, von daher fällt mir so etwas schwer. Nie bin ich so realistisch, wie nach der großen Wedelei. Denn dann brauche ich erst einmal keine Tagträume mehr, in denen ich, charmant wie ich bin, jede Frau rumkriege, die ich haben will, wobei die Wahrheit eigentlich die ist, dass ich eher relativ hässlich, und da mir das bewusst ist, auch dementsprechend schüchtern, bin und wenn ich dann also merke, dass ich den ganzen Tag, womöglich sogar zwei Tage, nur vor mich hingeträumt habe, dann fällt mir auch wieder auf, was für ein Versager ich bin. Das ist die große Einsicht. Das ist Existenzialismus; Wow, ich bin wirklich einfach nur ich und ich bestehe nur aus Fleisch und Blut und bin vergänglich und außer zum Scheißen und Ficken zu nichts fähig, denn abstraktes Denken ist nichts von Bedeutung und die Tatsache, dass wir alle, ich eingeschlossen, jeden Tag versuchen uns davon abzulenken, dass wir im Endeffekt nur ein großer Molekülhaufen sind, macht uns erbärmlich. Das ist der Ekel. Sartre durch einfache Masturbation erklärt. Ich sollte ein Buch darüber schreiben.
Nach spätestens 10 Minuten habe ich wieder dicke Eier und es ist mir egal, dass ich, wenn man es genau nimmt, aus denselben Bestandteilen bestehe, wie ein Sumpfgebiet oder ein Haufen Scheiße. Der große Fernsehn-Ficken-Fressen-Feiern-Faschismus-Fuerteventura-Ferrari-Fellatio-Fideralalala-Mechanismus hat wieder Überhand genommen ohne mir vorher Bescheid zu geben; Wow, ich bin ein Mensch mit einer Seele und eigenen Gefühlen und das größte Wunder der Welt besteht darin, dass ich mit anderen Menschen in Interaktionen treten kann, die alle auf ihre Weise etwas besonders Schönes in sich tragen.
Am Arsch.
Nachdem ich mir einen gewichst habe und wieder zum Mensch geworden bin, finde ich mich erneut im Underground wieder. Das letzte Mal mit Gloria und Robert ist jetzt ein Jahr, 3 Wochen und 5 Tage her und mir diesen Kindergeburtstag, denn das ist der Laden, mit oder ohne Robert, wieder geben zu müssen, kotzt mich an, aber die Musik ist erträglich, das Bier gut und die beiden namenlosen Typen aus der Videothek haben vielleicht irgendwas Leckeres dabei. Guido habe ich auch noch überredet. Ohne ihn könnte ich mir auch Gina Wild angucken und die gleiche Stimulation erfahren, genauso viel Spaß haben. Eva wollte nicht mitkommen, meinte es wäre ihr zuviel, sie könne nicht so schnell wieder aus dem Haus gehen, vor allem nicht an Orte, die sie an Paul erinnern.
Wir fahren zusammen los, versuchen die Flasche Wein während der Busfahrt leer zu kriegen und stehen irgendwann unschlüssig vor dem Eingang. Ich rauche um nicht atmen zu müssen. Sauerstoff ist gesundheitsschädlich, müsste gesundheitsschädlich sein, wenn man darüber nachdenkt, und kann auch eigentlich nur gesundheitsschädlich sein, wenn man sich die Leute anguckt, die den Sauerstoff ausatmen, den man dann später, wenn auch nicht direkt, wieder einatmet. Wenn ich auch nicht für die Urbarmachung sämtlicher Regenwälder bin, ich bin ja schließlich nicht Stalin und auch nicht Adam Smith, bin ich doch kein großer Naturfreund und mich darauf zu verlassen, dass Pflanzen die ganze Scheiße, die aus den verfaulten Mündern verfaulter Menschen kommt, hinreichend filtern, erscheint mir etwas naiv. Also rauche ich und Guido gibt mir den Wein.
„Du musst echt mit der Sauferei aufhören, ich hab’ schon Leberschmerzen.“
„Sagt ja keiner, dass du mitsaufen musst.“
„Stimmt, aber du gibst mir eine Rechtfertigung.“
Ich trinke und denke an Charles Baudelaire, der sagt, dass Weintrinker arbeitsam und Haschischraucher träge und arbeitsscheu sind, weshalb er den Schluss zieht, dass das Paradies nur einige Handgriffe entfernt ist. Zu Kiffen wird es heute nichts geben, aber dafür vielleicht Ritalin. Das macht allerdings nicht träge, aber das will ich auch heute nicht sein.
Es gibt nichts Schöneres als brennende Zigaretten, mit Ausnahme von Rehkitzen, oder Postkarten-Sonnenuntergängen natürlich. Das muss nur mal gesagt sein.
