Diese Liebesgeschichte spielt im Frühjahr des Jahres 1915 im kleinen Ort Großweingarten. Ein Dorf armer fränkischer Hopfenbauern . Annegret war meine Urgroßtante.
Karl war bloß der jüngste Sohn des Armeleutebauern. Er hatte keine Erbschaft zu erwarten. Aber er war ein braver Kerl; etwas still, – im Umgang mit anderen Menschen ungelenk, - aber durch und durch zuverlässig.
Darum hat der Hopfschuster seinen Herzen einen Stoß gegeben und den jungen Karl als Lehrbub angenommen.
Dass sein Vater kein Mahlgeld für die Ausbildung zahlen konnte, ärgerte ihn zwar, - aber dafür war sein Karlchen, wie er immer sagte, bei der Kundschaft gut gelitten.
Nach dreieinhalb Jahren hatte der Karl im Schusterhandwerk ausgelernt. Der Hopfschuster war froh darum. Die Gicht machte mittlerweile schwer zu schaffen. An das Absteppen der Ledersohlen war nicht mehr zu denken.
Ohne Karl, seinen tüchtigen Gesellen müsste er seine Werkstatt schließen.
Schade eigentlich, dass ich keine Tochter mehr habe, das wäre was für mich,
für Karl … und überhaupt.
Leider hat um die Jahrhundertwende die Lungenschwindsucht das Hopfschusterlieschen schon im zarten Alter von 12 Jahren dahingerafft.
Immer im Herbst, wenn das Hopfenzupfen zu ende ging, ein paar Doppelzentner an den fahrenden Juden verschachert waren, saß auch das Geld bei Annegrets Eltern ein bisschen lockerer.
Es wurde nächtelang gerechnet, kalkuliert und das Für und Wider der notwendigen Anschaffungen abgewogen. Aber es dauerte bis in die Karwoche hinein, bis ihr sparsamer Vater das Betteln seiner Tochter erhörte:
Mit 21 Jahren sollte ich mein erstes Paar richtige Frauenschuhe bekommen!
Keine neuen, - du meine Güte –
nein, die ausgetretenen Stiefelchen ihrer Mutter, die mit den Messinghäkchen für die Schnürsenkel, die sollte der Schusterkarl aufdoppeln, neu besohlen
und die Löcher ausfüttern.
Anneret freute sich eine Schneekönigin. Jetzt könnte ich auch, wie die anderen Mädchen zum Maitanz gehen gehen.
An einem Samstagnachmittag kam Karl vorbei, zum Maßnehmen. Er war ein ganz netter Kerl. Ruhig und wortkarg. Der schwarze Schnurrbart wirkte ein wenig streng.
Schade; - für Annegret hatte er keine Augen, nur für die schwarzen, schäbigen, ausgelatschten Schnürstiefel ihrer Mutter.
„Das kriegen wir schon hin, gnädiges Fräulein“, war fast schon alles was er sagte.
Der strenge Vater stand natürlich die ganze Zeit dabei. Nie hätte er seine Tochter mit einem so schneidigen Mannsbild alleine gelassen.
Das schickt sich nicht!
Kommenden Dienstag dann, traf Annegret den Karl auf der Dorfstraße:
„Habe die Ehre, gnädiges Fräulein“, grüßte er schüchtern und zog seine Mütze vor ihr.
Sie blinzelte ihm nach, auch er drehte sich um, lächelte und verschwand in seiner Werkstatt! hinter einer staubigen Glasscheibe mit der Aufschrift:
Leopold Hopfschuster:
Herren – Damen – Kinderschuhe,
Lederarbeiten in Maßanfertigung.
Das junge Fräulein versuchte verstohlen durch die Scheibe zu gucken; aber Karl konnte ich nicht mehr entdecken, zu duster war es drinnen in der Schusterei.
Vor der Türe durfte sie sich auch nicht zu lange Türe aufhalten, was sollten die Leute von ihr denken?
So musste das arme Mädchen, liebeskrank wie sie war – noch endlos lange Tage warten, bis der schneidige Schusterkarl wieder zu ihr ins Haus kam; -
am Karsamstagmorgen; -
die eleganten Schuhe brachte er mit.
