I-I - alleine - Du bist chancenlos. Du bist Deutschland.

Roman zum Thema Untergang

von  Ricardo

Immer wenn ich alleine bin, denke ich daran mich umzubringen. Nicht so wie früher. Ich berechne dann nicht die Anzahl der Aspirintabletten, der Anti-Brech-Mittel und die Mengen an Wodka, die ich dazu benötigen würde. Nein, es fällt mir einfach wieder ein. Der Selbstmord klopft an und sagt „Na, alles klar?“. Manchmal sage ich dann „Ach, weißt du, es könnte besser sein.“, oder „Geht so. Aber du sahst auch mal besser aus.“. Manchmal sage ich auch gar nichts und dann habe ich für zwei Stunden dieses Echo im Kopf. Ich will mich nicht mehr umbringen. Irgendwann habe ich während eines Gehirnspasmas gemerkt, dass Selbstmord, obwohl er die Antwort auf jede menschliche Frage sein kann, doch zwangsläufig nur aussichtslos ist. Wahrscheinlich sogar aussichtsloser als die Situation, in der man sich befindet, wenn man Smalltalk mit ihm hält. Aber wenn ich alleine bin, dann fällt es mir eben einfach wieder ein. Meistens wenn ich leicht angetrunken nach Hause fahre. Von irgendeiner Party, einer Kneipentour in der Stadt, einem Versuch die Welt zu retten. Dann gehe ich nachts die Straße lang und es ist niemand da, der mich fragt wie es mir geht. Also rauche ich, habe zwei, drei grandiose Einfälle, die, wenn ich sie nicht sofort aufschreibe, im nächsten Gullydeckel verschwinden und denke mir, dass sie sich schon nicht so schnell von mir verabschieden werden und bestimmt warten bis ich zuhause bin, geschissen habe, eine Zigarette geraucht habe und der Computer an ist. Aber wenn ich dann zuhause bin, geschissen habe, eine geraucht habe und der Computer an ist, ist alles weg. Wahrscheinlich mit im Abort versunken, oder irgendwo nach 2 cm zu Asche geworden.
Ich sitze also da, starre den Bildschirm an, starre aus dem Fenster, mache die Rollläden zu, starre den Bildschirm an, rauche, betrachte mein Brecht-Poster, den Bildschirm, mache ihn aus, gehe auf den Balkon, denke „Nicht hoch genug.“, rauche, gehe ins Bad um mir die Zähne zu putzen, erschrecke mich vor meinem Gesicht, putze mir die Zähne doch nicht und gehe schlafen. Meistens schlafe ich traumlos.

