Groll und der Strom

Kurzgeschichte zum Thema Kirchenjahr

von  AndreasG

Als ich den Eingang sah, beschlich mich ein merkwürdiges Gefühl. Das sollte das Haus des Stardesigners Hugo Groll sein?
Hatte nicht in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift “Design Digest“ gestanden, dass er der “König der klaren Linie“ sei und der “Glas- und Edelstahlpuritaner“? Große leere Räume, Raumteiler aus Glas und schlichte funktionale Möbel, das zeichnete Hugo Groll aus. Als Farben kannte er nur Weiß, Schwarz und Stahlgrau, mehr gab seine Farbpalette nicht her. Schon glänzender Chrom war ihm zu aufdringlich.
Wie oft hatte er mich in den letzten Jahren angeraunzt, wenn ich keine passenden Steckdosen und Schalter in der Optik “gebürsteter Stahl“ auftreiben konnte. Nicht jeder Hersteller hatte das im Sortiment.
Gestern war Hugo Groll persönlich bei mir vorbei gekommen. Er hatte mich nicht einfach zu sich bestellt, wie er es sonst tat. Er hatte auch nicht von der “Ästhetik der reinen Struktur“ geredet, sondern von “unserem langjährigem Vertrauensverhältnis“. Sogar hingesetzt hatte er sich und war dabei das Risiko eingegangen, dass sein Maßanzug und sein schwarzer Rollkragenpullover einige Fusseln abbekamen.
Dann sah er mich über den Rand seiner schwarzen Hornbrille an und sprach von einem wichtigen Projekt, bei dem es Probleme mit der Stromverteilung gäbe. Ob ich einen Blick darauf werfen könnte? Was für eine Frage!
Einem Mann wie Hugo Groll schlägt man nichts ab. Auch nicht am 24. Dezember. Auch nicht am ersten Feiertag, wenn man eigentlich bei den Schwiegereltern zum Essen erwartet wird. Aber erst Recht nicht, wenn man von Hugo Groll zu seiner Privatadresse bestellt wird.
Ich kenne sein Haus schon lange; sein offizielles Haus. Etwa genauso lange weiß ich, dass er sich in dieser auf Stahlstelzen errichteten Villa praktisch nie aufhält. Für Fotografen und Reporter kommt er vorbei, - auch seine Interviews mit Roger Willemsen für das ZDF fanden dort statt – und natürlich seine legendären Partys. Aber er wohnte dort nicht.
Seine wirkliches Zuhause war ein gut gehütetes Geheimnis. Gerüchte rankten sich um ein Gebäude, das vielleicht wie ein gigantisches Gewächshaus aussah oder wie ein dreidimensionales Spinnennetz aus Stahl. Auch ich erwartete einen Prachtbau aus Glas und Stahl.
Und dann diese Eingangstür zu seinem Haus.
Eine Holztür, alt und zweiflügelig, mittelbraun lackiert und mit kleinen Fensterchen aus grünem Glas. Davor schmiedeeiserne Ziergitter.
Ein gewisser Schock, zugegeben, aber noch erklärbar. Ich kannte so manchen Architekten und Designer, der niemals eine alte Tür aus einem alten Haus herausgerissen hätte. Originalität und Respekt vor dem ursprünglichen Plan, hatte mir Karina erklärt. Vielleicht war es aber auch nur der Wunsch, dass die eigenen Werke irgendwann genauso behandelt würden. 
Doch hier war es anders. Von Originalität keine Spur. Ein großer kitschiger Engel thronte über der Tür. Goldfarben lackiert; ausgerechnet bei Hugo Groll.
Rote Schleifen waren in das Gitter geknotet, bunte Lebkuchenweihnachtsmänner mit Tesafilm an das Holz geklebt. Kitschige Weihnachtsdekoration überall verteilt. Und ein gräßlicher Adventskranz zog das Auge auf sich.
Ich kontrollierte noch einmal die Hausnummer und schaute auf das Klingelschild. Ohne Zweifel, da stand der Name Groll; auf einem offenbar selbstgetöpferten Keramikmachwerk.
Nur zaghaft drückte ich den Klingelknopf und zuckte zusammen, Big Ben dröhnte hinter der Tür.
Eine ältere Dame öffnete und fragte : „Ja?“.
„Ich habe einen Termin mit Herrn Hugo Groll“, brachte ich mühsam heraus. „Dem Designer Hugo Groll.“
„Dann sind Sie der Elektriker?“ - Die Frau lächelte und ließ einen Türflügel aufschwingen. Der Raum hinter ihr wurde von einem riesigen Weihnachtsbaum beherrscht, auf dem eine goldene und rote Farbflut ausgeschüttet worden war.
„Mein Sohn telefoniert noch in seinem Büro. Ist wohl wichtig“, sagte die Frau. „Da können wir jetzt nicht stören. Ich zeige Ihnen schon mal die Eisenbahn in seinem Kinderzimmer.“

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Kommentare zu diesem Text


 bratmiez (18.12.04)
hier kann ich nur "zehn" geben! klar hat dieser hugo einen "normalen" weihnachtsbaum. wieso nicht?
wahrscheinlich besitze ich nicht die denkweise der meisten und verstehe die message nicht so, wie ich eigentlich sollte. ich bin ein mensch, der ohne vorurteile das leben betritt und ich selbst gebe mich stets so, wie ich bin. manchmal jedoch, muss ich mich zwangsläufig verstellen,
und dann wird aus der ordinären bratmiez eine gebratene katze von welt! und all diejenigen, welche mir nun die hand küssen sind im grunde genommen doch auch bloß jene kreaturen, die des abends auf ihren sofas sitzen und sich mit der fingernagelschere die ohren auskratzen! urteile sind schnell gefällt - hintergründe jedoch werden stets unverstanden bleiben. warum? weil sie doch
einfach zu normal sind! MSG BM!

 AndreasG meinte dazu am 18.12.04:
Hallo Katze-von-Welt. - Manche tragen ihre Masken so lange, dass sie schon selber daran glauben. Da wird jede Normalität als Peinlichkeit empfunden - und der Weihnachtsbaum muss aus Plexiglas sein. - Danke für den Kommentar. Liebe Grüße, Andreas
Lutzi-Val (45)
(16.03.05)
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 AndreasG antwortete darauf am 17.03.05:
Hallo Lutz.
Ich denke, dass jeder so ein Ventil des Normalen braucht (und hat). Mir fällt Goethes Arbeitszimmer dazu ein...
Vermutlich steckt hinter jeder glamourösen Fassade ein Satz Ohrenschützer, eine Nagelfeile und ein Socken mit Löchern. Bestimmt auch so mancher abgeschubberter Teddy-Bär aus Kindertagen. - Alles nur Schein.
Liebe Grüße, Andreas
PraesidentDeath (24)
(14.05.05)
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 AndreasG schrieb daraufhin am 30.05.05:
Hallo PD.

Schönen Dank auch.

Liebe Grüße, Andreas
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