Der Abschiedskuss der blinden Wolfsfrau

Kurzgeschichte zum Thema Mystik

von  rela

Es waren wohl sechs Winter, oder mochten schon sieben vergangen sein, seit sie mit ihm in die Berge ging.
Damals, als alles begann, hatte sie noch einen Namen gehabt.  Sie erinnerte sich kaum noch daran, ihn aus seinem Mund gehört zu haben. Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein, doch sie hatte den Mann der sie heiratete und hierher mitnahm einmal wirklich geliebt. Schon damals hatte sie Angst vor den Bergen. Drei Tagesmärsche von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt und sie war doch blind.
Ihr Ehemann war alles, was sie hatte.
Was würde werden, wenn ihm etwas zustoßen würde bei der Jagd. Am Anfang stellte sie sich oft diese Frage.
Doch schon lange Zeit stellte sie keine Fragen mehr.
Drei Kinder hatte sie ihm geboren hier draußen in der Wildnis. Keines davon hatte überlebt.

Oft hörte sie das Heulen der Wölfe in der Nacht.
Sie liebte dieses Geräusch. Es klang so sehnsuchtsvoll, so hungrig nach Leben und dennoch so frei.
Manchmal erinnerte sie sich an die Nächte an denen sie ihre toten Kinder  hinausgetragen hatte in den kalten Schnee. Mochten wenigstens diese stolzen Tiere überleben, dort wo nichts als Hunger war und die Sucht nach Überleben.
Nicht ein einziges mal hatte er sie nach den toten Kindern gefragt.

Nun waren schon seit zwei Vollmonde vergangen seit er in die Siedlung zurückging um Munition, Mehl und vor allem Whisky zu kaufen.  Längst waren die Wunden seiner Schläge verheilt, doch er kam dieses mal nicht zurück.

Alles was sie an Vorräten besaß, hatte sie mit den Wölfen geteilt. Es hinausgetragen in den Wald.
Nun gab es schon lange nichts mehr, was sie hätte teilen können. Nur sie war noch da, ihre Angst und der Hunger.

Mochten wenigstens diese stolzen Tiere überleben dachte sie, als die Wölfe der Blockhütte immer näher kamen.
Es gab nichts mehr, was sie hätte verlieren können als sie in den Wald hinaustrat.
Mit jedem Schritt heulte sie. Sie heulte um die Liebe, die verloren war in dem rauen Leben der Berge und um die Kinder, deren Lachen niemals erklingen würde.  Bald würde ihre Qual ein Ende finden. Völlig erschöpft sank sie bewusstlos in den Schnee.

Als sie wieder zu sich kam fühlte sie diese  wohlige Wärme. Pelzige Tiere lagen mit ihr Haut an Haut.
Etwas kaltes feuchtes stupste sie an. Sie hörte ein Würgen und weiches warmes Fleisch plumpste in ihre Hände.
Hungrig und gierig fiel sie über die noch blutigen Fleischstücke her.

Der Winter hatte seine kältesten Tage erreicht als er wieder zurückkam. Er rechnete nicht mehr damit, dass sie noch am Leben war. Doch die Frau konnte ihn bereits von weitem wittern und begann vor Angst zu zittern.
Die aufgeregten und  hungernden Wölfe kannten keine Gnade. Noch ehe er die schützende Blockhütte erreichen konnte zerfleischten sie seine Haut. Staunend und unfassbar erhaschte sein Blick die blinde Frau inmitten der Wölfe, die neben seinem bereits zerrissenen  Körper auf den Knien lag.

Mit dem allerletzten Anflug menschlicher Gefühle liebkosten ihre Lippen noch einmal seinen Hals.
Noch einmal erinnerte sie sich an die längst vergangenen zärtlichen Stunden der ersten Zeit mit ihm.
Dann dachte sie an ihre verhungerten Kinder und an das neue Leben, das in ihrem Bauch heranwuchs.
Zwei Wölfinnen waren trächtig. Dort würde genug Milch sein, für ihr Junges. Dieses würde überleben.
Dann biss sie mit aller Kraft zu.

Sein Herz war alles, was sie von dieser Beute wollte. Warm schmeckte es und es machte sie satt. Zufrieden leckte sie sich die letzten Blutstropfen von den Lippen.
Dieses mal klang ihr Heulen sehnsuchtsvoll, hungrig nach Leben und unendlich frei.
Und ihr Rudel stimmte nach und nach in die Töne mit ein.