Wunderbar schwarz glänzte das Leder, als der Karl sie gegen das Licht hielt.
Liebevoll stellte er sie vor einen Schemel: „Aber hoch verehrtes Fräulein, warum probieren sie die Schuhe nicht an, gefallen sie Ihnen nicht?“
Annegret aber schaute bloß den Karl an, in seine braunen Augen, und bekam kein Wort heraus. Annegret war verlegen. So als hätte sie eine ganze trockene Semmel im Mund und müsste sie in einem herunterschlucken.
„Denken Sie sich nichts Herr Karl,
die träumt halt noch vor sich hin, das Kind!“
So war er, Annegrets Vater, er merkte gar nicht, wie es das junge Ding stand!
Annegret war sehr stolz auf ihr neues paar Schuhe.
1 RM und 6 Pfennige hat ihrem Herrn Papa der Spaß gekostet. Und wie es sich gehört, musste sie dem Karl das Geld in die Hand zählen und dann quittieren.
Mein Gott, Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals hoch.
Am späten Nachmittag, noch vor der Ostermesse, kam der kleine Rupert, der neue Jungstift der Schusterwerkstatt bei uns vorbei, „Ich hätte etwas abzugeben, fürs gnädige Fräulein, vom Karrenschmied sein Karl, … und frohe Ostern auch!“
Vor Glück hätte Annegret in die Luft springen können. "Ein lieber Ostergruß",
stand auf dem bunten Einwickelpapier mit der blauen Schleife. Karl hatte sich in Unkosten gestürzt und mir ein Schokoladenei gekauft. Aus der Konditorei, sogar! Stolz trug das verliebte Mädchen ihr Geschenk in die gute Stube,
und drapierte es auf einen Ehrenplatz, im Glasschrank der Kommode.
Viel zu kostbar um es auszupacken, viel zu teuer um davon zu naschen.
Nun, der Ostersonntag ging vorbei, in warmer, mädchenhafter und verträumter Glückseligkeit. Am Ostermontag in der Frühmesse sah Annegret den Karl dann oben auf der Empore stehen, traute mich aber nicht ihm zuzublinzeln. Vater und Mutter beobachteten sie doch die ganze Zeit.
Nach der Osterwoche, bis hin zum weißen Sonntag hatte das verliebte Ding viel zu tun und kam auf andere Gedanken.
Als Ehrenjungfer durfte sie dann im weißen Kleid und mit ihren neuen Schuhen mit den anderen Mädchen des Dorfes die kleinen Kinder in die Kirche führen. - Zur ersten Heiligen Kommunion. Karl konnte sie nicht übersehen, mit ihrem weißen Jungfernkranz.
Aber Annegret war bitter enttäuscht. Der Karl war nicht in der Kirche!
Das war doch gar nicht seine Art. Ihr blieb nichts anderes übrig, als nach ihm zu fragen. Irgend ein Vorwand würde sich schon finden.
Gleich am Montagmorgen ging sie zur Schusterei. Ihr zitterten die Knie als sie vor der Tür stand. Sollte sie, oder sollte sie nicht?
Doch was blieb ihr anders übrig?
Annegret schnaufte einmal tief durch und betrat die staubige Werkstatt.
Es war nur der alte Meister da. „Womit kann ich dienen, junges Fräulein?
Sie schauen so streng drein! Sie haben doch nichts zu reklamieren, oder?“
Nein, nein, antwortete sie schnell, ich wollt mich nur beim Herrn Karl bedanken für die schönen Schuh’; - ist er gar nicht da?
Eindringlich sah sie der alte Hopfenschuster an. Der Karl, der hat sich aus dem Staub gemacht. Schon gestern, tut mir leid. Den Kriegswerbern in Ansbach ist er auf den Leim gegangen, hat sich anwerben lassen von denen.
Wird wohl nimmer kommen, zu uns nach Großweingarten. "Er wird mir fehlen“, brummte der Schuster.
Annegret traf auf der Stelle der Schlag! Zum Militär, der Schusterkarl? In den Krieg, gegen die Franzmänner? Sie konnte die Welt nicht mehr verstehen.
Heulend lief sie nach hause und vergrub sich flennend unter die Kissen. Ein paar Tage lang, bis sie die Strenge ihres Vaters in die Wirklichkeit zurückholte.
