Bruchteil zu dir.

Gedanke zum Thema Sucht

von  Elén

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Nachdem ich eine lange Weile in die Auslagen gestarrt habe, nachdem ich lange nichts gedacht habe, weil da noch kein Ort geworden ist für dich, nachdem ich überlegt habe und mich gequält, mich noch nicht vertraut sehe zu deinem Anlass, nachdem ich trotz allem keinen Ausweg gefunden habe für diese Geschichte, nach all den Bruchteilen von Zeit, Leben und Bildern, habe ich mir also doch ein Herz gefasst, bin da zur Tür hinein und habe auf diese eine Blume gezeigt und die dicke Verkäuferin mit den liebenswürdigen Knopfaugen und den braunen Locken am Kopf griff das Gewächs am Stiel, zog es mit gekonnter Hand aus der Vase und legte es aufs Pult.

Eine Schleife? Ja
Zum feierlichen Anlass:
schwarz -

Die Blume ist also gelb und da mir der Anlass nicht behagt, so habe ich sie nach dir ausgewählt und ich sehe im Hintergrund zur gelockten Dame mit Geschäft all die anderen Blumen aus den Töpfen ragen und stelle noch einmal prüfend fest, dass sie allesamt keine Berechtigung gehabt hätten. Ich zahle und gehe aus dem Laden, gehe mit bestimmtem Fuß über den gefrorenen Boden, der knirscht, gehe an der Mauer des Krematoriums entlang, gehe an den schwarzen Menschen vorbei, vorbei mit meiner Blume, halte mich, halte mich mit beiden Händen fest an meiner Blume, gehe in das Haus für Tote und Traurige, für Berechtigte und Unberechtigte, nehme meine Mütze vom Kopf, suche mir einen Stuhl zu dir und setze mich, um hier noch einmal den Versuch aufzustellen für die rechten Verhältnisse zwischen uns, um hier noch einmal die Unmöglichkeit anzustellen, zu begreifen -


Bruchteile | ein Du

Das ist alles Gestern. Wien. Und schon damals hatte ich recht, zog in Erwägung, dass du denkbar bist für die Grenzüberschreitung, dass du konditioniert bist für die äußerste Möglichkeit, dass das Leben allein für dich Grund genug ist, den Beweis zum Gegenteil anzutreten. Angerufen hast du und gemeint, ihr wäret in Wien und ich habe geflucht, habe ins Telefon gebrüllt, ich würde jetzt den Fahrplan zum Tag erkunden und ihr hättet euren Hintern gefälligst in den nächsten Zug zu setzen um heimzufahren. Wien, das ist das Schlagwort, das ist die Verderbnis, das ist das Synonym für den Tiefpunkt jedes Junkies und ich war in Aufruhr und du meintes in deinem künstlichen Glück, alles wäre nicht so schlimm, alles wäre da ein bisschen billiger und ein bisschen easyer und ich habe 'Wien' gehört und begann zu beten weil in Wien der Abgrund erst anfängt, wo einer vorher schon den dunkelsten Grund zum Verfall eines Menschen meinte und Wien ist eine hundsgemeine Stadt, mit hundsgemeinen Bahnhöfen, mit hundsgemeinen Leuten und der Dreck liegt im ganzen Land aber der hundsgemeinste Dreck kommt in Wien zusammen und du wärst beinahe krepiert, aber bist dann doch nach tagelangem Aufenthalt auf der Akutstation mit deinem Freund, einer Anzeige und einem fetten Spritzenabszess in der Armbeuge aus dem Krankenhaus gewackelt. Als ich dich sah hab ich dir erst eine runtergehauen mit zitternden Händen und, dann gelächelt mit dem großen Glück im Bauch.


Bruchteile | ein Gestern

Das Leben schien am rechten Weg zu dir und du schienst am rechten Weg zum Leben und die Begriffe passten zueinander und der Anschein machte mich berechtigt, still zu sein und durchzuatmen. Frühling, Herbst, Sommer, die Jahreszeiten verliefen unauffällig, alles ging seine angedachten Bahnen und entsprach deinem und meinem Verhältnis. Am Sonntag rief dein Freund F. an und wollte in Besorgnis von mir wissen ob ich dich wüsste. Du hättest dich seit sieben Tagen nicht mehr bei ihm gemeldet und das wäre für dich ungewöhnlich, obendrein, wo ihr im selben Haus und er hätte täglich geklingelt; die Tür, so er, blieb ihm Tag für Tag verschlossen, keine Regung aus der Wohnung, weder Licht, noch Geräusch. Ich sage 'nein' und mir fiel das Blut im Sturz in die Füsse.


