Einbürgerungstest, Nachschulung

Grotesk-Zeitkritisches Drama zum Thema Heimat

von  JoBo72

Ein Sketch für zwei Personen (G und M).

Auf der Bühne: stehen vier, fünf Stühle. Auftritt G. Er setzt sich auf den Stuhl in der Mitte, liest in einem Formular, blickt auf die Uhr, liest weiter, wendet sich schließlich nach rechts und spricht mit einer imaginären Person.

G: Wie bitte? Einbürgerungstest? Nein, nein, ich bin schon Deutscher. (lächelt, Pause, dann ernst und schuldbewusst) Aber ich muss zur Nachschulung. (Pause) Ja, ja. Ich bin auffällig geworden. (liest von seinen Papieren ab) Inadäquates Verhalten in der Öffentlichkeit. Also, ich trat in der U-Bahn jemandem auf den Fuß und sagte: „Entschuldigen Sie bitte.“ Das war nun einem von dieser neuen Germapo aufgefallen. German Police, you know. Das war natürlich Pech. Ich hab’ dann gleich gesagt: „Sorry, sorry, sorry!“ Aber der blieb hart: „Nix da! Sie haben „Entschuldigung“ gesagt und zeigen damit, dass Sie nicht gewillt sind, sich anzupassen. „Easy, Mann. Sorry, sorry, sorry. Chill down, relax, Mann… äh… Man.“ Ja – Nix relax – ab zur Nachschulung! Ja, jetzt bin ich hier. (liest wieder in seinem Formular, holt einen Kugelschreiber und liest laut). Hm... übersetzen Sie nachfolgenden Text ins Neuhochdeutsche: „Guten Tag, mein Name ist Müller und ich verkaufe frischgepresste Säfte von Früchten aus dem eigenen Garten.“ Hm... „Hallo, mein Name ist Miller. Ich bin CEO eines Juice-Outlets... mit direct selling service. (Pause, denkt nach, lächelt zufrieden) It’s fresh, it’s fruit, it’s good!“ (einen Moment lang etwas von seiner Begeisterung in Beschlag genommen, dann wieder zur Sache zurückkehrend) Frage zwei: „Welches der folgenden Begriffe gehört nicht zur deutschen Umgangssprache? a) Talkshow, b) Rail’n’fly, c) Business Lunch, d) Danke schön.“ Danke schön. Das war leicht.

Auftritt M. M nimmt zwei Stühle entfernt Platz.

G: Guten Tag... ähm... Hallo! Einbürgerung?
M (nickt): Und Sie? (blättert gelangweilt in den Unterlagen)
G: Nein, nein, Nachschulung. Ich bin auffällig geworden. (liest von seinen Papieren ab) Inadäquates Verhalten... (zum Publikum) Sagen Sie, hatten wir das nicht schon. Oh... Sorry.
M (halblaut): Wer schrieb die deutsche Nationalhymne.
G (beginnt zu singen): Unity and Law and Freedom!
M (guckt genervt rüber)
G: Äh... kann ich Ihnen nicht sagen. Dieter Bohlen? (zuckt mit den Schultern)
M (schreibend): Was ist die „Sonntagsfrage“.
G: „Warum regnet es ausgerechnet heute?“
M (schreibend): Was ist auf der Landesfahne von Berlin zu sehen.
G: Klaus Wowereit.
M (blickt ihn fragend an)
G: Im Bärenkostüm.
M: Mit welchen drei Begriffen lässt sich das deutsche Hochschulsystem beschreiben.
G: Ähm...
M: Ich weiß es! Forschung, Lehre, Selbstverwaltung!
G: Falsch! Kopieren, abheften, vergessen.
M (wird von imaginärer Person aufgerufen, steht auf und geht hinaus)
G: Alles Gute! Äh... good luck! (atmet tief durch, blickt auf die Uhr, dann auf das Formular) Nennen Sie drei Fernsehsendungen, die sich um die hochdeutsche Unterhaltungskultur verdient gemacht haben. Hm... „Talk Time“, „Big Brother“ und (überlegt) „RTL II News“. (wird von imaginärer Person aufgerufen) Ja, zur Nachschulung. (steht auf und geht hinaus)
Autoritäre Stimme hinter dem Vorhang: „Re-schooling Assessment Center!“
G: Yes, indeed. Sorry!

ENDE


Anmerkung von JoBo72:

Uraufführung: 26.09.2008 auf der STUBE-Party in Berlin.

G - Josef Bordat
M - Roxana Valdivia Bernedo

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(07.05.18)
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