Winterpracht in Winternacht

Geschichte zum Thema Winter

von  ViolaKunterbunt

Auf NICHTS im Leben kann man sich wirklich verlassen, - NICHTS ist sicher. Was ist schon kalkulierbar oder im Voraus zu berechnen? Worauf kann man todsichere Wetten eingehen ?  Auf NICHTS !
Nur eines im Leben ist so vorhersehbar wie das Amen am Ende des Gebetes : Irgendwann im Januar, - wenn es tagelang vorher zu warm für die Jahreszeit gewesen, - wenn keiner mehr erwartet, dass es überhaupt noch einen richtigen Winter gibt, - und wenn dann der katastrophale, völlig überraschende und alles lahmlegende Schnee- Einbruch kommt, --------  dann ..... ja dann ist unter Garantie Christine mal wieder in einem völlig winteruntauglichen Gefährt weit weg von der sicheren Heimat in weißen, rutschigen Gefilden unterwegs !

Ich erinnere mich da an langsam zuschneiende Kasseler Berge in einem geliehenen VW Golf mit Sommerreifen, - mitten zwischen quer stehenden LKWs, die die Höhen nicht mehr schafften, - rutschende Reifen in der Ausfahrt und nicht geplanten Übernachtungen in ungemütlichen Pensionszimmern.

Frostig erschaudernd denke ich an die Fahrt im alten Opel auf dem Weg nach Felsberg, - mit offenem Anhänger, in dem Beerdigungskränze vor sich hin zitterten, - in Dortmund noch auf ziemlich trockener Straße und danach mit jedem Kilometer mehr Schneetreiben, so dass ich, mit meiner kleinen Tochter auf dem Rücksitz, für die gut 200 km fünf lange Stunden brauchte. Ständig begleitet vom aufmunternden Törrööööö von Benjamin Blümchen, den ich die ganze Zeit ihr zuliebe genießen durfte. 
Immer, wenn ich am liebsten umgekehrt wäre, erklärte mir meine Lieblingstochter, dass Benjamin uns im Notfall schon aus der nächsten Schneewehe herausholen würde. (Von wem hat dieses Kind bloß diesen Mut und die Gelassenheit???  Von mir jedenfalls nicht !!!)


Und nun war es mal wieder soweit. Morgens hatte es ein wenig geschneit, aber schon mittags war doch alles wieder trocken und sogar sonnig.

Ich verabredete mich mit meiner Freundin für den Abend, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Velbert und Umgebung zu den Gebieten gehören, die vom Schnee besonders bevorzugt werden.
Als wir uns um 19 Uhr trafen, war auch noch nichts von dem zu ahnen, was in den nächsten Stunden das Tief ”Bernhard” bescheren würde.
Petra stand am verabredeten Treffpunkt und wirkte schon auf Anhieb total entnervt. Auf dem Weg dorthin hatte sie im Auto ein Gespräch per Handy angenommen, und sich auf den Seitenstreifen platziert, um konzentriert reden zu können. - Motor aus, - Licht blieb an, - und schwupp, - war nach wenigen Minuten die wohl schon angeschlagene Batterie alle. Nichts ging mehr. Mit einem Taxi war sie dann weitergefahren.

Jetzt erst mal zur Beruhigung der gestressten Nerven in ein schönes Restaurant, - mit angenehm gefüllten Magen lassen sich diese Missgeschicke des Alltags doch gleich viel besser ertragen.
Wir saßen hinter braun getönten Milchglasscheiben und hatten uns ja sooooo viel zu erzählen. Erst nach zwei Stunden wurde Petra stutzig : ”Christine ..... das kann doch jetzt wohl nicht sein, dass es da draußen schneit ?????           
Oder warum wirkt es so hell hinter der Scheibe ??????” -

So richtig war nichts zu erkennen durch diese Fenster, - und von böser Ahnung getrieben eilte ich zur Ausgangstür, um  ------- einen mittleren Herzinfarkt zu bekommen.........

Draußen war alles weiß !  Mindestens 5 bis 7 Zentimeter Schnee waren inzwischen auf Bürgersteig und Straße liegengeblieben. Welch optisch wunderschöner Anblick !!!  Wenn mich da nicht sogleich die rutschenden und mit durchdrehenden Rädern schlingernden Wagen irritiert hätten !
Hilfe !  Wie sollen wir hier je wieder weg kommen ???
Fluchtartig verließen wir die gemütliche Wärme und schlidderten zum Parkplatz.
Alle Fenster des Wagens waren dicht, -  der Wind pfiff uns den Schnee nur so um die Ohren und ich versuchte notdürftig mit einer Kassettenhülle die Scheiben frei zu kratzen. (Schneekratzer finde ich grundsätzlich nur im Juli bei 33 Grad im Schatten in unserem Auto. Des Winters verstecken sich diese Teile sehr erfolgreich.)
Als ich einmal rundum die Fenster frei hatte, konnte ich an der ersten Scheibe schon wieder anfangen. Nu aber los !