„Sollen wir jetzt da reingehen?“
„Kippe.“
Auf die beiden Typen warten. Die beiden Typen, die für mich keinen Namen haben und auch keine eigene Persönlichkeit. Sie sind untrennbar miteinander verbunden. Wenn der eine lacht, lacht der andere. Wenn der eine redet, nickt der andere, sagt zwar also nicht das Gleiche, aber stimmt dennoch leise und auffällig zu, so als wolle er sagen, „Ja, ich sehe das genauso, denn wir sind nun mal ein und dieselbe Person, sieh das doch endlich ein!“, was mich zwar nicht abstößt, mich aber verwirrt, mich an meiner Vernunft, meiner Beobachtungsgabe zweifeln lässt. Denke ich nur, dass diese beiden Typen zwei Typen sind, oder sind sie in Wahrheit wirklich ein und dieselbe Person, oder vermutlich gar keine Person? Die Antwort, dass sie schwul sind, habe ich mir auch schon gegeben, aber die Tatsache, dass sie Schwuchteln sind, macht jegliche Schwulität, im eigentlichen Sinne, bei ihnen undenkbar. Schwule, besser gesagt, Homosexuelle, sind niemals Schwuchteln. Nur Heteros können Schwuchteln sein, können die Tatsache, dass Frauen Schwule immer toll finden, ihnen immer an die Wäsche wollen, auszunutzen versuchen, indem sie sich vermeintlich schwul verhalten, sich also schminken, gefühlsduselig geben und sich ein nettes Frisürchen machen, sich jeden Abend ihr Gesichts-Peeling gönnen, obwohl wahrscheinlich kein wirklich Schwuler, besser gesagt Homosexueller, sich jemals dazu herablassen würde, sich gängigen Stereotypen zu unterwerfen - und selbst wenn es einer tun sollte, dann nur aus Sarkasmus, oder zumindest aus einer gewissen Ironie heraus, genauso wie Schwarze sich selbst „Nigger“ nennen.
Ich weiß nicht, ob mich aus demselben Grund auch selbst als dumm bezeichne, denn eigentlich bin ich ja von meinem Unwert überzeugt.
Die Typen kommen. Komplizierte Begrüßungsrituale. Ghetto-Shit. 1,2 Hartz 4 – Guck, ich hab’ mir eine Glatze rasiert. „Ich hab’ den übelsten Shit dabei, Peeps.“ 1,2 Hartz 4 – Köln-Kalk-Ghetto, doch ich mag’s hier.
Spinner, Idioten, gemeingefährliche Gehirnamputierte. „Was denn so?“
„Speed, E, Ritalin.“
„Ritalin? Ich glaube das brauche ich heute.“
„So hyperaktiv wirkst du gar nicht, Mann.“
Mann.
Ich schmeiße das Zeug doch nicht, frage auch nicht mehr danach. Der gute Dyonisos treibt schon genug bunte Spielchen mit mir. Ich muss scheißen, aber bevor ich mich auf eine der vollgesifften Toiletten mit Zuckerrand werfe, muss ich mir entweder doch das Ritalin geben oder noch 5 Bier trinken.
Nichtsdestotrotz blabla. Und außerdem sowieso. NE PARTY SOLL DAS SEIN? Ja, die 5 Bier hab ich schon getrunken, vielleicht auch 15. Stimmt, dann kann ich kacken gehen. Freude schöner Donnerbalken. Alles abgefuckte Fotzen. Wo ist Gloria? Ich kann sie nicht mehr sehen. Durch die Massen kämpfen. Da. Ihre Haare. Wieder weg. Ihr Arm. Dunkel. Pogo. Wo, verdammt, wo? Leute springen auf mich. Licht, flackerndes. Alles dreht sich. Schweiß und Bier, vielleicht Urin. Ich sehe sie. Gehe hin. Sie dreht sich um. Blaue Augen?
Ich muss raus. Ich muss raus. Ich schreie. Falle auf den Boden. Kotze alles aus, was je in mir war. Alle Gefühle. Alles von Gloria. Ich setze mich neben die Kotze und rauche noch eine. Um mich rum tanzen die Leute.
You can’t always get what you want.
Fick dich doch, Mick Jagger, Jick Magger, Mac Jigga, Jack Migger.
Guido kommt, will mir hoch helfen, ist vernünftig, besitzt sozusagen Ratio, doch ich muss erst zu Ende rauchen. Er drängt mich. Ich bin noch nicht so weit. Was für eine Scheiße! Es ist so ekelhaft.
„Ja, verdammt.“
„Wir sollten jetzt wirklich gehen!“
Aufstehen, hinfallen, aufstehen, an fremden Leuten festhalten, ihnen zum Abschied auf die Schuhe spucken, einfach nur weil das der Punkrock ist, Mann.
Mann.
