Barbara und ihr Mann besaßen eine Firma und den großen Vorteil, ihr Büro direkt im eigenen Hause zu haben. So war es ihnen immer möglich gewesen, trotz ganztägiger Berufstätigkeit Hunde zu halten. Sie hatten sich stets mehr als rührend um die Tiere gekümmert.
Vor kurzem war ihr letzter Hund mit elf Jahren an einem Tumor gestorben.
"Nein, wir wollen keinen mehr. Wir wollen jetzt ungebunden sein!", hatte Barbara erklärt.
Das wusste mittlerweile die ganze Nachbarschaft.
Einige Tage danach schellte es an Barbaras Tür. Vor ihr stand bleichen Gesichtes heulend Marion, eine Nachbarin, die sie schon seit etwa 35 Jahren kannte.
"Du bist meine letzte Hoffnung!", schluchzte diese.
Barbara musterte erschrocken deren verhärmtes Gesicht, das von Krankheit und großem Kummer gezeichnet war. Marion litt schon seit längerem an zunehmend starker Arthrose.
"Um Himmelswillen, was ist denn los?", fragte Barbara.
"Ich hab` doch die Micky ... ", hub ihre Nachbarin voller Verzweiflung an.
Micky war eine nunmehr achtjährige, äußerst temperamentvolle Münsterländer-Hündin und von ihrem Frauchen heißgeliebt.
"Sieh` mal meine Hände!", forderte Marion ihre Bekannte auf. "Ich kann Micky nicht mehr halten. Ich schaff`` es einfach nicht mehr, es wird mir alles zuviel."
Barbara dachte unwillkürlich an die Zeit zurück, als Micky noch ein Baby und ausgesprochen ungestüm war.
"Glaub` es mir doch endlich! Geh` mit ihr zur Hundeschule. Sie muss dringend erzogen werden!", hatte Barbara damals gewarnt.
Aber Marion hatte diesen Hinweis in den Wind geschlagen:
"Nein, tue ich nicht. Micky soll sich frei entfalten können!"
"Du machst da einen schwer wiegenden Fehler!", war Barbaras vorwurfsvolle Erwiderung gewesen.
Doch genutzt hatte alles Reden nichts. Micky besuchte keinesfalls die Hundeschule, sondern genoss zu hause Narrenfreiheit und benahm sich total ungehemmt. Leider nicht nur daheim, sondern auch auf den Spaziergängen. Je älter Micky wurde, umso zunehmend grantiger zeigte sie sich anderen Hündinnen gegenüber, bis sie schließlich generell bösartig auf andere Weibchen los ging. Sogar dann setzte Marion ihr mitnichten Grenzen, sondern ließ sie total hilflos gewähren.
Menschen gegenüber blieb Micky gottlob unheimlich sanft und verschmust, so, wie es halt ihrem Charakter entsprach.
"Ja, und was ... ?", forschte Barbara nach.
"Ich dachte, ob Du ab und an mit ihr einen Spaziergang machen könntest - Du hast doch soviel Erfahrung mit Hunden?", setzte Marion an.
"??"
"Ich weiß, Du hast kaum Freizeit ...", fuhr sie etwas sicherer fort, aber vielleicht könntest Du sie wenigstens an den Wochenenden zu Dir nehmen ... "
Barbara sah sie ungläubig an. Doch es kam noch dreister:
"Ja, und dann hättest Du doch auch die Zeit dafür, sie auszubilden!"
Barbara sträubten sich die Nackenhaare.
"Waas soll ich ... !!?"
Gar nicht mehr flehend, sondern ausgesprochen unverschämt kam da von Marion:
"Und, falls irgendwas wäre, bin ich auch gerne bereit, mich an den Tierarztkosten zu beteiligen!!"
Vor Fassungslosigkeit fiel ihrer Bekannten der Unterkiefer runter.
"Du spinnst wohl ... ! Es ist dein Tier. Also kümmere Dich gefälligst selber drum und unternimm endlich etwas!!"
Erbost ließ Barbara Marion einfach stehen und schlug ihr die Türe vor der Nase zu.
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