Wer viel fragt, ist dumm

Text

von  Ricardo

Allen Menschen, die täglich mit mir Bahn fahren, traue ich zu, dass sie KZs bauen, wenn sie an der Kunsthochschule abgelehnt werden. Dass man jedoch nur die Menschen wirklich verletzen kann, die man liebt, ist keinem bewusst, also gibt heutzutage jeder jedem dahergelaufenen Obdachlosen die Schuld und verliert die, die er liebt eben doch, weil er sie trotzdem verletzt, auch ohne es zu wissen, ohne es zu wollen und diese Unwissenheit erst recht bestimmt und reuelos wirkt. Dadurch entsteht eine Nomadengesellschaft, Promiskuität, serielle Monogamie, partielle Polygamie, ein Leben ohne emotionale Basis und jeder denkt, er hätte Angst vor Beziehungen, Angst vor anderen Menschen, Soziophobie, Borderline, Magersucht, alles das gleiche, dabei haben alle nur Angst vor sich selbst. Eine Generation von degenerierten, schlappschwänzigen Volltrotteln, die nachts im Bett heulen, anstatt aus ihrem Leid entweder schlau zu werden oder Profit zu Schlagen. Keiner zündet Autos an und keiner, der wirklich leidet, wird mehr reich und berühmt.
Alle rennen nur noch weg; nach Hause, nach Australien, nach Thailand, in den Äther, in die Selbstbestimmung, die Selbstversorgung, den nach Neuwagen riechenden Neuwagen ("der riecht so schön nach Neuwagen"). Worte wie Beziehungsunfähigkeit, Ungleichgewicht, Einsamkeit und Abhängigkeit sind zu Gebetsformeln geworden, werden aufgesagt wie Chakren. Überall offene Messer, in die man laufen, erigierte Penisse, auf die man sich setzen, Haufen Scheiße, in die man treten kann.
Jeden Tag höre ich Menschen, die in ihrer Beziehung nicht frei genug sind, sich dann aber beschweren, wenn der andere irgendeinen fremden Schwanz in den Mund nimmt. Immer wieder beschwert sich irgendwer, sich nicht verstanden zu fühlen und wenn man dann nachfragt kommt dieses allgegenwärtige "Ich weiß nicht", so als wäre es das erste, das alle Menschen nach ihrer Geburt gehört haben;
"Junge oder Mädchen?" - "Ich weiß nicht."
Keiner weiß mehr irgendwas. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was mache ich hier überhaupt? Wieso? Weshalb? Warum? Wer viel fragt, ist dumm.
Scheiß auf die neue Empfindlichkeit. Ich schreibe nicht, ich beschreibe.
Und ob das jetzt Lyrik oder Prosa ist, hat keinerlei Bedeutung mehr. Es ist keine Kunst.
Kunst ist, auf die Frage "Können sie sich vorstellen, warum ich sie angehalten habe?" zu antworten:
"Vielleicht weil sie einsam sind?"
Kunst ist, auf den Satz "Ich habe mit deinem besten Freund geschlafen." mit einer Anzeige wegen Sodomie zu reagieren.

Ich glaube fest daran: Goethe hätte, wäre er von einem dieser Lonsdale-Jacken-Penner mit blond gefärbten Spitzen oder Glatze gefragt worden, warum er denn so blöd gucke, geantwortet:
"Das könnte daran liegen, dass ich gestern deine Mutter gefickt habe, du Wichser."

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Kommentare zu diesem Text

spiegelimspiegel (34)
(22.04.08)
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 Ricardo meinte dazu am 22.04.08:
gebongt.
neinneigung (33)
(09.05.08)
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