Bossfight

Erzählung zum Thema Aggression

von  Mutter

Sie findet ihre Stimme erstaunlich schnell wieder. ‚Du dreckiges Arschloch! Verrecke, du Aas!‘
Ich höre, wie sie hinter mir aus der Wanne steigt, behindert durch ihre nassen Sachen. Die Mossberg habe ich aufgehoben, trage sie in der rechten Hand, während ich die Haustür aufschwingen lasse, ins Treppenhaus trete.
Ich gehe die Stufen runter, höre Jesse hinter mir nass in der Haustür stehen, Luft holen. Weitere Hasstiraden bleiben aus. Stattdessen schluchzt sie erstickt, als würde ich ihr immer noch die Luft abwürgen.
Ohne mich umzudrehen, gehe ich weiter nach unten. Mit dir bin ich durch, Lady.
Unerträgliche Müdigkeit erfasst mich, setzt sich bleichschwer in allen Knochen fest. Zieht mich zu Boden. Unten nehme ich meine Sachen aus dem Kinderwagen.
Mühsam kämpfe ich mich vor die Tür – die Nachtluft trifft mich wie ein Schockfroster. Beide Arme und der gesamte Oberkörper sind von dem Badewasser durchtränkt, mich schüttelt es vor Kälte.
Langsam laufe ich in Richtung von Stouts getrashtem Wagen. Mein Handy klingelt. Es ist Anne. Umständlich klemme ich mir meine Klamotten unter den Arm, bekomme so die linke Hand frei. Trotz meiner bleiernen Müdigkeit schlägt mein Herz schneller. ‚Ja?‘
‚Alles in Ordnung, Corker? Du klingst nicht gut.‘
No shit, Sherlock! ‚Alles gut. Was gibt es – mit Molly alles klar?‘
‚Ja, keine Sorge, ihr geht es gut. Den Umständen entsprechend‘, schränkt sie ein. ‚Hör zu, ich habe was rausgefunden. Über den Kastenmeyer-Job.‘
Gespannte Stille am anderen Ende.
‚Wovon zum Teufel redest du?‘, will ich ärgerlich wissen. Verstehe kein Wort.
‚Entschuldigung. Der Auftrag, für den Molly in Berlin war.‘
Rohbau. Hubschrauber. Warfare.
‚Was ist damit?‘, frage ich kurz angebunden.
‚Ich weiß jetzt, wer Molly verkauft hat. Wer der Maulwurf war.‘
‚Schieß los.‘ Will ich das wirklich wissen? Ich schlucke trocken – mehr Komplikationen?
‚David Collins. Sagt dir das etwas? Ist ein irischer Ex-Pat, der seit Jahren aus Berlin raus operiert.‘
Ein Schauer läuft mir über den Rücken – und diesmal sind nicht die nassen Klamotten Schuld. ‚Ja, kenne ich. Ich melde mich später - danke.‘
‚In Ordnung. Bleib in Verbindung, ja?‘
Ich lege auf. Stecke das Handy weg, während ich gegen die Übelkeit ankämpfe. David Collins. Auch genannt: Collie.
Pisse!
Ich fühle mich wie ein Gunslinger, der gerade ansetzt, um die 52. Karte auf sein Kartenhaus zu stellen, als ihm ein Zucken in der Hand alles zerstört.
Nicht Collie. Bitte nicht!
Mit grimmig zusammengebissenen Zähnen gehe ich auf den Mercedes zu, der in der Parkbucht steckt. Weiß, dass jedes Flehen umsonst ist – das ergibt alles einen Sinn. Außer der Tatsache, warum Collie uns beide verkauft hat, Molly und mich. Wobei ich vermutlich nicht Teil des Menüs war – innocent bystander.
Auf der anderen Straßenseite bemerke ich eine große Gestalt, die sich an einer lärmenden Partytraube vorbeischiebt. Nehme die breiten Schultern, die Geschmeidigkeit in der Bewegung und das weggedrehte Gesicht wahr.
Holy fuckin‘ Batman! Die Maschine!
Ich lasse alles bis auf die Mossberg fallen, fädele mich durch die parkenden Autos und kreuze die Straße – schnelle, ungeduldige Schritte. Renne noch nicht.
Die dunkle Gestalt dreht den Kopf, wirft mir einen Blick zu. Sprintet los.
Fuck!
Während ich ebenfalls Speed aufnehme, versuche ich, den Schmerz, der durch meine heftige Atmung entsteht, zu kontrollieren. Unten zu halten.
Die Stofftasche gleitet von der Schrottflinte, die schwer an meinem rechten Arm schwingt, mich beim Laufen behindert. Ich packe sie mit beiden Händen, dicht vor die Brust gedrückt. Bewege die Schultern, um die beim Laufen fehlenden Arme auszugleichen.
Jemand aus der Gruppe kreischt, als ich sie passiere – die Waffe glitzert sichtbar im Licht der vielen Leuchtreklamen. Andere lachen, dann habe ich sie hinter mir gelassen.
