Judith im Spiegel

Text

von  Zeder

Wenn ich singe, dringen tiefe Töne aus mir, dringen Töne tiefer als Fels (wenn man die Dinge singen hören kann). Ich würde ein Instrument aus Felsen bauen, wenn ich könnte, ich würde etwas aus Himmel bauen. Ich beuge mich tiefer übers Wasser hinab und suche nach dem Ruder, dass ich in der letzten Biegung verlor. Ich würde meine Hände zu Rudern formen, wenn ich könnte, aber das was ich kann ist begrenzt. Judith würde mir raten ins Wasser zu springen und zu schwimmen, aber ich habe mich doch ins Boot gesetzt um zu fahren, also fahre ich auch wenn ich nicht lenken kann und ich werde so lange fahren, bis etwas passiert, das mich davon abhält. Ich weiß nicht wo dieser Fluss ankommen wird oder ob irgendetwas ankommt, ich weiß aber, dass uns alle der Gedanke ans Ende leitet, weil niemand dem gegenüber gleichgültig ist.

Ich kann kein Tagebuch mehr schreiben, weil ich das Gefühl habe, es gäbe nichts mehr zu sagen.
Ich denke manchmal, dass sich meine Gedanken innerhalb eines Kreises verschieben und dadurch fällt mir das Gehen schwer, das Sehen, das Leben. An anderen Tagen bin ich dann alles, bin alles, was ich sehe, weil ich alles liebe. Judith schrieb gerne Gedanken an Wände, konnte das festhalten wollen, was sie dachte und konnte denken, dass es Sinn hat die Gedanken anderen mitzuteilen, dass sie also wichtig genug sind. Ich kann keine Wertung darin finden zu denken. Ich kann denken und darüber nachdenken zu denken und darin liegt für mich so eine Surrealität, dass ich abbreche, vielleicht auch aus Angst. Judith schrieb: „Gehen.“ und lächelte mir zu. Später ist sie gegangen. Ich habe manchmal geträumt, dass ich sie dabei beobachte, wie sie Gedanken an Wände schreibt – ich sah mehr ihre Umrisse als ihre Gestalt, vielleicht noch eher ein Gefühl von ihrer Spur, die sie in mir hinterließ. Dann bemerkte ich, dass die Gedanken, die sie im Traum schrieb, meine eigenen Gedanken waren, die ich auf sie projizierte. Und dann erkannte ich, warum sie ging.

Ich habe die erste Zeit kaum etwas davon gespürt, dass ich traurig war, ich habe nur gemerkt, dass ich meine Blumen nicht mehr goss und ich hatte auch keine Tage mehr, in denen ich glücklich aufstand. Und ich wusste auch, dass ich vorher nicht glücklich aufgestanden war, weil sie in meinem Leben war, sondern weil eine Bindung zu etwas existiert hatte, es war nicht wichtig was es war und das war es dann, was mich traurig werden ließ. Sie schrieb in einem Traum: „Das Nichts ist die Perle im Herzen.“ Und der Judith, die ich kannte, hätte dieser Satz wahrscheinlich nichts gegeben, aber mir hat er etwas gegeben, denn ich begann sie in meinen Träumen zu einer Reflektion meines Selbst zu gestalten. Ich behielt bei, was wir in unserer Freundschaft über Jahre hinweg erlebt hatten: immer im Kampf zu einander zu stehen, immer einen Kampf zu führen, in dem sich eine Dominanz behaupten wollte. Und was aus der Begebenheit entstand in der Jugend eine Gefühl von Positionen zu entwickeln, entwickelte sich in dieser Zeit in mir als Kampf zweier Gestalten in der Nacht. Soll ich sagen, dass ich einsam bin? Ich sage gerne, dass ich einsam bin, weil das ein so unheimlich tiefes Gefühl vom Selbst ist. Es ist ein Gefühl, mit dem man sich Ewigkeiten beschäftigen kann, es ist eigentlich Ruhe, wenn man versucht es zu verstehen. Es kann auch Frieden daraus entstehen. Aber einsam bin ich nicht.

