I-II – mit Gloria – Oh, I do believe in all the things you say

Roman zum Thema Untergang

von  Ricardo

Gloria lernte ich vor 2 Jahren in einem Cafe kennen. Es war spät abends, ich hatte gerade zwei Gedichte vorgelesen und sie saß einfach da, trank einen Yogi-Tee und rauchte unaufhörlich. Ab und zu sah sie mich an, als ob sie erkennen wollte, was in mir vorging, als ich einfach da saß, einen Yogi-Tee trank und unaufhörlich rauchte. Ab und zu sah ich sie an und versuchte zu erkennen was in ihr vorging. Sie sah traurig aus.
Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln, sah wie ihre schlanken Finger die Zigarette zum Mund führten und war für einen kurzen Moment begeistert. Dann sah sie mir direkt in die Augen, lächelte und da wusste ich, dass das nicht gut gehen würde, nicht gut gehen konnte.
Sie nahm ihren Tee, ihre Zigaretten in ihre schlanken Finger und bewegte ihren zierlichen Körper, nicht ohne dabei ihre langen braunen Haare nach hinten zu streichen, langsam zu meinem Tisch. Sie saß also da, nahm sich eine von meinen Zigaretten, nahm mein Feuerzeug und rauchte. Dabei lehnte sie sich nach hinten und schaute mich durchdringend an, während ich ostentativ auf die Straße schaute, auf der es nicht wirklich etwas zu sehen gab, außer den vielen Menschen, die so taten als seien sie fröhlich.
„Du siehst traurig aus.“, sagte sie.
Jetzt war ich gezwungen etwas zu sagen. Wenn jemand etwas sagt oder sogar fragt, wenn auch nur indirekt, wie in diesem Falle, dann ist der Gesprächspartner, der in diesem Moment offensichtlich nur ich sein konnte, an der Reihe etwas zu erwidern, ob er will oder nicht. So ist das.
„Du auch.“, war meine Antwort, weil mir nichts Besseres einfiel und weil ich immer stottere, wenn ich mit Frauen rede, die ich bewundere und versuche lange Sätze zu bilden.
„Aber ich habe immerhin eine Ausnahme für Dich gemacht und Dir ein ehrliches Lächeln geschenkt.“
„Ich lächle einfach nicht gerne, das hat nichts mit Dir zu tun. Dich würde ich sogar gerne anlächeln. Ehrlich.“
Pause. Und dann:
„Dann tu es doch. Versuch’s einfach.“
Wo ich da herein geraten war und vor allem, wie ich wieder heraus kommen sollte, war mir nicht sonderlich klar. Also lächelte ich, versuchte es zumindest, kam mir aber schrecklich idiotisch dabei vor und merkte, wie schnell man lächeltechnisch aus der Übung kommen kann, wobei ich ihr allerdings nicht in die Augen schauen konnte.
“Na ja… Für den Anfang nicht schlecht.“
Für diese Antwort sah ich ihr dann doch in die Augen. Und sah ihr in die Augen. Sah ihr in die Augen. Die Augen.
„Das ist schon besser.“, kam es aus ihrem Mund.
Blinzeln. Kopfschütteln. „Habe ich gelächelt?“
„Nein, aber du sahst nicht ganz so traurig aus wie eben.“
Ich lächelte.

An diesem Abend hatten wir keinen Gina-Wild-Sex und fickten uns auch nicht mit irgendwelchen Drogen. Aber wir gingen nachts im Park spazieren und rauchten, was sich unweigerlich kitschig anhören muss, aber im Endeffekt genau das war, was ich brauchte. Sie wohnte in der Nähe, im Belgischen Viertel, dem einzigen Viertel Kölns das ich mag, auch wenn ich es jetzt nicht mehr betreten kann, aus Angst auf offener Straße in Tränen auszubrechen oder meiner Wut an Autospiegeln freien Lauf zu lassen, und da meine letzte Bahn schon lange gefahren war, schlief ich bei ihr. Ihre Wohnung erinnerte mich daran, dass 25 Menschen in einen Trabbi passen; Eine Matratze auf dem Boden, ein kleiner Herd, eine Spüle, ein Tisch mit 2 Stühlen, die so neu schienen, dass sie einfach nicht zum Rest passen wollten und ein kleiner Fernseher, waren alles was in den 20qm Platz fand. Abgesehen von den überfüllten Bücherregalen und den Büchern, die nicht mehr in die Regale passten, natürlich. Proudhon, Bakunin und Max Stirner. „Wahrscheinlich Anarcho-Syndikalistin“, dachte ich, wollte mich aber heute noch auf keine Diskussion über den Sinn und Unsinn der Bildung eines Staates unter einer revolutionären Partei und der Wahrscheinlichkeit, dass diese die arbeitende Bevölkerung verantwortungsvoll in die vollkommene Demokratie führen wird, einlassen. Außerdem las auch ich des Öfteren Anarchisten um vielleicht gute Ideen aufgreifen zu können und vor allem um mir immer wieder zu beweisen, dass Sozialismus wirklich das Richtige für mich war.
Ich fühlte mich dennoch wohl als sie eine nackte Kerze anzündete, sie auf einem Klecks Wachs auf dem einzigen Tisch befestigte und dann bald eben so nackt vor mir stand. Ihr Körper war warm und wir haben nicht gefickt.
Wir haben miteinander geschlafen.