Jetzt fang ich auch schon so an.
Noch ein Bier.
„Nein, nicht hier.“
„Langsam fuckst du echt ab.“
„Dann beeil dich.“
Ich beeile mich.
„Ist deine Mutter hier, oder was?“
„Ich erklär’s dir draußen.“
Doch während ich da so stehe, mit einer Zigarette in der Fresse, mit der einen Hand meinen Hosenstall zuzumachen versuchend und in der anderen das Bier balancierend und mich fragend, wann ich das letzte Mal so besoffen war, sehe ich schon, was er mir erklären will. Da steht sie. Diesmal wirklich.
Sie sieht mich nicht, Quasimodo zu ihrer Rechten ebenfalls nicht.
„Wir bleiben hier.“, sage ich.
Guido sagt nichts, seufzt nicht, macht keine Anstalten, auch wenn er besser als ich weiß, was noch kommen wird. Ich weiß es eigentlich gar nicht, überhaupt nicht. Will sie sehen, mich an meinem Unglück weiden. Wie bei einem Autounfall, nur dass ich selbst beteiligt bin.
Das erste Mal, dass ich die beiden zusammen sehe. Sie lacht. Ihre Hand in seinem Nacken. Ich kann nicht wegsehen, starre beide an. Drücke die Zigarette auf meinem Unterarm aus und fühle nichts. Sie hat mir nie gehört. Liebe ist Besitz, denke ich, doch sie hat mir nie gehört, war nie mir, war nie bei mir.
Retrospektive: Sie hat mich nie zuerst geküsst. Sie hat bei Telefonaten immer zuerst aufgelegt.
Pathetische Scheiße: Mein Herz zerspringt in tausend Teile, dir zu Füßen und du trampelst darauf rum. Zerstör mich. Töte mich.
Objektiv: Sie hat einen Neuen, find dich damit ab. So ist das Leben. Bald bist du darüber hinweg.
Und in Wahrheit habe ich sie einfach geliebt, liebe sie noch immer und ich rauche.
Nach jeder Beziehung kommt der große Body-Count, die finale Abrechnung, bei der bis auf alle Einzelheiten hin verglichen wird wer, wann, was und aus welchen Beweggründen getan, wer, wann, wen, wie gefistet hat, bis endgültig feststeht, wer das größere Arschloch ist.
„Du hast mich mit einem Freund von mir betrogen.“
„Du hattest am Samstag, den 21.10.06, keine Zeit für mich.“
Natürlich sagt sie das nicht wirklich, aber das macht keinen Unterschied.
Die Frage nach dem „Warum?“ interessiert mich kein Stück mehr, doch als das noch anders war, sagte ich mir immer, dass sie Robert genommen hat, weil er das komplette Gegenteil von mir ist, für alles steht, was ich verachte, habe es mir damit erklärt, dass sie es nicht ertragen konnte, dass ich sie liebe, für sie da bin, dass ihr die emotionale Nähe zuviel geworden war und, dass sie deshalb Robert gevögelt hat, weil er kalt ist. Ein kalter, bloß existierender Körper, ein Klumpen Fleisch; Ficken, fressen, saufen.
Selbst Darwin hat ja schon gesagt, dass Frauen auf Typen mit Egos, größer als ihr Penis, stehen und eben nicht auf einfühlsame, intelligente, künstlerisch veranlagte, denkende Menschen, die wissen wie der Hase läuft.
Wirklich sagt sie, dass ich keine Ahnung habe und mich mal wieder irgendwo reinsteigere, dass ich mich, egal um welches Gefühl es geht, immer nur hineinsteigere, mich in dem Gefühl verliere, viel zu sehr darin aufgehe, den Blick fürs Wesentliche verliere.
Was denn das Wesentliche sein soll, frage ich sie und sie dreht sich um und geht. Nur Robert steht noch da und schüttelt den Kopf. Den Kopf, den von ihr gestreichelten Kopf. Er schüttelt ihn. Schüttelt ihre Berührung ab. Ist es nicht wert, von ihr berührt zu werden. Ist es folglich nicht wert zu leben, zu existieren. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Eine Vorstellung ist wahr, solange es für unser Leben nützlich ist, sie zu glauben. Und so glaube ich, dass er sterben muss, dass ich sterben muss, damit sie leben kann. Oder vielleicht auch er sterben muss, damit ich in Ruhe sterben kann. Die Vorstellung, dass er sie fickt, sie von hinten nimmt, ihr an den Haaren zieht, ihr in den Mund kommt. Aber viel schlimmer: Die Vorstellung, dass sie das Licht dabei ausmachen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (16.09.19)
Schwanzgesteuerter Ich-Erzähler, vulgärer Inhalt.
Nun ja, handwerklich ordentlich gemacht, aber nicht mein Thema.
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