Der Gläubiger und der Hoffnungslose

Gleichnis

von  autoralexanderschwarz

„Wenn die Schulden eines Tages alle bezahlt sind, dann schenke ich dir ein Pferd“, sagt der Gläubiger zu dem Hoffnungslosen, der eigentlich über die Stundung der Zinsen und seine Verzweiflung sprechen wollte.
„Igor heißt es, jahrelang war es mein treuestes Pferd, mein treuester Gaul“, fährt der Gläubiger fort, "jahrelang bin ich voll Stolz auf ihm geritten, nun ist es alt, seine Beherrschung gewachsen, es ist ein besonderes Geschenk“, sagt der Gäubiger.
„Das ist sehr großzügig“, antwortet der Hoffnungslose leise, der noch nie auf dem Rücken eines Pferdes gesessen hatte, Pferde eigentlich nie besonders mochte und die gewaltigen Schädel und die starrenden Augen von je her als bedrohlich empfand.
„Mach dir über das Futter keine Sorgen“, sagt der Gläubiger mit milder, gönnerhafter Stimme, „es frisst nicht mehr so viel wie früher und wir werden uns schon einigen“, fährt er fort, „und für eine kleine Entschädigung ließe sich auch ein Stellplatz finden, lediglich der alte Stall müsste erneuert und ein wenig hergerichtet werden“, ruft der Gläubiger und um den Vorschlag perfekt zu machen, klopft er dem Hoffnungslosen kameradschaftlich auf die Schulter.
„Was gibt es schöneres, als einen Ritt über die friedliche Steppe, Freiheit und den Wind in den Haaren?“, ruft der Gläubiger mit leuchtenden Augen, während der Hoffnungslose an seine Frau, an seine kleinen Kinder, an den Hunger denkt.
„Ich weiß nicht, ob ich diesen Monat die Rate bezahlen kann“, sagt der Hoffnungslose und blickt furchtsam beiseite, betrachtet das feine Blattgold und die getäfelte Wand dahinter.
„Nicht wieder dieses Thema“, winkt der Gläubiger ab, der mit seinen Gedanken noch bei Pferd, Wind und Freiheit ist.
„Du musst Reitstunden nehmen“, ruft er begeistert aus und setzt dann verschwörerisch hinzu: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass man dir einen besonderen Preis macht.“
„Ich werde mit den Jahren milde“, sagt er noch und sucht den Blick des Hoffnungslosen.
„Aber die Rate“, sagt dieser stockend, weil er seiner Frau versprochen hat diesmal eine Erleichterung zu erwirken.
„Genug von der Rate“, ruft der Gläubiger und auf einmal ist dort Zorn in seiner Stimme.
„Ihr armen Leute wisst doch nicht um die Güte eures Herrn“, ruft der Gläubiger und schlägt mit der Faust auf den Tisch, „den Hals kriegt ihr nicht voll genug und macht euch ein sonniges Leben auf meinen Äckern, ihr habt euer Schicksal doch verdient, weil ihr nicht weiter, als bis zum nächsten Lohn denkt. Ist das der Dank für meine Schonung, ist das der Dank für ein so besonderes Geschenk? Man will euch etwas schenken und ihr denkt nur an das Geld, habt gar nicht verstanden, was ich mit Ritt, Steppe und Freiheit meinte.“
„Einem geschenkten Gaul schaut man nichts ins Maul“, ruft der Gläubiger und ist für einige Momente besänftigt durch sein gelungenes Wortspiel.
„Aber meine Familie“, flüstert der Hoffnungslose, der mit jedem Wort kleiner und verlorener an dem antiken Tisch sitzt, dessen Hände die Tischkante umklammern müssen, damit er nicht nach hinten, in die Leere stürzt.
„Die Kinder sind so dürr“, flüstert der Hoffnungslose, obwohl er weiß, dass er bereits zu viel gesagt hat.
„Keine Erleichterung“, schreit der Gläubiger und schlägt das Schuldenbuch zu, das die ganze Zeit neben ihm auf dem Tisch lag.
„Wie willst du es zu etwas bringen, deinen Kindern ein Beispiel sein, wenn du nicht einmal die einfachsten Verpflichtungen des Lebens meisterst. Deine Kinder noch werden mir die Härte danken, mit der ich ihren nachlässigen Vater erzog, aber ich ahne es, habe es von Anfang an geahnt, dass du meines Geschenkes nicht würdig bist, geprüft habe ich dich: Du interessierst dich gar nicht für das Pferd“, ruft der Gläubiger, „hast die ganze Zeit nur Interesse geheuchelt, um mein Herz weich zu stimmen für deine Gier. Eine Natter nährte ich an meiner Brust“, ruft der Gläubiger und lächelt milde über dieses gelungene Zitat, während der Hoffnungslose schweigt und zu einem unbestimmten Punkt in die Leere starrt.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram