Turnover

Erzählung zum Thema Abschied

von  Mutter

Ich gehe gerade vorne um den Wagen auf die Fahrertür zu, als ich rechts aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehme. Eine Gestalt stürzt über die Motorhaube von dem Karren rechts von mir auf mich zu – trifft mich mit den Beinen mitten auf die Brust.
Während ich nach hinten zurückstürze, schnürt sich meine Wahrnehmung auf ein Nadelöhr zusammen. Ich lande auf dem Rücken, das schmerzhafte Stöhnen erwürgt sich selbst in meiner Kehle.
Mein Atem kommt stoßweise, wie gelähmt liege ich von meiner Brust gehalten, die in Flammen zu stehen scheint. In meinem Gesichtsfeld taucht eine Gestalt auf. Ich fühle, wie sich ein Fuß auf meine Hand stellt – auf die rechte, in der ich die Mossberg halte. Widerstandlos öffnen sich meine Finger, der Fuß schiebt die Waffe zur Seite.
Ich starre nach oben, betrachte teilnahmslos das Gesicht der Maschine. Der Großteil meines Seins ist damit beschäftigt, den Brustkorb schmerzhaft zu senken und zu heben. Ich muss an Jesse denken, an ihren Blick unter Wasser.
‚Was kommt jetzt?‘, frage ich heiser.
Er bewegt den Arm, hält entspannt eine fette Wumme in der Rechten. War also doch bewaffnet. Warum hat er mich dann auf dem verschissenen Hinterhof nicht einfach umgelegt, sondern ist geflohen?
Die Waffe zielt demonstrativ nicht auf meinen Brustkorb. Komm schon, ist jetzt auch egal – zwei, drei Einschusslöcher machen auch keinen großen Unterschied mehr. Ich lächele, huste.
‚Es ist vorbei, Corker‘, sagt er mit seiner tiefen Stimme.
Ich nicke. Sehe ich genauso – nur hätte ich mir unseren Endkampf anders vorgestellt, mit verteilten Rollen. Fühle mich, als hätte ich gerade den Ball verloren – statt zu punkten, liege ich am Boden und der gegnerische Linebacker rennt mit dem Ei in meine Endzone.
Fucking Turnover!
‚Bowman ist tot‘, stellt er fest. ‚Ich habe das Parkhaus gechecked, nachdem ihr weg wart.‘
‚Und du bist arbeitslos? Ein Renegat, auf eigene Rechnung?‘, quetsche ich mit einem Lächeln hervor.
Er schüttelt den Kopf – die Waffe bewegt sich dabei nicht einen Millimeter. Ich bin beeindruckt von seiner Körperbeherrschung.
‚Bowman ist nicht mein Boss gewesen.‘
‚Was?‘, krächze ich, versuche mich zu bewegen. Meine Position auf der Straße ist nicht gerade bequem, aber der Kontakt mit seiner Schuhsohle stoppt mich.
‚Metriç hat mich angeheuert, um Gavin bei seiner Suche nach dem Geld zu helfen.‘ Er zuckt mit den massigen Schultern. ‚Bowman ist tot, meine Arbeit erledigt. Ich bin auf dem Weg zurück nach drüben.‘
‚Metriç?‘ Um mich dreht sich alles. ‚Wieso hast du mich angerufen, um mich auf den Albaner zu hetzen?‘
‚Bowmans Idee. Der hatte die kleinen Spielchen von Metriç satt – Gavin dachte, vielleicht weist ihn das etwas in die Schranken.‘
‚Und nach unserem Telefonat hast du kleine Petze gleich deinen Boss angerufen, richtig? Um sicher zu stellen, dass der Alte nicht überrascht wird.‘ Ich versuche, Spott und Hohn in meine Stimme zu legen, aber mehr als Bitterkeit bekomme ich nicht hin. ‚Was ist mit der Kleinen?‘ Ich hasse, wie brüchig ich klinge.
Er sieht mich einen Moment mit seinem kantigen Gesicht an, betrachtet mich nachdenklich. ‚Jesse? Keine Ahnung, was sie vorhat.‘
‚Sie meinte …‘ Ich lasse den Satz unvollendet, weiß nicht, wie ich formulieren soll, ohne dass es wie eine Einladung klingt. Sie meinte, du würdest mich zum Teufel jagen, Batman.
Ein feines Lächeln schleicht sich auf seine dünnen Lippen. ‚Was hast du ihr bloß getan? Ich glaube, die kann dich nicht leiden.‘
‚Und dich?‘ Will es mir nicht eingestehen, aber was Jesse über sich und ihn erzählt hat, bereitet mir Magenschmerzen.
Ein weiteres Schulterzucken. ‚Corker, die Braut ist mir scheißegal. Das einzige, was mich an dieser dreckigen Stadt je interessiert hat, war dein magerer Arsch. War, hörst du? Geschichte – don’t ever look back.‘
Langsam hebt sich sein Fuß, er macht einen vorsichtigen Schritt zurück.
‚Warum mich jetzt am Leben lassen?‘, will ich wissen, richte mich ein wenig auf.
Er macht bereits einen Schritt nach hinten, dreht sich halb zu mir um. ‚Weil es niemanden mehr gibt, der genug dafür zahlt, dass ich dich umlege, Corker.‘
Ich nicke.
Er fügt hinzu: ‚Und ich glaube, der Alte mag dich. Meinte, ich soll dich nicht umlegen, wenn es sich vermeiden lässt.‘ Im Weggehen hebt er ein letztes Mal die Hand zum Gruß, verschwindet zwischen den parkenden Autos.
Zischend verlassen angehaltener Atem und Anspannung meinen Brustkorb, ich sinke nach hinten. Mein Hinterkopf berührte das arschkalte Steinpflaster. Über mir sehe ich vereinzelte Sterne im Nachthimmel.
Ich versuche zu erkennen, ob ich froh darüber bin, dass das riesengroße Arschloch mich am Leben gelassen hat und von der Bühne verschwindet, oder ob mich das aufregt. Komm her und kämpfe, du Drecksack – blubberndes Lachen rollt über meine Lippen. Der Husten bekämpft den Anfall von Komik effizient, und ich rolle mich auf die Seite, um stöhnend aufzustehen.
Das Metall der Mossberg fühlt sich kalt unter meinen Fingern an. Ich greife mir auch den Rest meiner Sachen, die ich vorhin bei meiner Jagd auf das Phantom habe fallen lassen. Verstaue alles im Kofferraum des Mercedes, nachdem die Automatik die Schlösser aufspringen lässt. Mühe mich hinter das Lenkrad in den Fahrersitz, betrachte den dunklen Spielplatz, der jenseits der Armaturen, jenseits des Fußweges hinter ein paar Büschen zu sehen ist. Verzerrt durch die vielen Spinnwebrisse in der Windschutzscheibe.
Während ich mir mit der flachen Hand müde durch das Gesicht fahre, verdränge ich einen Moment die Gedanken an die Maschine, und mein mit Füßen getretenes Ego.
Denke an den Anruf von Anne. David Collins. Schätze, die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende. Ich muss Collie noch einen Besuch abstatten, um das Kapitel komplett zu schließen. Müde denke ich darüber nach, dass ich keine Ahnung habe, was ich mit ihm machen soll.
Egal.
Drehe die Zündung, lasse den Motor kommen. Mir fällt schon was ein – ich mache unterwegs einen Plan.
Mein Vater hat immer gesagt: „Es ist gut, einen Plan zu haben.“
Collie, darf ich vorstellen: Mein Plan.
Mein Plan: Das ist Collie.


Anmerkung von Mutter:

THE END
(Jedenfalls das der vorläufigen Fassung.)
Weitere Infos gibt es  => hier.

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Kommentare zu diesem Text

blaubeermund (26)
(16.12.09)
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 Mutter meinte dazu am 16.12.09:
Cool, danke schön ... :)
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