An Limerenz erkrankt

Text zum Thema Verliebtheit

von  Omnahmashivaya

Es war eine bodenlose Frechheit, wirklich unmöglich. Wie konnte Mann nur so unverschämt gut aussehen? Und dann war er auch noch ein sich selbst nicht bewusster Stalker, denn er begegnete mir nicht nur ständig an der Haltestelle, im Plus oder in der Überfliegerbar, sondern auch in den geheimnisvollsten und tiefsten Träumen. Ja, selbst dort traf ich ihn – ob ich wollte oder nicht. Mal kam er als Ritter, ein anderes Mal war er der Reiseguide, zwischendurch ein Obstverkäufer. Doch nie der Mann im Bett oder der Mann an meiner Seite. Einmal war er sogar ein Richter und verurteilte mich zu drei Jahren Knast, weil ich ihm selbst aufgelauert hatte. Immer war er dabei, wirklich immer. Das Schlimmste war: Gegen diesen Zustand, bekannt auch unter Limerenz, war kein Kraut gewachsen. Ich war quasi gezwungen an ihn zu denken. Wenn ich es mal einen Bruchteil einer Sekunde wagte, ihn aus meinen Gedanken auszuschließen, dann begegnete er mir zufällig auf der Straße, schlich sich klammheimlich durch die die Hintertür des Hinterstübchens, um mich zu überraschen oder es erinnerte mich irgendetwas an ihn. Es war hoffnungslos. Alles kreiste sich nur um ihn. Ich war der Wirbelsturm - unermüdlich in Bewegung – ohne Rücksicht auf Verluste. Er das Auge – passiv und still. In der Bahn dachte ich an ihn, im Seminar, bei der Arbeit, im Kino bei den romantischen Knutschszenen (Und ich suchte mir doch absichtlich Actionfilme und Horrorfilme aus, aber auch diese werden von gelegentlichen Szenen limerenter Personen nicht verschont), in der Küche, weil Liebe durch den Magen geht, beim Spaziergang, in der ständigen Hoffnung, ihm zu begegnen, im Bett, am Schreibtisch, beim Karten spielen, beim telefonieren (da sprach ich dann auch noch von ihm) und in den meisten anderen menschlichen Lebenslagen. Es war ein schönes Gefühl, ihn zu sehen. Aus dem tristen Herbst wurde ein bunter Frühling. Ich hörte jeden Vogel aus den verstecktesten Ecken singen, meine Welt war, wie bereits erwähnt: kunterbunt. Wenn ich ihn sah, dann verschlug es mir nicht nur die Sprache, sondern auch den Atem. Hätte mich sein freundlicher Gruß nicht zum Erwidern und damit zum Luft holen gezwungen, so wäre ich womöglich auf der Stelle erstickt. Wie ein Stromschlag durchraste es mein Herz, wenn ich ihn sah und ich wusste in dem Moment nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Es war um mich geschehen. An Tagen, an denen ich ihn nicht sah, da suhlte ich mich in Sehnsuchtsbädern und Erinnerungen an schöne Begegnungen mir ihm. Besonders gern ließ ich die Stelle Revue passieren, als er einmal frisch frisiert aus dem Friseursalon spazierte und einfach umwerfend aussah. Diese frische Frisur trug er auch meist in den Träumen. Nur bei dem Rittertraum hatte er lange Haare. Da war er gerade auf dem Weg Rapunzel abzuholen. Und ich war die böse Hexe, die alles ansehen musste. Na, ich wusste wohl, warum ich das Maid eingesperrt hatte! Die Hälfte des Tages verbrachte ich mit Seufzen und Stöhnen, den mir wurde der Verstand geraubt, wie anderen das Fahrrad, das Pausenbrot oder die Handtasche. Es war zum verzweifeln. Es trieb mich in den Wahnsinn.
Die Adrenalinausschüttung bei einer Begegnung wirkte wie LSD – ich wurde furchtbar aufgedreht und konnte meist drei Tage von der Wirkung zehren. Die Endorphine schmückten meinen Seelenzustand wie einen prächtigen Weihnachtsbaum. Leuchtend, farbenfroh und mit vielen Überraschungen dabei. Irgendwie mochte ich diesen Zustand, denn er war etwas Besonderes und kam nur eins oder zweimal im Jahr – so wie der Bus in meinem Heimatort.
Heute Morgen stieg ich in die falsche Bahn – ein typisches Zeichen für mich, dass ich mich auf nichts mehr konzentrieren konnte. Ich verzichtete auf meinen Walkman, denn wenn mein Zustand noch durch Musik verstärkt werden würde, so würde ich bestimmt irgendwo mitgenommen. Von einem Auto oder Kidnapper. Wahrscheinlich hätte ich es gar nicht mehr mitbekommen. Gestern bin ich ihm dann endlich näher gekommen. Es war so wunderschön. Wir saßen am Tresen der Überfliegerbar und knutschten uns in den siebten Himmel. Zärtliche strich er über meinen Handrücken, bevor er mit der anderen Hand behutsam meine Wange streichelte und mich erst sanft und dann fordernd küsste. Nun, leider spielte sich das auch nur in meiner Phantasie ab. Aber es ist ja schön, dass es sie gibt, die Phantasie …

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Kommentare zu diesem Text


 NormanM. (22.09.09)
Von dieser krankheit habe ich auch schon gehört. Interessanter text.
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