In der Wohnung, zu der der Balkon gehört, der einfach nicht hoch genug ist, nie hoch genug war und nie hoch genug sein wird, wohne ich jetzt seit 3 Jahren mit meiner Mutter. Meine Eltern haben sich getrennt, so wie alle Eltern sich trennen, ich bin zu meiner Mutter gezogen, so wie alle Kinder zu ihren Müttern ziehen. Jetzt bin ich 18 und meine Mutter sagt nichts mehr dazu, wenn ich nachts betrunken nach Hause komme, scheiße, zum PC renne, auf den Balkon gehe, in mein Zimmer gehe und dabei rauche und weiter trinke als ob morgen die Prohibition wieder anfangen würde. Sie liegt da in ihrem Bett, ist furchtbar unglücklich und schaut wahrscheinlich immer noch jede Nacht nach, ob ich mich auch nicht umgebracht habe. Ich weiß noch genau als ich im Sommer vor drei Jahren, also dem „Jahrhundertsommer“ – und das war er für mich auf eine seltsame Art wirklich - zwei Wochen lang in meinem Zimmer saß und es nur zum Essen und Scheißen verlassen habe. Ansonsten habe ich geraucht – 2 Packungen am Tag, gelesen – hauptsächlich Hesse und „Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen“ und geschrieben – meistens Belangloses. Irgendwann, als ich gerade einmal meiner Notdurft nachgehen wollte, sah mich  meine Mutter an, fing an zu weinen und fragte mich: „Wer bist du?“.
Eben in der Stadt hat mich wieder jemand für eine Frau gehalten. Das dritte mal in diesem Monat. Mittlerweile habe ich aufgehört die Leute zu korrigieren. Die meisten merken irgendwann, dass sie sich vertan haben und gucken mich dann aus irgendeinem Grund so an, als wäre ich derjenige, der sie gerade als Transe bezeichnet hat. Es ist immer dasselbe; Menschen gucken sich nicht richtig an. Vor allem in unserer Generation nicht.
Unsere Generation… Was für ein Dreck. Wir sind nicht anders als die Generation unserer Eltern, und das Geschwafel über Gewalt und Drogen ist schlicht und ergreifend sinnlos, weil es vor 30 Jahren genauso war, nur, dass es damals noch keine Shell-Studien gab und Schlägereien noch an der Tagesordnung waren. Aber jetzt, wo alle ´68er bürgerliche Parteien wählen und dem Neoliberalismus frönen, müssen sie natürlich ihre Ideale und natürlich auch ihre Jugend, denn um die geht es ja gerade, verleugnen und müssen ihre Kinder und deren Ideale verurteilen. Natürlich nicht ihre eigenen Kinder, denn diese zu verurteilen wäre ja nur ein Beweis ihrer eigenen Unfähigkeit, ihre neu gewonnen Ideale auch wirklich an ihre Nachkommen weiterzugeben.
Wie auch immer. Ich sitze in der Wohnung, die nicht hoch genug ist und höre wie der Regen, simultan zu der Musik von Cat Power, gegen die Fenster prasselt, während ich mir Pornos angucke und mir Anleitungen zum Bombenbauen aus dem Internet besorge um die Einsamkeit und die Langeweile zu übertönen. Nur Sex, Drogen und Gewalt können einschneidende Emotionen für kurze Zeit betäuben. Deswegen fickt meine Generation auch andauernd. Entweder wird man von einem Menschen gefickt, der nur für die Dauer des Vorgangs, also des Fickens an sich, interessant ist, oder man wird von dem Gras, dem Lachgas, den Pilzen, den Pillen, dem Koks, dem Alkohol gefickt, oder man fickt selbst irgendetwas, was in der Sprache des allgegenwärtigen Koitus bedeutet, etwas zu zerstören. Ich kann das momentan gut nachempfinden. Also rauche ich und gucke Pornos und denke: Die Tatsache, dass wir das Wort „ficken“ für nahezu alles verwenden, impliziert, dass jeder Vorgang, jede Aktion, jedes Gefühl, jeder Gedanke von Sex bestimmt wird. Eigentlich ist es aber immer die Gewalt, die alles bestimmt.
Sex – zumindest das triebgesteuerte und völlig emotionslose Bumsen, Vögeln, Ficken, das von Gina Wild propagiert und von nahezu allen kompensations-lüsternen Menschen praktiziert wird – ist auch nichts mehr als bloße Gewalt. Da sagt zum Beispiel „Toni“, irgendeine Atze aus dem Ruhrpott, der sich gedacht hat, dass die Welt gerne seine Ansichten über Frauen und Sex in seinem selbstgedrehten Video „Die Wahrheit über Frauen“, das er im Internet ausgestellt hat, erfahren möchten, dass es „beim Ficken so richtig schön klatschen muss!“. Danke Toni.
Drogen sind Gewalt. Davon könnte Toni bestimmt auch einiges erzählen, tut es aber zum Glück nicht. Egal wie man es betrachtet; Entweder man nimmt Drogen um die „Gewalt über sich selbst zu haben“, was natürlich totaler Schwachsinn ist, weil man die Gewalt über sich selbst nur an die leise Stimme in seinem Kopf abtritt, die dann entweder völlig sinnloses Zeug von sich gibt, wie: „Bernd das Brot war gestern mit mir Kegeln und er konnte viel besser Klavier spielen als ich.“, oder aber ständig auf der Suche nach neuen Titten und Ärschen ist, womit wir wieder beim ebengenannten Geschlechtsakt wären.
Dass Gewalt Gewalt ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Ob autoaggressiv oder nicht spielt keine große Rolle. Der Unterschied, zwischen Menschen die sich selbst verletzen und denen die andere verletzen, liegt einzig allein in der Art und Weise wie das „gefickte“ Selbst gelernt hat mit dem allgegenwärtigen Auf-die-Schnauze-Fallen in dieser Zeit umzugehen. Entweder du bist Kurt Cobain oder Adolf Hitler, Mann.

Einfälle wie diese kommen mir also, wenn ich nachts die Straßen lang gehe, 3 Liter Russenbier, 4 Tequila, 2 Wodka-Lemon und einen Longdrink mit „Ist-doch-egal-mann-Hauptsache-es-knallt“ intus habe und der Selbstmord wahrscheinlich gerade auch zu besoffen ist um mich anzuquatschen. Die Tatsache, dass ich solche grandiosen Gedankengänge nicht zu Papier bringe findet seine Konsequenz darin, dass ich am nächsten Tag verkatert im Bett sitze und eine Liste schreibe, die ungefähr so aussieht:
- Lokomotivführer
- Bahn-/Busfahrer
- Reisekaufmann
- Förster
- Schaffner
- Supermarktverkäufer
- Automechaniker
- Optiker
- Kellner (Ausbildung?)
- Flughafenmitarbeiter/Steward
- Sekretär
- (Nacht-)Portier
- Postbote
- Hausmeister
Über der Liste steht: „Mit 30 ohne schlechtes Gewissen sterben können“.

