Kein Tag für Weihnacht.

Gedanke

von  Elén

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Karierte Fenster. Ein Haus voll Fenster. Zweckentfremdet, recht gewinkelt und fest schaut das Gebäude mit Glas und ohne Trost in stark befahrene Strassen, die Architektur selbst schreibt dem Menschen die Rolle zu und der Winter hält auch dieses Jahr sich nicht an die Vorgaben des Kalenders, hält sich nicht an entsprechende Dekorgebote zur Weihnacht. Die Stadt liegt im Regen, die Stufen glänzen im Dämmerlicht der Laternen, der Abend geschäftig, Kies umterm Schuh und, - dieser Besuch ist, dem Aufwand zum Trotz: eine Möglichkeit. Eine Möglichkeit für Gäste, eine Möglichkeit für Gastgeber. Die Rollen sind verteilt. Die Zeit ist konserviert -

Die Eingangshalle ist sauber, hell beleuchtet, Marmor am Boden, Video an den Wänden und der braune Teppich geleitet den Schritt in die rechte Richtung, man hat zu gehen, wo man zu gehen hat. Die Kleider der Beamten sind sauber, die Scheitel der Beamten sind gerade, Dienstgrade sichtbar an den Uniformen, Brillengläser spiegeln im Licht, brechen die Geometrie der Räume und halten sich an die Vorgaben der Physik. Der Beamte grüßt. Ich grüsse, räume wie gewohnt und angeordnet meine Manteltaschen, meine vorderen, hinteren, alle Hosentaschen aus, stopfe  Rucksack und Gepäck in die untere Schleuse, werfe meinen Kleinmist, Handy, Schlüssel, Kugelschreiber, Bleistifte, Taschentücher, Kaugummis undsoweiter in die obere Kiste, steige in die Schleuse, die Elektronik gibt Signal, die Tür vor mir bleibt verschlossen und wie sooft beginnt die Suche nach einer Sicherheitsnadel, nach einem zerdrückten Stanniol, nach einer Büroklammer, die sich in einer der Taschen am Faden verheddert haben mag und, man findet das kleine Mistding nach hitzigem Kramen, bei ausgeladenen Taschen, aufgewühlten Kleidern, Bingo, versucht sich erneut an der Passage und bring endlich die Hürde hinter sich. Im Schatten des Uniformierten gehe ich zum nächsten Posten. Drei weitere Beamte hinter Glas forden meinen Dienstausweis, während der dritte Alvins Shorts, Socken, T-Shirts, diesen kleinen Kleiderberg Teil für Teil auseinanderlegt, um Teil für Teil anschliessend in eine grüne Plastiktüte zu stopfen, um anschliessend die Tüte zu tackern, um anschliessend die Tüte im kleinen lustigen Bogen mit gekonnter Hand in eine Kiste zu werfen, um ein Zeichen zu setzen, um die Tüte, um Alvin, - um hier die Positionen ehest wieder richtigzustellen.