„Jetzt ist Schluss mit Liebesleid, jetzt wird wieder was anständiges gekocht!
Weiberleut, dumme!“
Zuerst Monate, dann Jahre gingen ins Land; - ohne Nachricht vom Karl!
Kein einziges Wort. Die Wunde verheilte, schmerzte aber weiter.
Im Winter 1917/18 war es, dass die Hopfenbauern in der Stube einen neuen Kohlenofen bekommen sollten! Die Kommode musste verrückt werden.
Die Gläser und das Geschirr hatte Annegret schon verpackt, da hielt sie plötzlich das Osterei vom Karl in der Hand:
„Ein ganz lieber Ostergruß…“ Sollte sie jetzt vielleicht …. Nein, der Schuft! Der Liebe! Wieder brach sie schluchzend in Tränen aus.
Die Schokolade war bestimmt schon weiß und schimmlig geworden! Aber trotzdem, ganz vorsichtig verpackte Annegret die süsse Köstlichkeit in einer Schachtel und stellte sie zur Seite.
Dann kamen die Ofensetzer aus der Stadt, drängelten und zwängten sich in die Stube dann hievten den zentnerschweren Ofen auf den zementierten Estrich. Einer dieser Trampel passte nicht auf, kam aus dem Gleichgewicht und viel hinterrücks auf die Pappschachtel. Und schon war es um Annegrets liebsten Ostergruß geschehen.
Zusammengedrückt und platt – gemacht.
Als sie sich aber bückte um die Bescherung zu besehen, viel ihr ein kleines Zettelchen auf; - es war wohl im Osterei verborgen.
In gleichmäßig geschriebener Schönschrift, - ein bisschen mühselig hingemalt – stand geschrieben:
Mein allerliebstes, verehrungswürdiges Fräulein Annegrete, wenn Sie wüssten, wie lieb ich Sie habe. Verzeihen Sie mir bitte meine dummen Worte!
Aber seit ich Sie, liebe Annegrete, das erste Mal sah, kann ich Sie nie nicht mehr vergessen. Darum bitte ich Sie, liebe Annegrete, wenn Sie auch etwas Zuneigung zu mir empfinden, am Ostermontag zu einem Spaziergang zu den Hopfengärten. Darf ich hoffen, Sie verehrtes Fräulein Sie um 11:00 hinter der Kapelle zum Heiligen Florian anzutreffen? Gerne bitte ich, wenn Sie es erlauben, auch in unserem Namen, Ihren hoch verehrten Herrn Vater um Erlaubnis. Sollte ich Ihnen aber zu nahe getreten sein und sollte Sie mein grobes Ansinnen verletzen, so werde ich halt umsonst auf Sie warten.
Ich hoffe inständig auf Ostermontag.
Ihr treuer und verehrter Karl.
Nach dem sie diese Zeilen gelesen hatte, wurde ihr schwindelig. Sie musste sich unbedingt setzten. Was hatte sie bloß angerichtet mit ihrem kindischen
… viel zu schade um davon zu naschen …
Im Frühjahr 1918 kam dann zum Vater des vermissten Karl Karrenschmid doch noch die lange erwartete Feldpost.
Sie kam in einem weißen Kuvert mit schwarzen Rand.
Eine Granate hatte den Obergefreiten Karl Karrenschmid am 23. Februar 1918 im Schützengraben bei Verdun aus dem Leben gerissen.
Neben seinem Dienstausweises lag als einziges persönliches Dokument eine zerknitterte Quittung:
1 paar Damenschuh´ aufgerichtet und geflickt,
Karsamstag 1915;
1 RM und 6 Pf.
… in der braunledernen Brieftasche, die man den betrübten Eltern mitgeschickt hatte.
Meine Großtante Annegret erfuhr erst sehr viel später, so um 1932, als sie den wohlhabenden verwitweten Rupert Krach geehelicht hatte, vom tragischen Tod des Karl.
Mit meinem Großonkel Rupert hatte sie schließlich 2 Kinder, die Wally und den Karl ...
Ob Annegret in ihrer späten Ehe glücklich wurde?Ich weiß es nicht, darüber hat sie nie geredet ....