Begegnung mit der Moderne

Reportage

von  kirchheimrunner

Die Pinakothek der Moderne in München
Ein Besuch, ein Rundgang, eine Reportage




Kunst, Graphik, Design und Architektur; vier Museen unter einem Dach. Das klingt viel versprechend und interessant.

Die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts live und gegenständlich zu erleben, überraschende Einblicke zu gewinnen, Zusammenhänge  erkennen und das Schlüsselwort „Moderne“ zu verstehen, das war mein Ziel.

Ich hatte mir viel vorgenommen: Die Zeit, der Raum und die Sinnlichkeit der „Moderne“; das alles war verlockend genug.


Zutritt/Eintritt
***

Der erste Eindruck, das Äußerliche, es erweist sich mir als abweisend und verschlossen. Ich bin enttäuscht! Ein Eingang ist nicht zu sehen. Auch die Ausschilderung ist spärlich. Schon die architektonische Gestaltung des Museums zeigt den festen Willen, schon vor dem Betreten unzugänglich zu bleiben.

Wieder einmal bewahrheitet sich mein Vorurteil:

Die „Moderne“ möchte ungedeutet und verschlossen bleiben! Sie weicht allem Kon-kreten, allen Deutungsversuchen so weit wie möglich aus. Sie widersteht mit aller Kraft dem Beharrungsvermögen des Konservativen. Ihre starke Orientierung auf den Fortschritt hin, lässt die Avantgarde doch immer wieder vergessen, dass eine zum Publikum hin-gewandte Öffnung der Kunst notwendig ist um zu bestehen. Lieber versteht sich die Elfenbein – Kunstgilde als neue Elite bezüglich Kreativität und Innovation.


Als Ergebnis bleibt ein,  jedenfalls von Außenansicht her  – nicht zu lösendes Rätsel und ein unangenehmes  Nicht-Verstehen.

Joseph Beuys, einer der in der Pinakothek der Moderne am meisten vertretenen Künstler hat einmal sehr treffend formuliert:
„Jeder Mensch ist ein Künstler“ 
und forderte ein kreatives Mitgestalten an der Gesellschaft und in der Politik.

Darum, und umso mehr, währe eine offene, transparente Architektur des Museums förderlich. „Jedermann sollte Zutritt – gerade zur Moderne -  erhalten können“. 

Heute aber,  wird dieser Begriff  - „Moderne“ - doch  überwiegend mit Entwicklungen in Verbindung gebracht, die im 18. und 19. Jahrhundert begannen: Geistesgeschichtlich mit der Aufklärung, politisch mit der Französischen Revolution, ökonomisch mit der Industrialisierung. In der Kunstgeschichte gilt insbesondere das frühe 20. Jahrhundert als die klassische Moderne.

Und wie gestaltet sich dem Besucher  der Zugang zu diesem Phänomen:

Nur schwer lässt sich die Türe, die ich in einem Er-ker fand, öffnen. Sie ist sperrig, eng und schwer.

Dann jedoch: überrascht Licht, eine überraschende, ungedämpfte Transparenz und eine unvergleichlich wohltuende Pastellfrische.


Die die Kasse suche ich zuerst vergeblich. Dann der Schock: 9,50 € Eintritt. Eine weitere Hürde, die es zu überspringen gilt.

Dann die ersten, zaghaften Schritte in die hochgelobte Moderne: Kasse, Toiletten und Gardarobe; - das alles sehr ungewohnt gekennzeichnet und sehr schwer zu finden. Der Besucher findet sich nicht zurecht. Muss so etwas zwanghaft sein; -  in der „Moderne“? Orientierung als Denksportaufgabe?

Gerüche, der Duft von heißen Kaffe lockt mich in die Cafeteria; - gleich links, neben dem Südeingang. Keine Preisauszeichnung an der Theke. Wieder etwas unerwartet kryptisches für mich. Böse Absicht? Scheint so!
Ich bezahle 3,20 € für ein Cabiata mit versalzenen, teigigen Tomaten und ge-schmacklosem Mozarella – Käse. Mein Tagesbudget für einen Ferientag ist bereits verbraucht. Modernität hat offensichtlich einen sehr hohen Preis.

Lebenstote, immergrüne Baumattrappen neben den nüchternen Tischchen, runden das Bild ab. 