Im Warteraum, dessen Bestimmung dieserorts scheints besonders hervorgehoben sein möchte, warte ich, warte mit einer Uhr, warte mit einer traurigen Juka, warte ohne Taschen, warte ohne Inhalt und Aussicht auf das Signal und, die Zeit glotzt mich an, vergilbt und das Licht hat aufgehört zu spielen, selbst der Staub bleibt in dieser Zone in der Luft stehen, rührt nicht abwärts, rührt nicht aufwärts, nichts gelingt in dieser Atmosphäre, selbst der Begriff des Verfalls hat sein Gesicht fortgenommen. Mit dem Summer geht die Tür auf, die Dame in Uniform bittet mich zur Leibesvisitation, ich strecke meine Arme von mir wie ein Turner, lege meine Beine aus, ich nehme das Gesicht für Scheinbarkeiten ein und Duldsamkeit und ich warte gelernt auf die Geste der uniformierten Landesbediensteten, die längst kein Wort mehr braucht, deren Anwesenheit genügt um gehört zu sein. Danke, und nun gehen wir gemeinsam durch die Tür, von der ich bis zum Tag der Widerlegung meinte, es gäbe sie nur in Filmen, diese Eisentür mit weissgelackten Gitterstäben zu rasselnden Schlüsseln, gäbe es nur in Actionfilmen, in The green Mile, in Zeichentrickfilmen, in Lucky Luke, bei den Simpsons, diese Gefängnistür mit dem markanten Geräusch, das nun das Kernstück, die Seele aller dieser Häuser ist und, weil ich im Auftrag der Stadt komme und die Gemeinsamkeiten hier schriftlich sind, bekommen der junge Alvin und ich nicht eines dieser schrecklichen Zimmer in denen man hinter Plexiglasfronten von Telefonhörer zu Telefonhörer spricht, sondern wir bekommen ein Zimmer zugewiesen, die Präsidentensuite des Hauses sozusagen, in dem man sitzen darf von Mensch zu Mensch.

Ich sage Alvin, dass ich frische Wäsche und dass ich keinen Kugelschreiber dabeihaben darf, dass ich den Beamten gefragt hätte wegen Tabak und ich habe einen Zettel mitgebracht um aufzuschreiben, was ich tun kann für Alvin, jenen man also vorige Woche vom Bahnhof abgeholt hat, weg nun, da er seine Haft nicht rechtzeitig antrat und nun habe ich keinen Kugelschreiber und ich sehe, dass Alvin abgenommen hat und dass er schmal geworden ist im Gesicht. Man hat ihn hier ohne Aufhebens runterkrachen lassen mit schepperndem Kiefer und kaltem Schweiß, keine Medikamente gegen Entzugssymptome und vor Schmerzen habe er gestern mit den Händen in die Wände geschlagen bis Blut war ohne dass irgendwas nachgelassen hätte, weder innen noch aussen. Alvins Kleider hängen am Leib, unter den Stoffen geht der Körper knöchern mit der Haut durch die Gänge und Alvin sagt danke und erwähnt, dass sein Bewährungshelfer nicht sonderlich befließen wäre mit seinen Rechten und ob ich ihm das Strafgesetzbuch mitbringen könne und dann hält er seine Hände, mit den Handflächen zur Tischplatte und sagt, dass das Zittern bereits weniger würde und dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei und mit Geld, das er nicht habe, durchaus noch eine Möglichkeit bestünde hier rauszukommen und Alvin lächelt von irgendwoher und ich sage, dass ich an ihn glaube und dass ich keinen Kugelschreiber hätte aber mir auf alle Fälle merken würde, das Buch zu beschaffen und ich hätte gerne mit Nachdruck und mit festen Augen zu Alvin, der noch längst keine dreißig, hätte gerne gesagt, dass er klug sei, intelligent, noch nicht kapputt im Kopf und in der Psyche, sondern lebendig, dass er etwas machen solle aus seinem Leben, dass er jetzt die Chance hätte sich neu zu erschaffen aber ich brachte das nicht fertig, konnte mich nicht überwinden zu dieser Grausamkeit und ich sah Alvin an, sah dessen Hände nun wieder am Tisch liegen, mit abgebissenen Fingernägeln, mit kalten marmorierten Farben, sah Alvin an, der lächelte und dieses übergroße Weinen war im Raum ohne Blumen und Fesnter und während ich Worten suchte für Hoffnung und für morgen klopfte der Beamte an die Tür um zu vermitteln, dass die Zeit für dieses Zimmer vorbei wäre und Alvin zog langsam seine Hände vom Tisch und stand auf mit seiner Geschichte und mit seinen Traurigkeiten im Bauch und sagte noch einmal danke und ich sagte nichts und suchte seine Augen und fand sie nicht und keine Welt ..






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Kommentare zu diesem Text

Sly (43)
(25.12.09)
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thammü (22)
(21.02.10)
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