Staub und Leben. Gedanken zum Aschermittwoch

Predigt zum Thema Vergänglichkeit

von  JoBo72

Es ist nicht gerade das, was viele Menschen in diesen Tagen brauchen: „Staub bist Du, zum Staub musst Du zurück.“ (Gen 3, 19). Ein Mensch, durch Hartz IV und andere neoliberale Heilslehren mit allen Schikanen in den Staub gedrückt, kommt sicher nicht deshalb in die Kirche, um auch noch von dieser sein Scheitern und seine Bedeutungslosigkeit abgesegnet zu bekommen. Metaphysisch aufgeladen kommt heute, zu Aschermittwoch, vom Altar das Echo zurück, dass vielleicht im Stoßgebet so oft in Richtung Kreuz geschleudert wurde: „Ich bin nichts, ich kann nichts, ich weiß nicht weiter.“ Das Gebet, verbunden mit der Hoffnung auf Trost und Heilserfahrung, bekommt allerdings eine bestätigende Antwort. Richtig, du bist nichts! Es klingt wie blanker Hohn, das Wort vom Staub, zumal in der Verbindung mit der Würde, die dem Menschen als Ebenbild Gottes doch verliehen wurde. Was stimmt denn nun? Die Antwort ist klar: Beides. Denn es schließen sich Würde und Vergänglichkeit nicht aus.

Doch das ist noch keine stimmige Erklärung für das persönliche Elend und die Not der Menschheit insgesamt. Neben die Soteriologie ist längst ihre hässliche Schwester Theodizee getreten und macht uns das Glauben schwer. Wo bist Du, Gott? Warum müssen wir all das erleiden? Warum stellst Du uns vor so unlösbare Dilemmata? Und: Warum müssen wir sterben?

Um den Satz vom Staub richtig in die volle Menschlichkeit einordnen zu können, ist es wichtig, sich den biblischen Kontext näher anzuschauen. Der Satz fällt unmittelbar nach dem Sündenfall des Menschen und wird begleitet von einer ganzen Reihe Unannehmlichkeiten (vgl. Gen 3, 16-19): harte Arbeit, Dornen und Disteln, Schweiß des Angesichts, Schmerzen, verfluchter Ackerboden – alles, was wir kennen: unser täglich Brot, hart erarbeitet im schlecht bezahlten Job. Und als Krönung: die Vergänglichkeit.

Doch genau darin liegt das Erlösende der Unseligpreisungen: Denn wäre es wirklich erstrebenswert, das irdische Elend ewig zu erleben? Das Verlangen nach ewigem Elend ist ein Paradoxon. Darin liegt die Chance, zu einem biblischen Vergänglichkeitsverständnis zu gelangen, dass den Menschen mit seinem Schicksal versöhnt. Mit der Einsicht in die Unausweichlichkeit des Todes begründet der Mensch eine Kraft, die ihn für die Krisen des Lebens stärkt. Der Gedanke, das Elend nicht ewig ertragen zu müssen, beruhigt.

Es ist zwar nicht der heroische Sisyphos Camus’, der aus dieser Todesdeutung spricht, aber eben auch nicht die Verzweiflung desjenigen, der Selbstmord begeht aus Angst vor dem Tode. Sie lässt Luft zum Atmen, ohne sich in betrügerisch-naive Euphemismen einlullen zu lassen. „Gedenke, dass Du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.“ hat dann nichts bedrohliches, sondern fast etwas erleichterndes. Irgendwann bin ich wieder Staub. Gott sei Dank!

Es klingt sarkastisch und erinnert ein wenig an Schopenhauers Weltverneiner. So gesehen erhält die Aschermittwochsspiritualität durchaus einen buddhistischen Anstrich. Lächle, wenn die Rede darauf kommt, dass Du Staub bist, denn das wusstest Du erstens schon vorher und zweitens ist es nicht schlimm. Entscheidend ist, daraus Mut zum Handeln zu schöpfen. Das geht – nur scheinbar paradoxerweise – ganz gut. Wir kennen den Mut der Verzweiflung und wir kennen das befreiende Gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben. Gerade dann gelingt Leben.

Schließlich verbindet uns die Botschaft des Aschermittwoch als Menschen, denn was ist universalistischer als der Tod? Er führt uns unsere Gemeinsamkeit vor Augen. „Staub bist Du, zum Staub musst Du zurück.“ Dieser letzten Konsequenz des Seins kann keiner entfliehen, der Hartz IV-Empfänger nicht und der Topmanager auch nicht.


Anmerkung von JoBo72:

Der Text entstand bereits im Februar 2005 - er hat freilich nichts an Aktualität eingebüßt.

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