Ich fand von hier, wo ich ankam, nie wieder zurück, weil es niemals ein zurück gibt. Es gibt Tage an denen man das glaubt, aber es ist eine Lüge. Und Lügen, die man spielt um es einfacher zu machen sind nicht sinnvoll. Zu lügen des Lügens willen ist natürlich. Natürlich habe ich hier wie woanders nach mir selber gesucht und habe gemerkt, dass es hier wie woanders nicht möglich ist, dadurch schloss ich darauf, dass ich alles bin. Ich spiele, dass das alles sein aus der Subjektivität resultiert, denn wenn ich ein Gefühl zu allem haben kann, dann gibt es erst die Möglichkeit dazu auch alles zu werden. Wie schön Leben ist.

Ich habe geliebt und verloren, habe gefunden. Ich habe mit dreckigen Fingern Wörter verkehrt herum an Fenster gemalt, damit der Rest der Welt mich erhört. Es hat mich niemand erhört, denn man wird erst erhört, wenn man sich selbst erhört. Das Leben ist sachlich. Lass mich sachlich sein.
Ich kann kein Tagebuch mehr schreiben, weil ich keine Tage habe, über die ich schreiben kann. Ich schreibe über Sekunden, die sich verschieben. Vielleicht gibt es immer nur eine Sekunde, denn wie sollte es auch so viele Sekunden geben. Vielleicht gibt es eine begrenzte Zahl an Geräuschen, die Uhren machen, wenn die eine Sekunde vergeht, ich weiß es nicht, ich habe bestimmt nie mehr als drei zugleich gehört. „Das, was ich kann, ist begrenzt“ schreibt Judith an die Wand. Natürlich schreibt sie das, bevor sie geht.

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Kommentare zu diesem Text


 poena (25.12.09)
liebe zeder,
was du hier beschreibst, könnte meine unterschrift darunter traben und es wäre auch meine wahrheit.
sich zu jemandem zugehörig zu fühlen,
zu wissen, dass man eine sehnsucht mit jemandem teilt,
das gehen und gehen-müssen, verlieren und einsamkeit, die vernunft dahinter, das gefühl zu beherrschen, um das leben nicht zu vergessen, dieser widerspruch, der einen an manchen tagen zerreißt... dein text sagt mir das alles- aber das, was ich kann, ist leider auch begrenzt.
ist philosophie...und groß, größer als man sagen kann.
lieben gruß, p

 Zeder meinte dazu am 29.12.09:
ich fühle mich geehrt deine unterschrift und diesem text zu tragen.
Samjessa (28)
(06.01.10)
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 Zeder antwortete darauf am 06.01.10:
du hast recht, ich warte selbst auf eine entwicklung in meinem schreiben, aber irgendwie kommt immer das dabei heraus, also wird es schon gut sein. :)
ich danke dir!
Samjessa (28) schrieb daraufhin am 06.01.10:
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 Zeder äußerte darauf am 06.01.10:
geht mir ähnlich. ich merke bei mir, dass ich meist aus einem bestimmten gefühl heraus das verlangen habe zu schreiben, bzw. es fällt mir leicht für dieses gefühl worte zu finden. bei anderen sachen ist es schwieriger oder ich bin unzufrieden damit. falls du also etwas herausfindest, sag mir mal bescheid ;)
liebe grüße
xijlwya (30) ergänzte dazu am 20.01.10:
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 Zeder meinte dazu am 21.01.10:
sie müssen sogar alles von selbst machen, weil es sonst nicht ehrlich klingt.
danke sehr!

 Dieter_Rotmund (29.03.20)
"Ich kann kein Tagebuch mehr schreiben, weil ich das Gefühl habe, es gäbe nichts mehr zu sagen."
Eigentlich starker Satz, aber was will uns der Erzähler denn erzählen? Eigentlich müsste hier ein passende Alltagsbeschreibung folgen. Aber es ist alles nur vage und ohne Substanz. Ich kann im Text keinen Inhalt mit literarischen Mehrwert erkennen, sorry.
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