”Hier in diesen Straßen ist es immer am Schlimmsten” meinte Petra, ”wenn wir erst an den Stadtwerken vorbei sind, wird es schlagartig besser. Kannst Du mir glauben!” - Positive Thesen glaube ich grundsätzlich gerne. Also denn ......

Das einzige Angenehme am Schnee-unter-den-Autoreifen ist die Tatsache, dass man hierbei die Servolenkung nicht so schmerzlich vermisst. Die Reifen drehten sich wie in Butter gefettet.
Das Rangieren auf dem engen Parkplatz war schon ein Kabinettstückchen für sich. (Ich hab den Mercedes neben mir auch wirklich nur gaaaanz kurz mit der Stoßstange angetippt.... Ganz eeeeehrlich !!!!!!) 

Aber als wir dann auf die Straße einbiegen wollten, konnten wir staunend und ungläubig einen Wagen beobachten, der schlingernd und torkelnd mit rotierenden Reifen an uns vorbei rutschte. Mir sank das Herz in untere Regionen. Hätte ich nicht Petra an meiner Seite gehabt, hätte ich sooofort (!) und ohne weiteres Überlegen, den Wagen wieder abgestellt und im Restaurant nach einem Zimmer oder einer Übernachtungsmöglichkeit auf den Bänken gefragt.
Ich, - die mutige Christine (hahaha), die sich ohne irgendwelche Ängste stundenlang in tiefster Nacht auf jede fremde Autobahn begibt, oder die sich durch unbekannte Landstraßen in der Normandie inmitten schwärzester Dunkelheit zurechtfand, - die furchtlos in der Rush Hour durch Berlins verstopfte Straßen kutschierte, - die sich ohne Probleme hinter jedes fremde Lenkrad setzt und couragiert auch größere Modelle durch die Gegend schaukelt, - ausgerechnet ich bekomme Hitzewellen, zittrige Knie und Schweißausbrüche, sobald ein bisschen schöner, weißer Schnee auf der Fahrbahn liegen bleibt. Beim ersten Rutschen übermächtigt mich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, - ich habe keine Kontrolle mehr über dieses Fahrzeug und über meine Panikausbrüche.  HILFEEEEE  !!!!!!!!!
Petra versuchte munter mich von meinem psychischen Horrortrip zu holen und mich abzulenken, indem sie mir mitteilte, dass in ihrem Wagen, der nun irgendwo am Straßenrand einschneite, eine ganze Meute dicker, glitschiger Mehlwürmer ihrem Eisestod ins Auge sehen mussten. Sie sinnierte darüber, ob diese Tierchen, die eigentlich als Hamsterfutter ihr Leben beenden sollten, nun wohl erst in eine Kältestarre verfallen werden, oder sofort erfrieren würden.
Mir selber wäre eine Starre im Moment nicht ungelegen gekommen, denn inzwischen spürte ich beginnende Krampfattacken in den zitternden Oberschenkeln.

Der Wagen rollte tapfer über die Schneemassen, - ich hielt gebührenden Abstand zum Vorderfahrzeug, um bloß nicht abstoppen zu müssen. Solange ich geradeaus rollen konnte, - kein zusätzliches Gas geben - kein Bremsen- solange sollte es wohl gut gehen.

”Wann sind wir denn endlich an den Stadtwerken ?”- hoffte ich auf bessere Straßenverhältnisse.
”Och, - die waren da schon gerade......”  - Doch freier war es hier kein bisschen.

Überall Schnee - und nun ging es auch noch bergauf. Der Wagen vor mir musste an einem Kreisverkehr abbremsen, - so verlangsamte ich notgedrungen mein Tempo und kam hinter ihm zu stehen.
Damit war dann der gute Wille meines Passats endgültig überbeansprucht. Keinen Meter wollte er sich wieder vorwärtsbewegen. Die Reifen drehten durch und packten nichts mehr.

Nun standen wir auch noch ziemlich im Weg. Der Platz reichte zwar gerade, dass andere Autos noch vorbeikamen, aber sie mussten abbremsen, und ich meinte fast ihr Fluchen zu hören, - über dieses Verkehrshindernis, das da die Zufahrt in den Ring störte.
Erst als Petra sagte: ”Du musst Dich jetzt nicht immer entschuldigen!”, fiel mir auf, dass ich jedem Vorbeifahrenden zuredete: ”Das tut mir leid, - ehrlich -, aber ich kann nichts dafür !”

