ein Tag 1983

Text zum Thema Angst

von  Feuervogel

Die Pädagogen und Therapeuten hatten einen Tagesausflug für die gesamte Station geplant. Es sollte nach Österreich in die Berge gehen und zwar auf den Hohen Freschen. Besonders wohl war mir bei dem Gedanken, meine schützende Umgebung zu verlassen, nicht. Ich wäre am liebsten in der Klinik geblieben. Der Aufstieg auf den Berg war für mich eine Tortour. Ständig beobachtete ich meinen Körper. Da ich ja nicht trainiert war, schlug mein Herz wie wild. Das aber machte mir viel Angst, denn ich glaubte, dass es diese Anstrengungen nicht verkraften  und plötzlich den Geist aufgeben würde. Ich wollte nicht auf einem Berg in Österreich mein Leben lassen. Für mich wurde der Anstieg zum Training gegen die Angst. Immer wieder kamen mir die Tränen und ich wollte nicht weitergehen. Ärztin und auch Therapeut machten mir Mut und bestärkten mich. Der Schönheit der Landschaft konnte ich nichts abgewinnen.

Noch heute gerate ich in Not wenn ich mich anstrenge und mein Herz rast. Ich habe es nicht ganz geschafft die Angst vor dem plötzlichen Tod abzulegen. Leider bin ich mir in diesem Punkt auch noch nicht komplett auf den Grund gekommen. Es passiert mir immer wieder, dass ich meinen Körper bedrohlich erlebe. Ich drücke mich oft in heftigster Form psychosomatisch aus, bekomme Schmerzen überall, Drehschwindel, Gleichgewichtsstörungen, Sehstörungen, Herzrasen, Übelkeit, Durchfälle und leide immer wieder an heftigen Infekten. Früher konnte ich mich deshalb selbst nicht leiden, verdammte mich, wollte einfach anders sein, verleugnete mich und überschritt permanent meine Grenzen. Heute erlebe ich das immer noch sehr bedrohlich, kann mich aber besser selber steuern und auf die Sprache meines Körpers hören. Ich habe in mir einen Ort gefunden an dem ich Ruhe finde in meiner Not, bin aber auch ehrlicher geworden anderen gegenüber, wenn ich auch im Außen mehr Ruhe brauche. Ich spüre mehr und mehr, ich bin nicht mein Körper. Ich bin viel mehr, viel komplexer, viel umfassender. Wenn ich mich auf die Materie, sprich meinen Körper reduziere, dann ist es für mich klar, dass mich der Verlust desselben oder seine Begrenzungen in tiefe Not stürzen können. Inzwischen liebe ich meinen Körper mehr und mehr, ganz besonders meine Brüste gefallen mir. Jedoch etwas auszusetzen finde ich immer wieder. Seit der Schwangerschaft fühle ich mich runder, damit komm ich oft nicht zurecht. Ich wog bis zu meinem 35. Lebensjahr nur 55 kg. Tanzen und walken hilft mir mich wohler mit mir zu fühlen. So weiß ich, ich habe es in der Hand mich körperlich zu stärken. Manchmal muss ich mich nur selbst umarmen, einfach mal selbst meine Hand oder Wange streicheln, mich unter die Decke kuscheln und mir gut zureden, dann verschwinden die körperlichen Zipperlein und Ängste auch wieder. Ich muss mir einfach Zeit für mich selber nehmen, meinen Blick mehr und mehr nach Innen richten. Genau das habe ich ja viele Jahre nicht getan. Ich achtete immer auf die Anderen und vergaß dabei mich.

Auf dem Berg angekommen, konnte ich weder Aussicht noch Vesper genießen. Total verschwitzt und unruhig wollte ich nur wieder runter auf die Erde. Ich konnte mich nicht freuen darüber, dass ich es doch trotz Schwierigkeiten geschafft hatte. Ich ging mit mir wieder gnadenlos ins Gericht, was für eine totale undurchtrainierte Versagerin ich bin. Ich schien ja nicht einmal ohne Komplikationen einen Berg erklimmen zu können. Der Abstieg ging schnell vonstatten, da ich mehr rannte als das ich wanderte. Ich war die erste die am Bus ankam und wollte nur nach Hause. Dieser Bergaufstieg hat mich noch lange danach in der Therapie beschäftigt. Ich konnte mir meine Schwäche nicht verzeihen, ich verdammte mich, am liebsten hätte ich mich selbst geschlagen. Heute weiß ich, dass ich sehr mutig war und bin, denn die die etwas wagen trotz furchtbaren inneren Ängsten, die die trotzdem ja sagen zum Leben und auch zur Liebe unter widrigen, schwierigen Umständen, dass sind die wahren Größen und Helden des Lebens. Heute denke ich, dass ich eine der mutigsten Menschen bin die ich kenne, da ich trotz aller Höllenfahrten, trotz vieler Tode die ich starb immer wieder auferstanden bin und mich selbst aus dem Morast gezogen habe. Ich habe mit mir gekämpft, mit meinen Schatten, mit meinen dunklen Gründen und habe gesiegt. Im Laufe der Jahre habe ich soviele Berge bestiegen mit 1000 Ängsten im Nacken, ich kam immer am Gipfel an und ich fand auch wieder herunter. Natürlich weinte ich, natürlich trauerte ich, natürlich klagte ich Gott und die Welt an, natürlich war ich wütend auf mich, das Leben und auch auf die die ich liebte, aber ich blieb nie stehen, ich ging meinen eigenen Weg. I did it my way! I did it like the firebird!

Michaela Möller


Anmerkung von Feuervogel:

Auszug aus Love83

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Kommentare zu diesem Text


 Aguaraha (14.10.09)
Das sehe ich auch so, ...
sei du selbst, denn nur diese Einstellung gibt dir die nötige Kraft, ...
Ciao, Günther.
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