Das Zauberglühwürmchen [1]

Erzählung

von  Elén

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Toby liegt noch wach im Bett, kauert sich zu einem kleinen Bündel unter der Decke zusammen und schnieft die kalte Luft in sich hinein. Draußen fegen kalte Herbststürme über das Land, biegen die Äste unwirsch nach allen Seiten und bringen Regen mit. Nicht mehr lange wird es dauern, fällt der erste Schnee. Es sind die Nächte bereits kalt und man weiß nicht genau, wie lange es noch dauert, da die Seen zugefroren sein werden und das Land stiller wird.
Ein Winter gleicht nicht dem anderen, so ist das. Und, Stadtwinter und Landwinter sind ohnehin nicht zu vergleichen.

Toby ist traurig. Seit er bei Tante Selli und Onkel Joseph in der Stadt wohnt, hatte er wenig zu lachen. Die Häuser hier sind hoch, die Gassen grau, lärmend und rußig; die Straßen dicht befahren, der Himmel ohne Vögel und sein Zuhause eine fremde Umgebung.  So aufgeweckt er früher war, so still und zurückgezogen ist er seit dem zwingenden Umzug zu Selli. Seine Tante, also die Schwester seiner Mutter kann Kinder nicht besonders gut leiden. Vor einem Jahr, als die Eltern des Jungen verunglückten, wollte die zuständige Jugendwohlfahrt  des Landes das Kind im Heim sehen und nur nach langen Briefwechseln mit den Behörden und nach unzähligen Amtswegen sollte der Bub dann doch bei seinen Verwandten einziehen.

Vorher, das heißt, als er noch mit seinen Eltern lebte, hatte Toby, wie gesagt auf dem Land gewohnt. Am Fuß der Berge. So mussten er und seine Freunde nicht weit laufen, konnten sie direkt am See sein. Dort  konnten sie Schwäne füttern und im Sommer, bei Hitze und Sonne, ging Toby mit seinen Freunden oft dort hin zum Schwimmen.
Im Winter, da die Berge weiße Schneehauben trugen, wurde gerodelt bis es draußen dunkel war, oder Schi gefahren. In Waldlichtungen bauten er und seine Freunde Schneemänner mit Augen aus Fichtenzapfen und Nasen aus Rüben. Zuletzt bekam der dicke Weiße noch einen alten Strohhut auf den Kopf gesetzt und ein paar Zähne aus Haselnüssen formten ihm einen lachenden Mund. Hier jedoch in der Stadt, gab es selten Schnee und wenn es welchen gab, so wurden daraus bald schmutziger Schneematsch und große braune Wasserpfützen und breiige Häufchen.

Im Herbst ließ Toby mit seinem Freund Zugo hinter dem Haus im Kleefeld Drachen steigen, und manchmal war er mit Vater in den Bergen zum Wandern, sammelte an Flussufern Steine, suchte im Wald nach Pilzen und probierte sich darin, in den kalten Gebirgsbächen Fische zu fangen.

Das ist jetzt alles nicht mehr. Auch war er nie mehr dort, seit seiner Abreise. Das täte ihm nicht gut, meinen Tante und Onkel Joseph. Zu viele Erinnerungen. Dabei hätte er manchmal große Sehnsucht nach den Bergen. Ja, die Berge fehlten ihm am allermeisten. Und Zugo.

Toby liegt nun also in seinem kleinen Zimmerchen, das die Tante notdürftig für ihn eingerichtet hat. Früher war dieses Zimmer ein Raum für Näh-, Bügel-, Flick- und andere Hausarbeiten. Als dann das Kind einzog,  wurde der Raum umfunktioniert zu einem kleinen Kinderzimmer. Ja, klein ist tatsächlich der richtige Ausdruck. Der Raum verfügt über ein Fenster unter dem das Bett steht, am Kopfende des Bettes ein kleiner Nachtschrank und zwischen Tür und Bett breitet sich ein Schafwollteppich über den Fliesenboden. Der Teppich erinnerte Toby stets an Schafe und Ziegen.
Am Fenster hängen von der Decke hellbraune Leinenvorhänge, die mit dunkelbraunem Blumenmuster bedruckt sind; die Wände tragen weißen Anstrich, der sich mit der Zeit in eine vergilbtes Grau verwandelt hat, und, ebenfalls von der Decke baumelt mitten ins Zimmer eine nackte Glühbirne, die leicht flackert, wenn die Tür zu hart ins Schloss fällt.