Bruchteile | eine Verlustanzeige

F. meinte, ich solle, er wisse nicht und und ich sagte: ich kann nicht. Ich wähte dreihundertmal deine Nummer und hörte mir an, dass du derzeit nicht erreichbar seist und F. sagte, ich solle doch und ich ging dann eines Abends, sehr spät und bei klirrender Kälte, zu dem Herrn auf die Wache und schaltete eine Abgängigkeitsanzeige und der Herr meinte, er würde zum nächsten Morgen mit einem anderen Herrn, einem seiner Kollegen, zu besagtem Haus hinfahren und sehen, was er tun könne, so sagte er und  ich hörte das, jedoch beruhigte es mich keineswegs. Am folgenden Tag meinte der Herr, als ich mich erkundigte, dass er und sein Kollege dort gewesen seinen und geklingelt hätten und nichts ausmachten. Ich machte darauf hin den Vermieter der Wohnung aus und dieser wiederum informierte mich darüber, dass die Wohnungen an einen anderen Großeigentümer weitervermietet wären und dieser im Bedarfsfall zu kontaktieren sei und so verblieben wir und ich wusste, dass ich nicht in deine Wohnung gehen werde, nicht in diesem Fall, weil ich fähig bin für Ahnungen und die Ahnung in diesem Fall, also zu deinem Fall und zur gegebenen Situation sehr dunkel und möglicherweise kein Bedarfsfall mehr war.


Bruchteile | eine Zeit

In der Zeitung stand, du hättest am Sofa gelegen. Bekleidet, beturnschuht. Das Fernsehgerät wäre gelaufen, im Zimmer herumliegend gebrauchtes Fixbesteck, Gift, Pillen, Alkohol, was einen Süchtigen eben sonst noch ausmacht. Der andere, sechs Jahre älter, also achtundzwanzig, den beschrieb die Presse knieend am Boden, starr, vorneübergebeugt, mit dem Gesicht in den Teppich gefallen. Totenflecken und Geruch. Seit mindestens achtundvierzig Stunden tot. 


Bruchteile | ein Du

Viele schwarze Kleider, in denen ebensoviele Menschen stecken, die nun leise herumgehen in der Halle, die sich leise setzen, die weinen oder nicht weinen, die ihr Augen zu Boden richten oder lose herumgehen lassen. Viele Leute mit kalten Händen und mit Winter in den Frisuren und ich sitze dir zur Andacht, sitze und kann nicht weinen, sitze auf diesem anlässlichen Stuhl zum leisen Gebet und lasse meine Lippen liegen wo kein Flüstern hervorkommen mag, weil da noch kein Ort geworden ist für dich, halte ich mich an meiner Blume fest, die so gelb ist und still ..




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Kommentare zu diesem Text

jovanjovanovic (61)
(13.12.09)
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jovanjovanovic (61) meinte dazu am 13.12.09:
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g.penn (35)
(13.12.09)
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 Elén antwortete darauf am 13.12.09:
Ich danke dir fürn Besuch. Eigentlich gibt es deinem Kommentar nichts mehr hinzuzufügen, ja. -

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Das mit den Gedichten: auch dahin, ja. Die Zeit der Gedichte ist vorbei. Gedichteschreiben ist, wie, in ein Wasserglas blasen und sich am Kräuseln der Wellen zu faszinieren. Man bläst dreitausendmal in unterschiedlichster Manier hinein, bis zu dem Tage, an dem man, bevor man hineinbläst schon weiss, wie das Wasser gehen wird und alles wird schal und überflüssig.

Prosa: Oje, das mit dem Schreiben, der Sprache. Es ist ein sehr ambivalentes Verhältnis zwischen uns. Ein Ringen, ein Umtollen, ein Spielen, ein Hand in Hand, ein Zerwürfnis, eine Widerspenstigkeit, eine bockige und dann wieder eine verliebte Beziehung. Wer hat wen im Griff, wer hält das Ruder und wer gibt den Takt an? Wer beherrscht wen und wer macht das Bild. Manchmal ist es eine Hochzeit, manchmal ein Krieg. - Das Bild: das ist eigentlich das größte Problem. Das Bild ist zumeist so groß, dass ich mit der Sprache allein wenig dagegen ankann um darin durchlässig zu werden, um am Ende den Klotz zu behauen. Es ist manchmal, als stünde eine invalide Ameise vor dem Gebirgsmassiv der Alpen und schon das Echo ihrer eigenen Schritte versetzt sie in Furcht. Am besten gelingt es noch immder im Moter der Wut dagegen anzurammen, mit aller Wucht meine Gestalt in den Stein zu hauen, im Aufruhr des Zorns wie eine Zeichentrickfigur mit sieben rudernden Armen und Pickeln gegen den Berg anzurennen, um die Kerbe so tief wie möglich zu hauen. - Oder wasweissich :)

ich freu mich. danke

lg
(Antwort korrigiert am 13.12.2009)
asche.und.zimt (24)
(13.12.09)
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Müller (45)
(14.12.09)
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 poena (14.12.09)
was hinter dieser und jeder dieser geschichten steht, ist tragisch.-
ich kenne wien gut und ich kenne es nicht so.
aber.
ich verstehe, dass jede stadt zum monster werden kann, wenn man dort ein schicksal erlebt.
starke montage. starke collage von bildern und gefühlen.
traurige, sachliche sprache.

ich bin aber meist ein bisschen fürs kürzen. so auch hier-
aber bloß nicht zuviel von der fein griffigen sprache wegstreichen.:)

lieben gruß, p

 Ingmar (14.12.09)
das ist, was ich - mangels anderer begrifflichkeiten - literatur nennen würde.

ingmar
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