Das Zauberglühwürmchen [2]

Erzählung

von  Elén

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Teil [1] 

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Im Zimmer ist es bereits hell und ein lautes Pochen lässt Toby aus dem Schlaf hochschrecken.
„Aufstehen, hurtig! Fauler Knirps, mach’ schon!“, schnattert Tante Selli hinter verschlossener Tür draußen im Flur und trommelt abermals ungeduldig mit ihren Fäusten gegen das Holz.
„Komm schon, komm ja schon“, murmelt Toby.
Er räkelt sich noch einmal und springt dann mit einem Satz aus dem Bett, schlüpft eilig in seine Hose, ins Hemd und streifte die Socken über die Füße. Als er sich daran macht das Hemd zuzuknöpfen, erinnert er sich an gestern Abend, wie er so traurig in seinem Bett lag, wegen des abgerissenen Knopfes. Er musste an die schimpfende Tante Selli denken und überhaupt und dann fällt ihm auch wieder die Stimme ein und … wie hieß er oder es noch mal…..Middy!

Tante Selli poltert im Flur und, da Toby sie nicht unnötig herausfordern will, schlüpft er geschwind in seine Pantoffeln und ist zur Zimmertür hinaus, bevor die Tante die Tür aufreißt.

„Was trödelst du denn, es ist schon nach sieben", schilt Selli.
Sie wischt mit einem Lappen über den Tisch, scheppert mit Tassen und Tellern und räumt einige Dinge in den Kühlschrank.
„Das Frühstück fällt heute aus, damit du dir endlich mal merkst, dass du pünktlich sein sollst!“ keppelt die Tante und wandert dabei schnaubend hin und her zwischen Küchentisch und Kredenz.
Normalerweise ist für Toby das Frühstück heilig, er liebt seine Knusperflocken mit Milch und Zimt und Apfelspalten, doch heute meint er gleichgültig: „Ist ok.“
Er packt seinen Schulranzen und verschwindet zur Tür hinaus, während ihm die Tante verdutzt hinterher guckt.

In der Schule kann Toby sich nicht gut konzentrieren, die Zeit will nicht vergehen und Professor Minth quasselt heute besonders viel und besonders viel Uninteressantes. Er bekommt vom Professor sogar eine Rüge zu hören, weil er mit dem Stuhl schaukelt und mit den Gedanken abwesend ist und Eselsohren in seine Hefte faltet.
„Toby, sitz doch gerade und hör aufmerksam zu, du bist aber auch ein Tagträumer!“, tadelt der Lehrer und schaut ihn mahnend an.

Endlich ist auch die letzte Stunde geschafft und das Pausenklingeln entlässt die Kinder nachhause. Sobald der Junge das Schulgebäude verlassen hat, kann er an nichts anderes denken, als an die Stimme, die heute Abend wieder kommen wird. Er ist aufgeregt und zum Zerreißen gespannt. Seine Hände flattern nervös. Vor lauter Aufregung atmet er unregelmäßig, anstatt wie gewöhnlich zu gehen, bewegt er sich im Laufschritt vorwärts und seine Augen funkeln geheimnisvoll.

Schnell erledigt Toby Hausaufgaben, fegte den Flur, wie seine Tante es ihm aufgetragen hat und geht umgehend nach dem Abendessen zu Bett.

Endlich ist die heiß ersehnte Dunkelheit hereingebrochen. Im Zimmer ist es noch nicht völlig finster, aber doch bereits dämmrig und Toby liegt erwartungsvoll unter der Bettdecke. Er lauscht. Nichts tut sich, nichts rührt sich. Vielleicht hat er sich zuletzt doch alles nur eingebildet, grübelt er enttäuscht. Doch, noch gibt er die Hoffnung nicht auf. Noch nicht! Gebannt blickt er in Richtung Zimmertür, durch jene, wie er meint, der Besuch herein kommen wird. Die Zeit vergeht. Lange, lange versucht er wach zu bleiben. Schließlich übermannte ihn die Müdigkeit und er schläft gegen seinen Willen erschöpft ein.

Es muss schon ein gutes Stück nach Mitternacht sein, als ihn ein leises Wispern aus dem Schlaf hochfahren lässt.
„Psst, Psst….he, Toby“, flüstert es aus dem Dunkeln.
Mit einem Mal ist Toby hell wach und sitzt kerzengerade im Bett.
„Wer ist da“, denkt er und erkennt doch gleichzeitig die Stimme wieder. Die Stimme von gestern Nacht. Also ist er oder es doch noch gekommen.

Ein winzig kleines Licht geht an und Tobias Manson traute seinen Augen nicht. Was er sieht, scheint ihm schier unglaubwürdig. Heftig schüttelt er den Kopf, um sicher zu stellen, dass er auch wirklich wach ist.

