desperatum

Sonett zum Thema Zerrissenheit

von  Lucifer_Yellow

und da stand er nun
und da stand er nun
verlassen
mit nichts als ein paar worten
die ihm durch den kopf schossen
scharf und schnell wie patronen
da stand er nun
alleine
als hätte er alles schon mal erlebt
als hätte er alles verkauft
als hätte er alles wofür er einst gelebt hat verkauft
als hätte er sich und das leben verraten
als hätte er sich und das leben verkauft
als hätte er nicht gelebt und nur geträumt zu leben
da stand er nun
mit nichts als ein paar worten
in seiner hand
mit nichts außer diesen letzten worten
da stand er nun
auf dem hügel über seiner stadt
die er nicht kannte
die ihn nicht kannte
dessen namen er nicht mehr kannte
dessen namen er vergessen wollte
dessen namen sie nicht kennen wollte
dessen namen sie nicht kennen konnte
da stand er nun mit nichs als
ein paar worten
geschrieben auf einen lieblos herausgerissenen fetzen papier
da stand er
da stand er
so als hätte er zu jedem
zu jedem den er je kannte gesagt
lebe wohl
und selbst in diesem moment
viel ihm das lächeln nicht schwer
das lächeln eines lügners
das lächeln eines auswanderes
das lächeln eines zynikers
da stand er
einsam
mit tränen in den augen
oder nicht?
nein! es war nur der wind
der seine augen benässte
glaubte er
sagte er sich
immer und immer wieder
immer und immer wieder
und staub sammelte sich in seinen augen
und wasser quoll hervor
immer und immer wieder
und staub sammelte sich in seinen augen
und staub sammelte sich überall
in seiner brust
in seinem herzen
in seinen eingeweiden
in seinen muskeln, häuten,
im blut, im speichel, im sperma, in den gefühlen
immer und immer wieder
da stand er mit nichts außer
diesen einen letzten satz
geschmiert auf das höschen einer unbekannten
das er wie einen schatz in den knochigen fingern gefangen hielt
seinen letztes hab und gut
sein grab
sein grund
seine seele
die viel mehr
die viel mehr wert war
als alles andere von dem er zu viel gehabt hatte
das er sich leisten konnte
dem er überdrüssig geworden war
in dem bewusstsein dass es falsch ist
solchen dingen überdrüssig zu werden
da stand er
und die worte schossen ihm durch den kopf
und die worte standen auf einem zettel
und die worte standen auf einem feuchten höschen
und die worte platzen aus dem hirn
zerschmetterten das schädeldach wie ein tollwütiges projektil
und die worte verflossen unter dem regen auf dem papier
bildeten kleine ströme aus vergangenheit und gefühlen
und der wind trug es mit sich fort
und der wind zerfetze es in seiner unsichtbaren hand
und der wind ließ es gegen einen baum klatschen
und wie worte
und die worte rieselten auf die kalte erde
schnell, ungeachtet,
ungeachtet und still
und die worte tropften von dem feuchten höschen
und die worte tropften aus dem feuchten warmen höschen
und die worte tropfen wie seine lust aus dem höschen
dass er noch immer fest in der hand hielt
und die worte
und die worte rieselten auf die kalte erde
und die muskeln seiner finger spannten und die sehnen seiner hände zogen sich zusammen
...... ......
er schmiss es
er schmiss es fort
er schmiss es
er schmiss es
er schmiss es endgültig fort
hinunter von dem hügel
auf seine stadt die er nicht kannte
auf seine stadt die ihn nicht kannte
auf seine stadt die er vergessen wollte
und feiner kaum sichtbarer staub kam auf
trocknete seine kehle aus
zerfraß seine lunge
er musste husten, würgen, erbrechen
er spukte kleine teile seiner rechten lungenhälfte in die nacht
oder war es sein kalter blutleerer herzmuskel
er schrie die worte
die sich in sein herz brannten
er schrie die worte die auf seiner stirn standen
er schrie
er schrie er schrie in die lautlose nacht
wie damals vor einem jahr
als er an derselben stelle
an derselben stelle schon einmal stand
tanzte, litt und starb
wie damals an derselben stelle
mit denselben tränen
mit denselben falschen lachen
mit denselben worten
doch er war jemand anderes... damals
und er war derselbe
damals auf dem berg
doch damals schrie er nicht
doch diesmal schrie er
und er schrie nicht einmal
er schrie nicht einmal
er schrie die worte die worte
die so lange in seiner brust brannten
die worte die worte die worte schrie er
er schrie sie zweimal, dreimal, er schrie sie viermal
er schrie schrie schrie bis alle seine worte verstummten
bis die nacht die stille wieder für sich hatte
und alle silben versunken waren
verschluckt von der finsternis
und er wieder teil der nacht wurde
teil der dunkelheit
teil der einsamkeit
teil der nichtigkeit
mit all ihren probleme und schönheiten
und der mond warf einen riesigen schatten
und der mond warf einen riesigen schatten
und der mond warf einen rissigen schatten
doch ihm war das egal
egal die ganze schönheit
er murmmelte etwas
was nur er hören sollte
er murmelte etwas
dann war alles still
für einen moment
für eine ewigkeit
für eine person
dann ja dann
wischte er sich die augen
streckte sich, spie aus
trampelte ein paar mal auf der stelle
schüttelte den kopf
wischte die stränen aus dem gesicht
und kehrte der nacht
und kehrte der stadt
und kehrte seinen freunden
und kehrte seinen feinden
und kehrte den echos seiner worte
und kehrte seinen verhallenden worten
und kehrte den lichtern seiner stadt
und kehrte dem feuchten höschen der unbekannten
und kehrte seinem früheren ich
und kehrte seinen tränen
und kehrte
und kehrte
und kehrte allem den rücken zu
und kehrte nicht wieder um.
er war
endlich
verlassen

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Kommentare zu diesem Text


 FrankReich (20.02.20)
Da hast Du Dich glatt verzählt, ein Vers mehr und es würde ein dreizehnfaches Sonett sein.
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