Am nächsten Morgen gab es Toast mit Tomaten. Es war das erste Mal seit 3 Jahren, dass ich neben derselben Frau aufgewacht bin, neben der ich auch eingeschlafen war. Sie ist nur mit einem schwarzen Höschen bekleidet aufgestanden, das mir erlaubte ihren Arsch, der wirklich nicht zu verachten war, ein 54igstes Mal zu begutachten, hat sich neben die Matratze gekniet, mir auf die Stirn geküsst und sich eine Zigarette angemacht. Dann ging sie in die Küche und machte uns Frühstück. Es war alles so einfach: Sie kam wieder, wir frühstückten im Bett, wenn man das so nennen mag, tranken das Bier, wenn man das so nennen mag, vom Abend davor, das mittlerweile warm geworden war, und sahen uns alte Sitcoms auf Pro7 an. Ich konnte nicht glauben, dass es so einfach sein sollte. Jedes mal als ich in ihr zartes Gesicht mit den großen Augen sah und ihr die Haare aus demselbigen strich, musste ich mir erneut bewusst machen, dass das anscheinend kein Traum war.
„Richy?“ - Ein wenig später, als sie meine Freunde kennen lernte und fester Bestandteil meines Lebens wurde, nannte sie mich Richard, so wie alle es taten, seit ich 18 war. Ich kam mir vor wie Herr Lehmann. „Ja?“
“Es ist schön mit dir.“ Noch nie vorher klang etwas für mich so ehrlich und war gleichzeitig doch so unglaublich, also versuchte ich ihr genauso ehrlich meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen und sagte: „Mit dir auch.“, wobei mir wieder einmal auffiel, dass sich solche Antworten ausnahmslos geheuchelt anhören, aber die einzige Alternative darin besteht, den Satz den man gerne erwidern möchte, einfach so zu wiederholen, ohne das kleine Wörtchen „auch“, was sich mindestens genauso beschissen anhören würde.
Wir lächelten. Nach fünf Sekunden sagte sie:
„Deine Gedichte von gestern waren echt verdammt gut. Nach so etwas habe ich in all diesen Büchern da gesucht und es vielleicht ansatzweise in zweien gefunden. Wahrscheinlich hätte ich dich nie angesprochen, wenn du sie nicht vorgelesen hättest.“
„Ich hab’ doch gewusst, dass sich das Schreiben eines Tages lohnen wird.“
Sie lachte.
„Ach so ist das. Du schreibst also nur um so geile Weiber wie mich abzuschleppen?“
„Ja natürlich. Anders kommt so eine Luftpumpe, wie ich, doch an so Schnitten, wie dich, nicht ran.“
„Dass du `ne Luftpumpe bist, denke ich nicht. Erst recht nicht mehr seit gestern Abend und heute Morgen und vor allem nicht mehr seit heute Mittag, Schätzchen.“
Ich liebe es, wenn Frauen, die süß und unschuldig wirken, versuchen etwas Anzügliches zu sagen, dachte ich, sagte es aber nicht, weil mir dieses Lob doch irgendwie zu sehr schmeichelte.
Sie sah mich herausfordernd an, ich küsste sie und wusste was das in diesem Moment bedeutete. Dann hatten wir wieder Sex, diesmal etwas sportlicher. Danach lagen wir den Rest des Tages im Bett, erkundeten unsere Körper, so als hätten wir beide Angst, den anderen nie wieder zu sehen. Im Grunde genommen hatten wir davor sogar tatsächlich Angst, glaube ich. Ich weiß nicht wie oft ich bis dahin schon gedacht und gehofft hatte, das zweite Mal Sex würde bedeuten, dass man wirklich Gefühle füreinander hat. Aber mit Gloria schien es wirklich so zu sein. Irgendetwas an mir bewunderte sie genauso, wie ich an ihr. Immerhin sah sie mich mindestens so oft, wie ich sie, fassungslos an, schüttelte den Kopf und lächelte.
Zwischendurch rief mein Vater, wie jeden Tag, an und lallte, wie jeden Tag, irgendetwas von leeren Bierkästen und Fahrrädern, die ich reparieren müsste. Im Gegensatz zu sonst hatte ich an diesem Tag kein Mitleid und drückte einfach auf den roten Knopf. Dafür rief ich aber dann, als ich mich kurz auf dem Klo verkroch, meine Mutter an, erzählte ihr, dass ich ein ganz tolles Mädchen kennen gelernt hatte, was mein Vater für ein Arschloch sei und hatte direkt ein schlechtes Gewissen, weil ich so glücklich war und sie nicht, da ihr Freund sie vor 2 Wochen verlassen hatte, weswegen sie auch zu weinen anfing und ich die nächste halbe Stunde damit beschäftigt war, sie zu trösten, wobei ich mir allerdings ziemlich lächerlich vorkam, nackt wie ich dastand. Also suchte ich ein Handtuch, fand irgendwann sogar eins, kurioserweise mit Mickey Mouse drauf, runzelte die Stirn und wickelte es mir um, sodass Mickeys Nase zufällig einen leichten 3D-Effekt bekam.
Nachdem ich meine Mutter getröstet und ihr versichert hatte, dass ich am nächsten Tag mal Zuhause sein würde, ging ich zurück in das Zimmer und sah wie Gloria vor dem Spiegel stand und sich gerade einen BH anzog. Sie sah auf Mickeys Nase, die auf einmal sehr viel größer geworden war. Mickey, du darfst nicht lügen.
„Guck’ nicht so, ich kann nichts dafür. Was hast du vor?“, sagte ich und sie dann daraufhin:
„Wo warst du die ganze Zeit, wenn ich fragen darf?“
Ich sagte: „Ich war auf Toilette und dann hat mein Vater angerufen.“ Ich sagte:
„Das Arschloch.“
Sie nickte. „Okay.“ Sie sah mich an. “Wir gehen aus. Ich will deine Freunde kennen lernen.“
Und damit fing die ganze Scheiße mehr oder weniger erst an.

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Kommentare zu diesem Text

spiegelimspiegel (34)
(18.05.09)
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