Mehr und mehr überkommt mich ein ablehnendes und kritisches Gefühl. Ich frage mich wieder einmal: Warum eigentlich, besetzt sich der Begriff „Modern" so selbstverständlich – und von sich aus, so negativ?

Ist es die self-fulfilling prophecy? Oder setzt sich meine innere Ablehnung gegen jedes Moderne Attribut wieder einmal durch?

Ich wollte einen Museumsbesuch machen. Dem Gedankenspiel einer sozio- philosophischen Auseinandersetzung sollte ich doch aus dem Weg gehen. 

Mir wird trotz allem bewusst, dass meine, mit Vorurteilen behaftete Strategie, die Realität zu erfahren, zwangsläufig dazu führt, dass sich meine negativen Erwartungen erfüllen.

Mertons Theorie der "Selbsterfüllenden Prophezeiung" findet bei mir, wieder einmal die bedingungslose Bestätigung! Oder gibt es einen Ausweg?


Der Rundgang durch ein Schloss
***


Ziel- und orientierungslos irre ich im Artrium umher. Kein Fixpunkt bietet sich mir dar. Bin ich auf den Weg zu Kafka’s Schloss, oder bereits darin gefangen?

Lesen wir ein paar Zeilen:
[...]Im ganzen entsprach das Schloß, wie es sich hier von der Ferne zeigte, K.s Erwartungen. Es war weder eine alte Ritterburg noch ein neuer Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewußt, daß es ein Schloß sei, hätte man es für ein Städtchen halten können. Nur einen Turm sah K., ob er zu ei-nem Wohngebäude oder einer Kirche gehörte, war nicht zu erkennen. Schwärme von Krähen umkreisten ihn. [...]


Ich fühlte mich genau so wie Kafka’s Herr K. - ich fühle mich verloren. Jedermann hier erkennt die täuschende Fiktion, jedem Außenstehenden ist der Ausweg aus der Situation klar; - mir aber verweigert sich der Sinn und das Ziel dieser Moderne.

Weiterhin bin ich unentschlossen. Sind es Exponate, oder ist es die Architektur des Museumsgebäudes. Ich erkenne keinen Unterschied mehr. Nichts reizt mich, näher zu treten.

Silencio  Silencio  Silencio
Silencio                  Silencio
Silencio  Silencio  Silencio

So steht es geschrieben. In großen Buchstaben. An der Wand gegenüber. Direkt ü-ber einer schwarzen Metalltüre. Was soll man auch dazu sagen?

Man beliebt es hier im Museum offensichtlich mit Worten zu spielen. Worte im Raum. Worte auf weißem Grund. Wortungetüme in einem leergefegten Nirgendwo:

herzpfeilergedenkkreisbrückenkopfsynagoge

Wo – um alles in der Welt bin ich gelandet? Ich beginne unterdessen an dem Vagen, an dem Ungewissen, das mich umgibt zu leiden. Das Nichtkonkrete nimmt den Boden mit, der unter meinen Füssen fester Grund sein sollte! Darum sind die Männer des Aufsichtspersonals auch klein, dick und stämmig. Sie sind es gewohnt, sich in Kafka´s Schloss zu orientieren.


Zu tausend Blicken gezwungen
****

Als weiteres Beispiel der nicht-konkreten Architek-tur begegnet mir ein Gemälde der Gralsburg; unwirklich, legendär, nicht zu finden und unerreichbar. Weitere phantastische Städte tauchen als Exponate auf: Isengart, dann Gotham City.

Das teilweise gegenständliche der Architektur, iher unterschiedlichen Fiktionen, ließ mich zumindest interessiert weitergehen. Ein erstes Festhalten und eine Orientierung versprach eine Begegnung mit der Literatur:
Diese Begegnung wird zum Bannstrahl:

Michael Hamburgers Lyrik, die das Gegenständliche der Natur beschwört, die Vorbild war für das Gestalten von künstlichen Landschaften fesselte mich; - zwingt zu einer Vielzahl von Blicken und nimmt gefangen. Und lässt dann, nachdem der Betrachter ermattet ist, eine Antwort staunend erfahren:

Von East Suffolk nach Ostwestfahlen
Von meinem Flachland fliege ich
Über eine Gegend der Hügel
Die über den Fluß Berge sind,
Von Wäldchen die über dem Fluß
Wald sind, der Teutoburger;
Und schaue, schaue,
Mir die kleinsten, allernächsten
Orientierungen an um zu sehen wo ich bin […]

Dichtung wird Architektur. Die Alten Künste vereinigen sich. Fiktionen werden wahr. Sie werden gegenständlich, auch wenn sie nie gebaut wurden.