Eine kleine Träne kullert über Tobys blasse Wange. Er wischt sich den Rotz und die Tränen in seinen Pyjamaärmel und seufzt leise.
Tante Selli hat heute vor dem Zubettgehen mit ihm geschimpft. Das war noch mit ein Grund, weshalb der Knirps sich die Tränen schlussendlich nicht mehr zurückhalten konnte:
„Jetzt geb´ ich dir schöne Kleidung zum Anziehen und du gehst so achtlos damit um, schäm´ dich!“, meckerte sie. „Dafür gehst du ohne Abendessen zu Bett, na los, sieh zu, dass du hinauf kommst!“, fauchte sie und deutete zornig mit ihrem krummen Zeigefinger warnend Richtung Küchentür.

Kurz um, das Leben bei Selli und seinem Onkel gefällt ihm gar nicht und am liebsten hätte er sein Köfferchen gepackt und wäre zurückgefahren aufs Land. Aber er war klein und konnte nicht einfach so mir nichts dir nichts aufbrechen. Die Stadt ist groß und schon an der ersten Kreuzung hätte er sich wahrscheinlich verlaufen. Oder er wäre in ein Auto gelaufen oder er wäre…. Nein das ging nicht.

„Ach, wenn ich doch nur jemanden hätte, mit dem ich reden könnte und spielen ..“, dachte er ..

„He, Toby“, drang eine helle, flüsterliche Stimme aus der Richtung des Fensterbrettes. Aus jener Richtung, aus der der Mond manchmal hell durch das Fenster herein schien. Heute ist es dunkel. Dicke Wolken hängen am Himmel und verdeckten die Sterne und auch den Mond. Kein Mondschein, somit ist es stockduster vor den Augen und kein Gegenstand und also rein gar nichts im Zimmer ist zu erkennen.
Erschrocken zuckte Toby zusammen und ist sich momentan nicht sicher, ob er sich verhört hatte, oder ob es möglicherweise nur Einbildung war, oder ob tatsächlich jemand hier in seinem Zimmer ist.

„Erschrick nicht, ich bin´s“, kam es erneut aus er selben Richtung, aus jener er vor wenigen Augenblicken zum ersten Mal glaubte, eine Stimme gehört zu haben. Toby wagt es kaum zu atmen. Wie erstarrt liegt er in seinem Bett, presst den Kopf ins Kissen und krallt seine kleinen Finger fest in den Saum des Bettzeugs.

„He, guck mal rüber, da bin ich“, flüsterte die Stimme ihm erneut freundlich zu. Wieder ist es dieselbe Stimme, die er nun bereits zum zweiten Mal vernimmt. Also konnte er sich nicht irren. Da muss tatsächlich jemand sein!
Mit aufgerissenen Augen späht er in die Dunkelheit, getraute sich jedoch nicht umzudrehen, um nach dem nächtlichen Besuch zu sehen. Er bleibt regungslos unter der Decke und starrt zur Tür, an welcher er den unscheinbaren Fremden vermutet und getraute sich kaum zu atmen.