Den Plan mich im nächst besten Schießverein anzumelden, obwohl ich innerlich eine tiefe Abneigung gegen eben solche habe, da ich der festen Überzeugung bin, dass sie von Grund auf faschistoid (zwar nicht so faschistoid und kleinbürgerlich abstoßend wie richtige Schützenvereine, aber nichtsdestotrotz sehr fragwürdig) sind, habe ich schon so lange, wie ich weiß, dass man 30 Aspirin, 2 Antihistamin, jede Menge Sodiumbicarbinat und eine halbe Flasche Wodka braucht um zu sterben, aber die Vorstellung mich einer Gruppe Vollidioten anzuschließen, sei es auch nur für kurze Zeit und psychologische Tests über mich ergehen zu lassen, bei denen ich die ganze Zeit sagen müsste, wie gerne ich mir einen auf mein eigenes Leben wichse, aber doch darauf aufpassen müsste, nicht zu positiv zu sein, da es sonst unglaubwürdig wäre, hat mich bis jetzt davon abgehalten und wird es wohl weiterhin.
Und daran scheitert der ganze Plan. Daran, dass ich faschistophob bin. Daran scheitert jeder Plan letztendlich. Denn die Chance eine Waffenbesitzkarte mit der Begründung zu erlangen, man sei Waffensammler, was offensichtlich nur vollkommener Unsinn sein kann, wenn man 18 Jahre alt ist, es sei denn man ist pervers, bzw. auf eine seltsame Art und Weise an perfiden Mordinstrumenten aus dem Korea-Krieg, oder vielleicht auch dem Vietnam-Krieg interessiert, was allerdings auch dazu führen wird, dass die netten Beamten auf einmal ganz genau hinhören. Aber wahrscheinlich sind es im Endeffekt dann gerade solch debile Spinner, die ungestraft Waffen bunkern dürfen um dann in der entsprechenden Situation konterrevolutionäre Einflüsse ausüben zu können, während mir, der ich mir doch nur selbst, nicht anderen Menschen oder gar der Weltgeschichte, Schaden zufügen will, der Erwerb einer Schusswaffe verwehrt bleibt, wobei ich im Falle einer Revolution auch nicht abgeneigt wäre, die Waffe mit dem Lauf nach vorne zu richten.
Wie gesagt: Ich will mich gar nicht mehr umbringen. Aber für den Fall der Fälle, sollte man ja immer vorbereitet sein. Wenn man eines Nachmittags aufwacht und feststellt, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war, was mir alle zwei Jahre passiert, dann ist es schon gut passende Alternativen im Haus zu haben. Gestern war wieder ein solcher Nachmittag. Es war mitten im Sommer, noch so ein Jahrhundertsommer, wenn nicht sogar der Jahrtausendsommer, und es regnete. Das leise Klopfen der Regentropfen hat mich geweckt und ich bin aufgestanden, ohne zu wissen, wo ich gestern Nacht war, geschweige denn wie ich nach Hause gekommen bin. Nach einer Zigarette, einem Blick in mein Email-Postfach und einem Kaffe fiel mir ein, dass ich mich ja gestern mit Paul betrunken habe. Ganz übel. „Aber es war gut und es ist auch jetzt gut, dass ich so einen Kater habe.“, dachte ich bei meiner nächsten Zigarette. Der Kater ist stärker als die Einsamkeit. Stärker als der Schmerz.
Wenn alles schief läuft, fehlt mir meist die Motivation mich wieder aufzurappeln. Da helfen mir auch die „Wege-zum-Glück“-CD’s meiner Mutter nicht. Nichts als bourgeoiser Unsinn. Vor allem, weil die CD von Aldi herausgegeben wurde, so als hätten die Albrecht-Brüder die Weisheit mit Löffeln gefressen und ließen uns jetzt in ihrer Großzügigkeit für 19,99€ daran teilhaben. Mir hilft das jedenfalls wirklich nicht und ich weiß immer noch nicht wie ich darauf klarkommen soll, dass Robert meine Freundin gevögelt hat.

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Kommentare zu diesem Text

InMajoremArtisGloriam (29)
(20.06.07)
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 Ricardo meinte dazu am 21.06.07:
erst einmal: danke!
2.: wenn dir das so gefallen hat, dann lies doch bitte noch die anderen kapitel und kommentier fleißig weiter;)
3.: warum finden leute mich entweder total scheiße oder flippen total aus?
4.: bin ich cool weil ich für kontroversen sorge?
5.: liebe grüße
6.: kauf anfang nächsten jahres den roman!

 Dieter_Rotmund (08.07.18)
Nichts für ungut, aber der Einstieg

Immer wenn ich alleine bin, denke ich daran mich umzubringen.

macht extrem wenig Lust, weiterzulesen!

Tipp: Eröffne mit einem spannenden, den Leser einladenden und neugierig machenden Satz. Den alten Eröffnungssatz kann man später in Text immer noch erwähnen, wenn man dann noch mag.

Kommentar geändert am 08.07.2018 um 13:46 Uhr
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