Wieder: Isengart, die Gralsburg, Entenhausen und all die unsichtbaren Städte Italo Calvino’s. Und als erster Höhepunkt:
„The Unbuilt Monuments; - die Computeranimationen von Takehiko Nagakura“.

Der Faschistenwahn des Duce wollte auch in Rom, eine zweite, ewige und unzerstörbare Stadt bauen. Das Danteum von Giuseppe Terragni und Pietro Lingeri, sollte 1938 während der Mussolini-Ära, die Via dell‘ Imperio städtebaulich aufwerten.

Was für ein Glück, das diese „Göttliche Kommödie" nie verwirklicht wurde!
Dafür aber, als wortgewordene Architektur, ein virtueller Rundgang;  2 Meter im Quadrat ist die Leinwand gross:
Die Steine, die gedachten und gezeichneten Monumente, Säulengänge, Heldenstatuen; - sie zerfließen in Worte:

Leerer Raum. Nur Licht und Schatten, 1, nein 2i oder 3i; - dann aber 1000 unterschiedliche Grautöne:
Inferno, Paradiso, ein Imperium.

Weißt du, wie ich es betrat? Gefangen in einem dunklem Wald! [/b]


Und zum Schluss: Wir
***

Eine Moderne, eine avantgardistische Kunst öffnet sich durch die Worte der Dichter.

Jewgeni Samjatins Trauma von einem totalitären Einheitsstaat wird als Modell dargestellt. Gleichgeschaltete Menschen tragen Nummern statt Namen, leben in gläsernen Häusern und führen ein streng reglementiertes Leben:

[…] die schnurgeraden Strassen, das lichtfunkelnde Glas des Straßenpflasters,
die Kuben der durchsichtigen Wohnhäuser, die quadratische Harmonie der blaugrü-nen Marschblöcke…. Sonst leben wir in durchsichtigen, wie aus leuchtender Luft ge-webten Häusern, ewig vom Licht umflutet, wir haben nichts von einander zu verber-gen. [….]

Architekturstudenten der TU – München haben dieses Grauen, diese orwellsche Fiktion aus Papmache gebaut.

Ich fliehe, laufe begeistert davon….

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Kommentare zu diesem Text


 AndreasG (05.01.07)
Hallo Kirchheimrunner.
Eine sehr angenehm lesbare Reportage, die mich auch noch an meine eigenen Erfahrungen erinnert. Ähnlich ging es mir in der Cafeteria und bei vielen Exponaten. Besonders diese hohe Decke schreckte meine Wahrnehmung ... an manchen Stellen erschlug die Architektur geradezu die Ausstellungsstücke.

Liebe Grüße,
Andreas

 kirchheimrunner meinte dazu am 05.01.07:
Guten Morgen Andreas,

zuerst mal: 1000 - Dank fürs lesen. Lange Texte bleiben liegen. Du hast dir die Mühe gemacht; - das finde ich erstmal stark.

Dann ist dir mein Fehler aufgefallen. Natürlich heisst er Joseph, - nicht Heinrich.

Und ... damit ich es nicht vergesse: Danke fürs Sternchen..

L.G. Hans

 Isaban (05.01.07)
Faszinierend, diese ungewöhnliche Mischung aus Reportage, kafkaesken Erlebnissen und Empfindungen und der Suche nach der Moderne. Es scheint übrigens kein einmaliges Erlebnis zu sein, denn ich gestehe, dass ich meine Gedanken und Erkenntnisse aus einigen anderen Ausstellungserlebnissen sehr wohl wiedererkenne.

Gut gemacht, spannend auf einer beinahe beiläufigen, sachlichen Ebene und mit Vergnügen gelesen.

Liebe Grüße
Sabine

 kirchheimrunner antwortete darauf am 05.01.07:
Liebe Sabine, ganz herzlichen Dank für dein Interesse an meinem Text. - Natürlich auch für die Empfehlung.

Es freut mich, dass du die Suche nach der Moderne ähnlich nachempfinden kannst wie ich.


L.G. Hans

 Dieter_Rotmund (05.10.22, 18:30)
Ist zwar flüssig zu lesen, enthält aber dennoch ein paar krasse Fehler, z.B. "Die die Kasse" oder das Deppenapostroph bei Franz...
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