„Hey, ich bin’s Middy. Ich hab´ doch versprochen, dass ich heute wieder kommen werde“, meint der.

„Wer bist denn du?“, fragt Toby mit staunenden Augen und weit aufgesperrtem Mund.

„Hab´ ich doch bereits gesagt, Middy“, so der und macht ein breites freundliches Gesicht. Dabei tapst er am Fensterbrett hin und her, gerade so, als wollte er sich keine kalten Füße holen. Schließlich hält der sprechende Käfer inne, wippt einmal leicht in den Kniegelenken und hockt sich auf die Kante des Fensterbrettes.

Middy ist also ein kleines Glühwürmchen. In etwa so groß wie ein Kirschkern. In seinem Gesicht funkeln zwei kleine schwarze Kulleraugen, so winzig, wie winzig kleine Winzigperlen, die sich im Licht spiegeln und glänzen. Am Sims sitzt jetzt dieser Käfer, der leuchtet, und seine spindeldürren Beine, die so dünn sind wie zwei Zwirnsfäden, baumeln gemütlich vom Fensterbrett hinunter.
Plötzlich flackerte sein kleines Glühwürmchen-Licht und es ist mit einem Mal wieder stockdunkel im Raum. So dunkel, wie eben erst gerade, noch bevor das Glühwürmchen mit dem Licht im Zimmer gewesen war.
„Oh, Verzeihung“, kommt es aus der tiefschwarzen Nacht, in der man nun wieder überhaupt nichts sieht. „Immer wenn ich aufgeregt bin, klappt das mit meiner Glühfunktion nicht richtig; bin eben noch nicht richtig professionell!“, scherzt der Käfer und da ist es auch schon wieder hell und der kleine, vor sich hinplappernde Lichtkrümel ist wieder zu sehen. Er hockt nach wie vor am Sims und macht ein verschmitztes Gesicht.

Toby in seinem Bett kommt aus dem Staunen nicht heraus. Er will was sagen, bringt jedoch keinen einzigen Ton über seine Lippen. Er reibt sich die Augen und streicht die Haare aus der Stirn.

„Na, was ist, hat’s dir die Sprache verschlagen?“ gluckste der Nachtschwärmer vergnügt.

„Wer bist du?“, wiederholt sich der kleine Junge bereits zum fünften Mal.

„Mensch, zum hundertsten Mal, M i d d y“, zieht der Käfer das Wort während des Sprechens in die Länge, als wolle er jeden Buchstaben einzeln auf eine Schnur fädeln.
„So, nun leg´ dich mal bequem hin, dann erkläre ich dir alles in Ruhe“, betonte der kleine nächtliche Besucher freundlich.

Wie ferngesteuert lässt Toby sich in sein Kissen zurück gleiten und wirft sich die Bettdecke über. Er schaut dieses seltsame Glühwürmchen verdutzt an. Neugierig ist er, was jetzt kommen wird, was Middy wohl zu erzählen hat.

Das Glühwürmchen lässt sich mit sanftem Flügelschlag auf die Bettdecke hinunter gleiten. Er landet auf Tobys Knien. Dabei baumeln seine langen Fühler und der Junge muss kichern.
„Na, also; das gefällt mir schon besser, wenn du nicht so ernst dreinschaust“, sagt der Käfer und gluckst.
„Also, hör mir gut zu. Ich bin von Sebastianstadt und mein Herr ist der Herr Sebastian. Von dort kommen wir Zauberglühwürmchen nämlich alle her, wenn du’s genau wissen willst.“
Der Käfer machte eine geheimnisvolle Miene.
„Und weil du eine besonders schreckliche Tante hast und die Stadt …..“, jedoch weiter kommt Middy nicht mit seiner Erklärung, da unterbricht ihn Toby und fällt ihm eilig ins Wort.
„Wer ist Sebastian?“, will Toby wissen und schüttelte erneut seinen schwarzen Wuschelkopf, als würde er  noch immer daran zweifeln, dass er tatsächlich wach ist.
„Ist doch Logo!, Sebastian ist unsere Boss, unser Meister, unser Chef“, und das Glühwürmchen plappert gleich wieder drauf los.
„Wo war ich stehen geblieben,.. ach ja,.. und eben…, wir kommen zu  Kindern wie dir, und….“, wieder unterbricht ihn Toby: „Von euch gibt es noch mehrere“, will er erstaunt wissen. 
„Na klar, wir sind tausende, doch können uns nur die wenigsten sehen. Eben nur jene, die uns sehen weil sie uns sehen, … Logo, oder!“

Auf einmal riecht es ganz sonderbar im Zimmer, so als .. und Middy springt mit einem Satz auf seinen Beine: „Huch, Mist! schon wieder. Immer vergesse ich darauf!“

„Was…, worauf denn…?“, stammelte Toby erschrocken.

