10. Kapitel . die kleine Welt hinter den sanften Hügeln dreht sich weiter .

Erzählung zum Thema Heimat

von  kirchheimrunner

Trotz Freud, trotz Leid; - die kleine Welt hinter den gründen Hügeln muss sich weiter drehen.

Am 20. Juli 1957 stand der Kübelböck Lorenz mit einem fleckigen, braunen Pappkarton vor der Strafanstalt Straubing. Die eiserne Türe fiel hinter ihm ins Schloss. Er war wieder ein freier Mensch. Frei aber verbittert.

In seiner Joppentasche hatte er eine Bahnfahrkarte:
Regensburg  - Bremen; - einfach, zweiter Klasse.
Und einen Brief von der Ankerbrauerei in Delmenhorst.

Wenn er wollte, konnte er am 1. Juli eine Lehre als Brauer und Mälzer beginnen. Der Hopfenjude hatte das eingefädelt; - so hatte es ihm der Herr Pfarrer gesagt.

Seinen Eltern hatte er nichts davon geschrieben; -
wenn das auch noch schiefgeht, wollte er ihnen nicht mehr unter die Augen treten. In Attenkirchen hielt ihn sowieso nichts mehr. Das Duckmäusertum, die Scheinheiligkeit; - schon wenn er daran dachte, musste er würgen ..

Und überhaupt, die ganze Halledau mit ihren Großkopferten Hopfenbaronen konnte ihm den Buckel runter rutschen.

Und die Marie? Was war mit ihr?
Seine Mutter hatte ihm nichts von ihr erzählt, als sie ihn vor Pfingsten das letzte mal besuchte. Nach ihr fragen wollte er auch nicht. Der Schmerz war zu nah an seinem wunden Herzen.

Geschrieben hatte sie ihm auch kein einziges mal:

„Kein Gruß, kein Herz,
kein Kuss, kein Schmerz„
„…so schön, so schön war die Zeit„,

Es war zum Heulen. Es war sowieso vorbe.Er hatte sie für immer verloren! An einen Anderen! An den, der mit einem Heiligenschein und gefalteten Händen am Ölberg kniet und in der Sakristei der Antonius - Kirche in Pfettrach hängt. Er traute sich auch nicht, sie wiederzusehen. Wie würde sie im Ordenskleid der Benediktinerinnen ausschauen, würde er sie überhaupt wieder erkennen; - nein alles was recht ist; - er würde nach Bremen fahren, es war besser so.

Langsam ging er hinüber zur Landstraße. Ein Handelsvertreter aus Passau nahm ihn mit dem Auto mit.

Seine lange Reise hatte begonnen.

Auch die kleine Halledauer Welt hat sich derweilen weiter gedreht:

Im Winter 1957 erbt der Kopfhammer Franz - Xaver den elterlichen Hof und heiratet nach der Fastenzeit 1958 die Kreuzhofer Resi, die aber auch den Mirko nie und nimmer ganz vergessen wird.. 

Zwei Jahre später kauft der Weinzierl Jackl die Komplimentärsanteile der fürstbischöflichen Hofbrauerei in Au und wird damit hochherrschaftlicher Brauereibesitzer..

Der Schorsch, sein einziger Sohn macht ihm aber große Sorgen. Anstatt sich um die Brauerei, die Modernisierung des Sudhauses und den Biervertrieb zu kümmern, fährt er mit seinem BMW V8 mehrmals in der Woche nach München zu seinen neuen Spezis. Zwielichtige Gestalten, die der Jackl auf seinem Hof nicht dulden will. Der Weinzierlschorsch war dem Kartenspiel verfallen! Der Jackl ahnte das Unglück, das über seine Familie hereinbrechen wird, doch eingestehen wollte er es sich nicht.

Die volle Gewissheit über die Spielsucht seines Sohnes, würde er Jahre später unter dramatischen Umständen bekommen.

Und die Marie? Und ihr Kind? Ihre kleine Tochter? Im Mai 1961 wurde die Kathrin 4 Jahre alt. Sie fragte immer öfters nach ihrem Papa. „Der ist weit, weit weg gefahren, und kommt erst wieder wenn du groß bist“ versuchte die Marie ihre kleine Tochter zu trösten.

Auf dem Bauernhof gab es nicht mehr viel für die Marie zu tun, Dienstboten hatten sie jetzt genug. Lieber ging für ein paar Stunden arbeiten. Im Postamt von Attenkirchen verkaufte sie Briefmarken. Die Kathrin aber ließ sie ungern bei der alten Theres daheim, denn sie war zu ihr böse und streng.

Sie brachte die kleine Prinzessen ab und zu, wenn sie ins Postamt ging, bei den Küblböcks vorbei. Sie versuchte die vom Schicksal geschlagene Afra in ihrer Einsamkeit zu trösten. Die Mutter vom Lorenz würde nächstes Jahr ihren fünfzigsten Geburtstag feiern. Der Gram und die Scham über ihren Sohn hatte sie aber um Jahre altern lassen gemacht.

Um das bisschen Geld aufzubessern, das der Benedikt als Mesner verdiente, verdingte sie sich als Wasch- und Zugehfrau.

Als die Marie im April 1962 mit der kleinen Kathrin bei der Kübeböck Afra wieder einmal vorbeischaute, saß noch jemand auf dem Küchenkanapee:Ein kleiner Teddybär mit einer Seemannsmütze und einem blau-weißen Jäckchen. „Ist der aber süß, der kleine Bär“; die kleine Kathrin war ganz hin und weg.

„Den schenk ich dir, du musst ihn aber genau so lieb wie ich, sagte die Afra“, drückte der Kleinen den Teddy in die Hand, und lief dann heulend aus der Küche.

Die Marie wunderte sich über den Weinkrampf der Küblböckin,  konnte sich aber keinen Reim daraus bilden.

Gesprochen haben sie darüber auch nie.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram