Erst das Geräusch, dann im ersten Licht auch die Umrisse, aber mit den Umrissen verschwinden die Gestalten. Man wird wieder in die Welt geboren. Mir kommt es vor, als drücke Atropos jeden Morgen ihre Schere zu, wenn sie die Augen öffnet.
Was den Weg angeht, den ich morgens verrichte, weiß ich nicht viel zu sagen. Ich habe nach und nach erkannt, dass ich nicht viel davon berichten kann, was ich sehe, deswegen begann ich zu schreiben. Ich bereue daran die vielen Zettel in meinen Schubladen, ich bereue das ganze Besitzen und die vielen angefangenen Sätze, die keine Rundung erfahren, sondern Beweis meiner gedanklichen Brüche sind. Manchmal träume ich nachts, dass ich alles verbrenne, was ich besitze. Ich träume auch, ich träte ins Feuer hinein. Dann, wenn meine Kleidung Feuer fängt, fange ich an zu schreien. Meine Kleidung formt sich zu Asche. Und wenn das Feuer verglüht, fahre ich im Dunkeln über meine Haut: sie ist vollkommen glatt. Ich glaube zu wissen, dass dieser Traum für Angst steht.
Ich stehe vor dem Gebäude, den man Arbeitsplatz nennt und betätige mich mit etwas, das ich meinen Freunden als Arbeit serviere und womit ich fünfmal in der Woche mehrere Stunden verbringe. Es ist besonders seltsam, dass sich errechnen lässt, was ich verdiene, und dass es immer die selbe Arbeit ist und dass sie mir mal schneller, mal weniger schnell gelingt und dass sich der Geruch verändert, er aber morgens, wenn ich eintrete, immer wieder der selbe ist (er verändert sich im Laufe der Jahre nur minimal). Ich beginne in einem Zimmer und ende in einem anderen und ich rede dabei leise mit den Zimmerpflanzen, ich gehe, wenn es hell wird im Winter, im Sommer gehe ich, bevor sich die Erde wieder erhitzt und ich brauche mit dem Fahrrad genauso lang, wie mit dem Bus, aber die Entscheidung fällt mir trotzdem schwer.
Mesembria spricht von unerfüllter Fülle. Das ist, wenn die Sonne am höchsten steht und man bemüht ist, etwas zu genießen, was sich dem Ende entgegen neigt. Die Erfüllung durch Fülle ist nur ein Gedanke. Mir steht der Tag offen, wenn er für andere erst beginnt, ich schwimme dann manchmal hinaus, stürze meinen Kopf in Wasser und warte. Ich denke dann daran, wie wenige Sekunden es noch bis zum Tod sein könnten, ich denke in Zeit und in Wegen. Und weil ich denke, treibe ich wieder auf, während Charon um irgendeine Ecke biegt.
Charon sagt, dass jeder Mensch, der seinen Menschen verliert, mit der gleichen Trauer zurück bleibt.
Ich sagte damals zu ihm und immer wieder zu mir, dass ich mich, wenn er sterben würde, neben ihn lege und mit ihm meine Atemzüge verlangsame, meine Körperfunktionen nacheinander abstelle und mit ihm das andere Ende sehen würde. Ich hatte beschlossen, dass wir zusammen gehen und ich sprach so lange davon bis er traurig wurde. Er sagte, er würde Fährmann werden und zu mir fahren, ich müsse nur am Wasser wohnen und im Nebel kommen. Als es so weit war sah ich, dass er den Tod schnell akzeptierte und das letzte Stück leben, das ihm blieb und dass ich, egoistisch und unreflektiert, völlig verrannt war in einen Fehlgedanken - denn ich lag dort und konnte mich nicht von ihm verabschieden, ich focht den Kampf mit mir aus, den ich aufgeschoben hatte. Und all die Wochen danach, die ich einschlief und doch wieder erwachte und all die Wochen der Überwindung, die folgen mussten, bis er in meine Träume kam.
In der Zeit stand ich nachts einmal vor den Toren Delphis und erblickte auf der anderen Seite eine Frau, die mich ansah. Ich fragte sie nach ihrem Namen. Ich hob die Hand, sie hob die Hand, da zwischen war kein Raum und ich griff ins Nichts. Als ich ihre Hand umfassen wollte, verschwand sie. Ich schritt durch das Tor und blickte rechts in einen Spiegel. Da war ich und ich war sie. Ich hatte mich selbst erkannt.
In meiner freien Woche steige ich in einen Zug, der mich wegbringt, ich steige Stunden später wieder aus und richte mich irgendwo hin. Ich trage eine Tasche, die mir eine Last ist. Ich trage mich in einen Ort hinein und durch den Wald in den nächsten. Tags darauf lasse ich alles zurück und steige in die Berge hinauf, die meine Gedanken umranden. Ich meide das Wasser, ich erklimme keinen Gipfel, umrunde sie nur und suche den Himmel ab. Es geht mir gut, es riecht nach Zedern und Wind. Aber die Einsamkeit und immer das Warten und nicht wissen worauf -
Der Fährmann steuert sein Boot durch die Nebel hin zu etwas, das man ahnungslos zu betiteln versucht, aber wer weiß schon etwas von Unendlichkeit, der so begrenzt ist. Ich bin ein Fetzen des Nebels, wenn ich träume. Der Fährmann ist Charon. Und Charon ist tot.
Der Weg zur Arbeit ist heute dunkler als gestern und gestern dunkler als vorgestern und so weiter. Wir haben die Fülle längst überschritten und lassen unsere Gärten langsam ruhen (wie gnädig) und die Liebe fährt zurück in unserer eigenen Herzen (im Winter sollte man allein sein, wenn man kann). Ich höre im Gebäude die Zimmerpflanzen um Ruhe bitten, aber ich kann nicht helfen. Ich stelle die Heizung an und entschuldige mich dafür. Ich kann später auch nicht mehr schwimmen gehen und manchmal frage ich mich, ob es jemanden gibt, den ich anrufen könnte, ganz weltlich. Und ich grüble, aber ich finde nichts.
Also suche ich den Platz, den nur wir kennen. Ich warte im kühlen Wasser darauf, dass er kommt. Und je mehr ich warte, desto seltener kommt er, denn er weiß, dass ich warte, also warte ich lang.
Hesperis nimmt das Licht aus der Welt, aber es wäre mir lieber, wenn es plötzlich geschähe. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte Gestern vergessen. Arktos erlöst mich.
Charon erkannte mich. Ich sprach Leidenschaft und seinen Tod zählte ich dazu. Und wenn ich tot bin, werde ich dann Fährfrau sein? Ich bezweifle es, aber ich bleibe ein Fetzen Nebel, den das Schiff teilt und der sich wieder zusammenfügt. Man bleibt im Tod ein Stück davon, was man im Leben lernte, glaube ich. Sonst gebe es kein Wort dafür und Worte sind die Brücke.