Middy zeigt mit seinem kleinen, dürren Glühwürmchenfinger auf die Bettdecke und rollt seine Kulleraugen. Vor lauter Erzählen ist ihm heiß geworden. Und so hat er über seiner Hitzigkeit in den Bezug der Bettdecke mit seinem Glühwürmchen-Glüher ein kleines Brandloch gekohlt. Jetzt weiß auch Toby woher der sonderbare Geruch gekommen ist und muss gleich an Tante Selli denken. Er kann sich aber das Lachen nicht verkneifen und seine Bäckchen im Gesicht rollen sich zu kleinen schattigen Bällen zusammen.

„Sch…schhhhh“, bedeutet ihm das Glühwürmchen, indem es seinen Zeigefinger an den Mund legt. Und beide sind ganz leise.
Was Tobias Manson jetzt sieht, bringt ihn doch völlig aus der Fassung. Middy wirft ihm einen geheimnisvollen Blick zu, stellt sich stramm hin, rubbelt seinen kleinen rechten Glühwürmchen-Zeigefinger, peilt damit das verkohlte Loch an und murmelt dabei:

„Glühwürmchen flick, kleiner Zaubertrick und deine Decke ist wieder schick!“

Da war nicht nur das verglühte Kohlloch weg, sondern mit einem Mal ziert Tobys Laken ein wunderschöner Flanellbezug. Grün und gelb bedruckt, mit schmalen Streifen und kleinen dunkelblauen Kreisen. Die alte, abgewetzte, hundertmal geflickte Bettwäsche von Tante Selli ist verschwunden. Weg! Einfach weg und Toby liegt unter einer wunderschönen neuen Decke!

Middy lächelt und zwinkert mit seinem winzig kleinen Auge. Im selben Augenblick aber hört er die drei Glockenschläge des Stadtdoms, der zu jeder Stunde die Uhrzeit mit seinen Glocken läutet und den man jetzt gerade deutlich hören kann.
„Huch, so spät schon, ich muss aufbrechen, Servus, bis morgen!“ Das Glühwürmchen spreizt die kleinen Flügel und summt winzig glühend durch die verschlossene Zimmertür und weg ist es.

Toby ist völlig von der Rolle. Da quatscht er mitten in der Nacht mit einem Glühwürmchen, dem das Licht ausgeht, wenn es aufgeregt ist, das Middy heißt, das ihm ein Loch in sein Laken glüht, sich den Finger rubbelt und das Loch mitsamt dem Überzug schließlich wieder weg zaubert. Und das mitten in der Großstadt, mitten in der Nacht. Ein Glühwürmchen, das zu guter letzt durch die verschlossene Tür davon schwirrt, und „Servus“ sagt. Durch eine geschlossene Holztür!

Verwirrt krabbelt Toby aus dem Bett, tapst barfüssig über das Fell und den Fliesenboden, hin zur Eingangstür und vergewisserte sich, ob da auch wirklich eine Tür  in den Angeln hängt. Ungläubig tastete er mit beiden Händen über das raue Holz, fühlte die kalte Türklinke und stellt dann fest: „Da ist  eine Tür, und das Glühwürmchen ist da  hindurch geflogen.“  Noch ein letztes Mal schüttelte Toby den Kopf, robbt zurück zum Bett und kriecht unter die Decke.

Die nächsten Stunden kann er beim besten Willen nicht schlafen. Zu viele Gedanken sausen ihm durch den Kopf. Immer wieder muss er das neue Bettzeug ansehen. Unglaublich! „Middy“, „Zauberglühwürmchen“ und wie hatte dieser gesagt: „Glühwürmchen flick, kleiner Zaubertrick und…“.

Schließlich ist der Junge dann doch zu müde und schläft ein.



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Kommentare zu diesem Text

Caterina (46)
(03.08.08)
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 Isaban (03.08.08)
Jiminy Grille meets young Harry P.

Eine niedliche Idee und so naqch und nach kommt die Erzählung in Schwung, so langsam finden meine Zwerge Gründe, stille zu sitzen und zwischendurch zu grinsen. Beeil dich mit schreiben, sonst muss ich schon wieder Preußlers kleine Hexe vorlesen.

LG, Sabine

 Elén meinte dazu am 04.08.08:
oh. - dank fürs vorbeischaun. wenn dus tatsächlich gebrauchen hast können, so freut mich das. es ist halt noch unfertig. der erste rohentwurf und .. eben..

lg Dir, A.

 Isaban antwortete darauf am 04.08.08:
Hi, du Fleißige. Heute Abend lese ich ihnen den dritten Teil vor.
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