Die Tür ist zu. Ohne Zweifel. Tausend Gedanken schießen ihm durch den Kopf: „Wie kann jemand im Raum sein, wenn vorher nicht das geringste Geräusch einer Tür zu hören war?  Er hätte doch hören müssen, wenn jemand hereingekommen wäre! Und  wie konnte sich in dem kleinen Zimmer noch jemand aufhalten, wenn es für ihn alleine schon fast zu eng war hier drinnen? Und warum kennt da offenbar jemand seinen Namen, dessen Stimme er nicht kannte? Toby kann sich nämlich Stimmen und Gesichter sehr gut merken und diese Stimme hatte er bestimmt noch nie in seinem Leben gehört. Sonderbar…

Noch einmal erklingt die Flüsterstimme: „Macht nichts, schlaf gut, ich komm einfach morgen noch einmal, dann bist du nicht mehr so überrascht wie heute. Ich bin nämlich der Middy. Gute Nacht.“

Toby ist wie versteinert, er zitterte vor Angst am ganzen Körper, schiebt sich unter der Bettdecke und weiß keinen klaren Gedanken zu fassen. Doch, andererseits ist er dann auch ein bisschen neugierig. Aber im Moment ist er nur verwirrt.
Wer war wohl diese oder dieser  Middy? Ein bisschen  bereute er schon, dass er sich nicht umgedreht hat, um ihn zu sehen. Womöglich kommt er nicht mehr. Und wo zum Kuckuck war sie oder er hereingekommen, wer oder was immer das auch war, das gerade mit ihm in der Finsternis gesprochen hat.
Vielleicht sollte er Tante Selli fragen, ob sie ein Middy kennt. Doch diesen Gedanken verwarf er dann so schnell wieder, wie er gekommen war. Selli würde ihn doch nur auslachen, oder ihn wieder einmal rügen, ob seiner wuchernden Hirngespinste. Ihm womöglich weitere Dinge, die er gern machte, verbieten, als Strafe für seine Phantastereien.

Toby rollt sich im Bett zur Seite und versucht zu schlafen, da er am Morgen zeitig aufzustehen hat und in die Schule muss.



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Anmerkung von Elén:

Kinderbuchprojekt; ich hab das mal vor Jahren begonnen und nun, das Ding längst vergessen und jäh durch Zufall wieder dran erinnert: wird das Ding fertiggeschrieben. -

Den Familiären Status werde ich noch ändern. Der Junge wird noch befreit werden aus seiner abgedroschenen Waisenkindrolle und adäquat an unsere Zeit angepasst werden. = Emanziperte Mutter, Vater Manager und Kind: emotional verwahrlost. Dann kommt Middy und gibt Anleitung zur Revolution :)

Die Zeitform ist mir noch unentschieden.

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Kommentare zu diesem Text


 Ingmar (02.08.08)
schöner titel.
und ich nehm mir vor, dieses kinderbuch also im entstehen zu begleiten, soweit du es zulässt.
in diesem sinne:
bin gespannt auf mehr.
kritik und dergleichen wenn, dann ein andermal.

ingmar

 Elén meinte dazu am 02.08.08:
Ich bedanke mich und bin über jede Kritik dankbar.

lg

 ManMan (02.08.08)
gut geschrieben, finde ich. Die Detailgenauigkeit, der Spannungsbogen, die eigentümliche Sprache (im Wortsinn) machen den Reiz des Textes aus. LG Manfred

 Elén antwortete darauf am 02.08.08:
Hab dank Dir,

lg, A.
Caterina (46)
(02.08.08)
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 Elén schrieb daraufhin am 02.08.08:
Für diese Anregungen möchte ich mich herzlich bedanken. Ich werd einiges umbauen und hab dadurch konkretere Ideen gewonnen. - Mit den kurzen Sätzen tu ich mir sauschwer. Aber, es wird besser, je länger ich in der Art schreib.

Das mit dem Umzug ist ne klasse Idee. - meci!

lg

 Bergmann (03.08.08)
Eine sehr schöne Stimmung wird erzeugt!
(Aber: Tempus sehr uneinheitlich. Absichtlich?)
Der Zufall will es, dass ich zur Zeit auch eine Kindheit erzähle... Aber ich stelle sie hier bei KV nicht rein, weil zu umfangreich.
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