Ich laufe auf der Straße, an den Autos entlang. Die Maschine ist auf dem Gehweg, sprintet volle Pulle. Gegen seine Geschwindigkeit habe ich keine Chance, gleich ist er weg.
Schlitternd komme ich zum Stehen, reiße die schweißschwere Wumme hoch zur Schulter, mein Finger zieht am Abzug.
Die Mossberg hämmert mir in die Schulter, ein Echo des Schmerzes schneidet mir die Rippen entlang. Der Schuss beißt Stücke aus dem Mauerwerk ein paar Meter hinter der Maschine, das zweite Geschoss zertrümmert einen Zigarettenautomaten direkt neben ihm. Er wirft sich in eine Tordurchfahrt.
Befriedigt, seine Flucht unterbrochen zu haben, jogge ich los, ihm hinterher. Wenn ich Glück habe, hockt er in einer Sackgasse.
Vorsichtig drücke ich mich in den Tordurchgang, die Waffe im Anschlag. Komm schon, du Schweinehund, wo bist du? Jesse sagt, du willst mich fertigmachen.
Ich erreiche den Hof – keine Maschine. Fahrräder, Müllcontainer, mehrere Kellereingänge. Scheiße unübersichtlich. Zu meiner Linken eine offene Werkstatt oder Garage, hinten wird der Hof durch eine hohe Mauer abgeschlossen.
Wenn ich mich weiter vorwage, muss mich die Sau nur abknallen. Aber ich will verdammt sein, wenn ich den jetzt entwischen lasse – will es endlich zu Ende bringen, will den Kampf am Ende des Levels. Den Bossfight.
Seitwärts gehe ich mit kontrollierten Schritten über den Hof, der Lauf der Waffe wandert leicht hin und her. Kommschonkommschonkommschon …
In der Werkstatt nehme ich eine Bewegung wahr – schwenke herum, bis ich den kleinen Raum einsehen kann, dabei immer wieder Blicke nach rechts und links werfend.
Ein alter Kerl steht über eine Werkbank gebeugt, sieht zu mir auf, als er mich bemerkt. Die wirren Locken sind das einzige, was sich bewegt, als er vor Schreck einfriert.
Von rechts, von hinter den Containern, höre ich ein Scharren. Fahre herum, schwenke die Mossberg. Feuere auf die schemenhafte Gestalt zwischen den schwarzen Plastik-Silhouetten. Brachial wälzt sich der Sound der Schüsse über den Hof, wird von den Wänden zurückgeworfen. Das Kordit kitzelt meine Nase, ich spüre das Aufbäumen der Mossberg mit jedem Schuss als befriedigenden Schmerz in meiner Seite. Vier, fünf Schüsse, Teile der Container werden durch die Gegend gewirbelt. Wenn die Bewohner des Hauses nicht gerade Motorblöcke oder Bleiplatten in den Hausmüll werfen, bieten ihm die Dinger auch keine Deckung.
Die Schrotflinte klickt leer - ich lasse die Waffe auf den Asphalt fallen. Ziehe mit einer geschmeidigen Bewegung die Schwarzen Schwestern, suche mit denen meinen Rivalen. Inzwischen bin ich mir sicher – der Penner ist nicht bewaffnet, lässt sich deswegen nicht auf einen Shootout mit mir ein. Ich hab‘ Oberwasser, Arschloch!
Schatten zucken zwischen Mauer und Containern, ich feuere ein paarmal auf einen von ihnen. Sehe plötzlich die Maschine hochkommen, sich auf einen von den Plastikdingern schwingen, nach der Mauerkrone greifen.
Die Schwestern versuchen, ihm zu folgen, dröhnen zweimal auf, dann ist seine Gestalt über die Krone verschwunden.
Mit einem leisen Fluch renne ich auf die geschundenen Müllbehälter zu, schiebe mich zwischen ihnen durch. Die Mauer ist locker drei, dreieinhalb Meter hoch. Ich fluche ein weiteres Mal, stecke die Schwester in meiner Linken weg, klettere mit unterdrücktem Keuchen auf den Container. Aus der Hocke erhebe ich mich langsam, auf jede Schweinerei gefasst, sehe über die Mauer. Noch ein Hinterhof, fast vollkommen dunkel.
Aus dem Durchgang, der vor zur Straße führt, hallen entfernt eilige Schritte davon. Die Maschine ist weg.


Anmerkung von Mutter:

Okay, vorletzter Teil, Leute. O.o
Bald habt Ihr's geschafft.

Morgen fällt der Vorhang - endlich! Kann den Penner nicht mehr sehen. :D

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