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Kommentare zu diesem Text


 Martina (23.01.07)
Oh man....da bekommt man ja Gänsehautwallungen....!!!
Grrins...Supertoller Text...aber leider auch etwas traurig ...deine Tina

 rela meinte dazu am 24.01.07:
Hallo Tina, da ist wohl meine Fantasie etwas blutige Wege gegangen, wenn Dir mein Text Gänsehautwallungen auf die Haut trieb.
Traurig soll er Dich nicht stimmen. Hey, die Frau hat doch überlebt! (lach)
Ganz liebe Grüsse zu Dir, Rela
Eisbär (28)
(23.01.07)
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 rela antwortete darauf am 24.01.07:
Hallo Eisbärin. Habe mal gegoogelt und mir die Beschreibung des Buches
"Die Wolfsfrau" durchgelesen. In der Tat ein Buch, das mir sicher sehr gefallen wird und mein E-Bay steht schon auf beobachten. Danke für die
Buchempfehlung. freue mich schon auf´s lesen. Liebe Grüsse, Rela
Eisbär (28) schrieb daraufhin am 25.01.07:
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Mac (57)
(23.01.07)
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 rela äußerte darauf am 24.01.07:
Lieber Mac, schöner hatte man es nicht ausdrücken können. Was ist schon Norm, wenn es ums Überleben geht. Du als Wolfsfreund kannst
meine "Wolfsfrau" sicher verstehen die sich in der Sicherheit des Rudels
geborgen und beschützt fühlt. Ich musste einfach mal eine Wolfsstory
schreiben. Meine Inspiration hierzu war eine Canadische CD die ich sehr liebe. Relaxation an Meditation "The Wolf", ich höre sie sehr oft und
fühle mich wohl beim lauschen dieser Musik mit sanften Wolfsheulen
zwischen den Tönen. Liebe Grüsse zu Dir, Rela
Mr.MojoRising (35)
(02.08.07)
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 rela ergänzte dazu am 02.08.07:
Hallo Mojo. Ich gehe davon aus, dass Du mein Autorenprofil nicht gelesen hast um so überraschter bin ich nun, dass Du den indianischen Mythos in meiner Erzählung erkannt hast. Es ist eines meiner Hobbys mich mit der indianischen Kultur zu befassen. Freue mich, dass Du meine Erzählung sympathisch findest und der Titel "Abschiedskuss" ist schon
ein wenig zynisch gemeint. Es ist ja die letzte menschliche Regung
die meine Hauptfigur zeigt, ehe sie für immer zum Wolf wird.
Freue mich über Deinen Besuch und Deinen Kommentar. LG Rela

PS: Beinahe hätte ich Deinen Buch-Tip vergessen.
Habe mir den Titel notiert und hoffe im E-Bay oder bei Amazon günstig fündig zu werden. Solche Buchtips sind mir
immer sehr wertvoll und ich freue mich immer darüber.
(Antwort korrigiert am 03.08.2007)
Mr.MojoRising (35) meinte dazu am 03.08.07:
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 rela meinte dazu am 03.08.07:
Danke für den Tiip mit der preiwerteren Buchversion. Habe nur einen
Minijob und da tut sparen not. Hoffe, ich kann das Buch írgendwo ergattern und ich werde mich melden, wenn ich es gelesen habe.
Dir auch liebe Grüße. Rela

 GillSans (07.09.07)
Hallo Rela, ein super mystisches Märchen, dass du da in das Projekt gestellt hast. Ich danke Dir sehr dafür. Hab es gerne, wenn auch mit Gänsehaut, gelesen.
Herzlichst Gill

 rela meinte dazu am 12.09.07:
Liebe Gill, habe meinen Text sehr gerne in Dein Projekt gestellt. Wenn Du
bei Deiner Lesung Gänsehaut damit erzeugen kannst schenke ich Dir die Story die eigentlich als mystisches Indianermärchen gedacht ist.
Wünsche Dir viel Erfolg aber hauptsächlich Freude bei Deiner Lesung.
Herzliche Grüsse. Rela

 Dieter_Rotmund (06.04.20)
Sehr naturesoterisch.

 rela meinte dazu am 20.04.20:
Natur: ja
esoterisch: ja

naturesoterisch: interessante Komposition
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