Es blieb uns keine andere Möglichkeit, als den Wagen langsam seitlich nach hinten rollen zu lassen, bis er dicht genug in den Büschen stand, um den anderen nicht mehr im Weg zu sein. Als Sicherheitsfanatiker, der ich nun mal bin, stellte ich noch fürsorglich, mit frierenden Fingern, das Warndreieck in den Schnee.

Zu Fuß mussten wir es weiter versuchen, irgendein rettendes Domizil zu erreichen.
Das sind dann die Momente, wo sich die Vorteile eines Handys nicht mehr leugnen lassen.
Während wir also nun gegen den Wind kämpfend, im Schneegestöber immer weißer werdend, den Berg hinauf keuchten, versuchte Petra zuerst ein Taxi zu erreichen, - keine Chance - die hatten scheinbar Hochbetrieb und gingen schon gar nicht mehr an den Apparat.
Wir bekamen kaum noch Luft, vor Kälte, - vor Schnee im Gesicht, - und nicht zuletzt vor Lachen, weil uns die Komik dieser ganzen Situation wohl auch sehr bewusst war.  Bei mir kam wohl noch die Tatsache hinzu, dass mir eben nicht so bewusst war, welche Alternativen uns hier zur Verfügung standen.  Erfrieren im Schnee - oder mindestens 3 Stunden Fußmarsch bis zu Petras Wohnung. (Und dabei dann vielleicht auch erfrieren.........)

Wir überlegten, dass die an uns vorbeirutschenden Autofahrer doch eigentlich eine große Chance zur besseren Straßenlage vergaben, wenn sie hier so achtlos an uns vorbeifuhren, ohne uns mitzunehmen. Wir hätten, auf der Rückbank eines Autos sitzend, jeder Hinterachse den nötigen Halt auf dem rutschigen Boden gegeben.

Endlich, - als wir beide schon weiß wie Zuckerhüte, - als unsere Finger krebsrot von der Kälte waren und unsere Füße sicher die ersten Frostbeulen ansetzten, - da endlich nahte die Rettung in Form eines leeren Taxis, das sofort neben uns hielt.

”Kommen Sie wohl bis Heiligenhaus durch bei dem Wetter ?” - ”Aber klar, warum denn nicht.”
Wir hätten ihm auf Anhieb 20 Gründe nennen können, warum so manch ein Wagen in dieser Nacht den Weg nach Heiligenhaus nicht schaffen würde, aber dieser hier fuhr über die Schneemassen, als hätte er Haftcreme unter den Reifen. In solchen Momenten weiß man wieder, wieso die Mercedes Werbung solche Überheblichkeit demonstrieren kann.
Wir schnurrten nur so über die eisige Fläche, und der Wagen schaffte sogar auf Anhieb den letzten Berg bis zu Petras Haus hoch, an dem in dieser Nacht noch so einige Autos durch ihre Winter- Reife- Prüfung fielen.

Der nächste Morgen zeigte sich winterlich weiß. Inzwischen waren die Straßen gestreut und halbwegs geräumt. Wir konnten unsere Autos aus den Schneebergen befreien und versuchten der Zeit in unserem normalen Tagesablauf  hinterherzulaufen.

Mein Herzensgatte, der mich zu Hause begrüßte, konnte kaum glauben, was sich da, nur wenige Kilometer von unserem Wohnort entfernt abgespielt hatte. - Bei uns war kaum Schnee gefallen.
Und es hat  ihn nicht etwa erschüttert seine geliebte Gattin fast an Väterchen Frost verloren zu haben, auch der Gedanke, dass die Mutter seiner Tochter vielleicht in irgendeinem Straßengraben hätte landen können, konnte ihn nicht anrühren.
Aber völlig fassungslos und entsetzt sah ich ihn, als er von mir erfuhr, dass ich in meiner Gedankenlosigkeit dort am Straßenrand das Warndreieck stehen gelassen hatte...............

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Kommentare zu diesem Text

Struppigel (27)
(05.12.04)
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 ViolaKunterbunt meinte dazu am 05.12.04:
Kommentare zu den Kurzgeschichten freuen mich immer besonders. Danke, vielen Dank. - Es werden noch mehr Geschichten kommen. Und von Pleiten Pech und Pannen handelt es auch irgendwie immer, - nun ja, so ist eben das wahre Leben...

 Bellis (05.11.09)
Heute erstmals entdeckt und so gekichert, daß die Tränchen kullerten! Bin begeistert - mein Kopfkino hatte Blockbusterqualität! ;o)
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